Gummibärchen sollen die Welt erobern Die Pläne der neuen Haribo-Herrscher

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Feldversuch im Kindergarten

Paul und Hans Riegel waren zwei ungleiche Geschwister. Paul ein Familienmensch, zurückhaltend, öffentlichkeitsscheu. Der große Tüftler und Erfinder der Lakritzschnecken-Wickelmaschine. Hans immer im Mittelpunkt – und ewiger Junggeselle. Zu seinen Lebzeiten verantwortete Paul Riegel die Produktion, Hans Riegel den Rest: Finanzen, Vertrieb, Marketing. Und er war das Gesicht von Haribo, bei ihm liefen die Fäden zusammen. Hans, der knallharte Geschäftsmann mit einer kindlichen Freude am Experiment. Hatte er ein neues Produkt ausgeheckt, ließ er es im betriebseigenen Kindergarten testen.

Und Hans Riegel war stur. Mehr als 60 Jahre stand er an der Spitze des Unternehmens, entschied allein über Wohl und Weh. Ruhestand kam für ihn nicht infrage. Dabei drängte sich die Nachfolgefrage immer mehr auf. Schließlich war Hans kinderlos, anders als sein Bruder und Mitinhaber Paul, der seine Anteile gleich auf vier Kinder aufteilte.

Jahrelang schwelte zwischen den Familienstämmen ein Nachfolgestreit, der erst nach dem Tod von Paul Riegel und mit der Hilfe von Anwälten beigelegt werden konnte. Heute sorgen eine Stiftung und eine Holding dafür, dass Haribo in der Familie bleibt. „Für Unternehmen mit solch patriarchalischen Strukturen ist die Nachfolge ein heikles Thema“, sagt Arist von Schlippe, Professor für Unternehmensführung an der Uni Witten-Herdecke. Wo sich vorher die Entscheidungen auf einen Einzelnen konzentrierten, müssten auf einmal viele Verantwortung übernehmen. Oft herrsche in dieser postpatriarchalen Phase Orientierungslosigkeit.

Von Einstein bis Gottschalk - skurrile Fakten über Haribo
Erstes Fabrikgebäude war eine Waschküche1920 gründete der gelernte Bonbonkocher Hans Riegel Senior die Firma Haribo in einer Hinterhof-Waschküche in der Bergstraße in Bonn-Kessenich. Am 13. Dezember 1920 lässt er Haribo (als Akronym für Hans Riegel Bonn) ins Handelsregister der Stadt Bonn eintragen. 1921 heiratet Riegel, seine Frau Gertrud wird die erste Haribo-Mitarbeiterin. Quelle: Presse
Startkapital: Ein Sack Zucker und ein TopfDas Startkapital des Gründers Hans Riegel bestand übrigens aus einem Sack Zucker, einer Marmorplatte, einem Hocker, einem gemauerten Herd, einem Kupferkessel und einer Walze. Mit diesen Mitteln schuf er in besagter Bonner Waschküche ein mittlerweile weltweit bekanntes Unternehmen. Quelle: dapd
100 Millionen GummibärchenMittlerweile produziert das Familienunternehmen pro Tag 100 Millionen seiner Goldbären. Würde man die einzelnen Bären aus der Produktion eines Jahres nebeneinander stellen, hätte man eine Goldbärenkette von 160.306 Kilometer Länge. Mit der einer Jahresproduktion an Gummibärchen könnte man also vier mal die Erde umrunden. Verkauft werden die Goldbären übrigens weltweit, beispielsweise als "Gold-Bears", "Ositos de Oro" oder "Zlote Misie". Quelle: dpa/dpaweb
Fast 470.000 Kilometer LakritzWürde man übrigens die gesamte Jahresproduktion an Lakritzschnecken von Haribo aufrollen und aneinander reihen, hätte man einen Lakritzstrang von 468.000 Kilometer Länge. Damit ließe sich die Distanz zwischen der Erde und dem Mond überbrücken. Quelle: dpa/dpaweb
SloganSeit den 1930er Jahren wirbt Haribo damit, Kinder froh zu machen. Mitte der 60er ergänzte Unternehmensgründer Hans Riegel die Werbebotschaft um den Zusatz "und Erwachsene ebenso". Mit Erfolg: Laut Angaben des Unternehmens kennen 98 Prozent der Deutschen den Werbeslogan und verbinden das Unternehmen aus Bonn auch damit. Quelle: Presse
WerbepartnerschaftEbenfalls ein cleverer Schachzug des Unternehmens war die Verpflichtung des Moderators und Showmasters Thomas Gottschalk als Werbegesicht. Ab 1991 macht Gottschalk Reklame für Goldbären, Colorado und Lakritz, das ist die längste Werbepartnerschaft der Welt. Sie bescherte sowohl Gottschalk als auch Haribo neben den entsprechenden Einnahmen auch einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. 2014 kündigten Gottschalk und Haribo das Ende der Zusammenarbeit an. Quelle: obs
Berühmte FansDoch auch schon bevor Gottschalk begann, für Haribo zu werben, konnte die Marke viele Fans gewinnen. Kaiser Wilhelm II. beispielsweise schrieb aus seinem Exil in Doorn, dass die Gummibärchen aus Bonn das Beste seien, was die Weimarer Republik hervorgebracht habe. Auch Albert Einstein, Erich Kästner, Heinz Rühmann, Konrad Adenauer und Hans-Dietrich Genscher hatten immer Goldbären bei sich. Und auch in Übersee erfreuen sich Goldbären großer Beliebtheit. So sagte die US-Schauspielerin Reese Witherspoon, deren Vater sechs Jahre Militärarzt in Wiesbaden war, in einem Interview, dass Deutschland "die tollsten Süßigkeiten" habe und dass Gummibären "doch die beste Erfindung" seien. Quelle: dpa

Herr Phiesel, Sie sind seit 25 Jahren bei Haribo und haben sehr eng mit dem vor einem Jahr verstorbenen Hans Riegel zusammengearbeitet, der in der Öffentlichkeit als Mister Haribo bekannt war. Was für eine Persönlichkeit war er?

Phiesel: Herr Dr. Riegel war ein herausragender Unternehmer. Sein Leben und das Unternehmen, das war für ihn eins. Er hat alles dem Erfolg untergeordnet. Und er hatte Mut zu Entscheidungen, auch zu solchen, die man in keinem Lehrbuch findet.

Er soll sich zum Beispiel Anfang der Fünfzigerjahre bei der Sparkasse Bonn mit der Bedienung eines Kredits wenige Tage verspätet haben. Daraufhin marschierten Mitarbeiter der Sparkasse ins Werk und pfändeten Zuckersäcke. Ihr Onkel soll seitdem nie wieder einen Bankkredit aufgenommen haben?

Riegel: Ja, eine sehr weise Entscheidung.

Die noch heute gilt?

Riegel: Aber zu 100 Prozent.

Grafik dazu, wie der Süßwarenkonzern Haribo organisiert ist

Haribo hat also auch heute keine Kredite bei Banken?

Phiesel: Nein. Wir können unsere Investitionsentscheidungen am Geschäft orientiert selbst treffen. Das ist ein Riesenvorteil. Vor der Finanzkrise kamen ständig Banker auf uns zu und hielten uns vor, wir würden eine falsche Bilanzpolitik betreiben und sollten doch mehr Fremdkapital aufnehmen. Nach der Finanzkrise kam niemand mehr.

Riegel: Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute nimmt man ja keine Kredite mehr auf, heute begibt man Anleihen...

So wie Ihr Konkurrent Katjes? Nachdem einige Papiere geplatzt sind, gilt das Segment der Mittelstandsanleihen eher als unseriös. Es wird also keine Haribo-Anleihe geben?

Riegel: Korrekt.

Bei Haribo stehen Investitionen für mehr als 500 Millionen Euro an: der Bau einer neuen Zentrale samt Produktion und Logistikzentrum im rheinland-pfälzischen Grafschaft und eine neue Fabrik in Großbritannien. Das bezahlen Sie alles aus der eigenen Kasse?

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