WirtschaftsWoche: Herr Haselsteiner, Sie wollen den ehemaligen BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky, der wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung inhaftiert ist, im Finanzbereich von Strabag beschäftigen. Warum machen Sie das?
Haselsteiner: Was erstaunt Sie daran?
Dass Sie ohne Not die Distanz zu einem Straftäter aufgeben, der Strabag-Aufsichtsrat war. Das hat ein Geschmäckle.
Haselsteiner: Ich bin nicht päpstlicher als der Papst. Wer rechtskräftig verurteilt wurde, hat seine Strafe abzubüßen. Dann ist die Sache erledigt. Gribkowsky im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu resozialisieren ist im öffentlichen Interesse. Ich bin dagegen, jemanden, der einen Fehler gemacht hat, lebenslänglich an den Pranger zu stellen.
Was genau soll er machen für Strabag?
Haselsteiner: Er ist ein ausgebildeter Finanzmann, und wir werden ihn in der Projektentwicklung einsetzen.
Ist Gribkowsky zeichnungsberechtigt?
Haselsteiner: Nein.
Als Freigänger wird er zu festen Zeiten in der Haftanstalt sein müssen. Mit seinen Aufgaben bei Strabag ist das kompatibel?
Haselsteiner: Wir werden das entsprechend gestalten. Außerdem muss ja erst die Justiz entscheiden, ob ein Freigängertum für ihn infrage kommt. Vergangene Woche habe ich Gribkowsky in der Haftanstalt besucht und die Konditionen besprochen. Es ist kein Managementjob. Gribkowsky soll eine Chance bekommen, diesen Bruch in seinem Leben zu überwinden.
Wann beginnt er für Strabag zu arbeiten?
Haselsteiner: Das ist alles offen. Wie gesagt: Die Justiz entscheidet.
Sie vertrauen Herrn Gribkowsky, dass er keine weitere Untreue begehen wird?
Haselsteiner: Richtig. Ich glaube nicht, dass er mich betrügen wird.
Herr Birtel, geben Sie auch Ihren früheren Mitarbeitern eine zweite Chance, die bei Straßenbau-Aufträgen in Sachsen ein laut Strabag "systematisches Betrugs- und Korruptionsnetzwerk" gestrickt hatten?
Birtel: Dieser Fall liegt anders: Hier wurde die Strabag betrogen und auch durch weitere Straftaten geschädigt.
Zu den Personen
Haselsteiner, 69, zählt zu den prägenden Unternehmerpersönlichkeiten Österreichs. Er machte die kleine Baufirma seines Schwiegervaters – Ilbau – zum viertgrößten Baukonzern Europas. Am 14. Juni übergibt der Kärntner den Vorstandsvorsitz an Thomas Birtel.
Birtel, 59, studierte in Bochum und lebt in Mülheim an der Ruhr. Der Diplom-Ökonom kam 1996 zur Kölner Strabag AG, die Haselsteiner 1998 übernahm. 2002 wurde Birtel dort Vorstandssprecher, seit 2006 gehört er zum Vorstand der umbenannten Wiener Strabag SE.
Herr Haselsteiner, wie viel Spielraum wird Herr Birtel haben, Strabag zu führen? Sie bleiben Generalbevollmächtigter und natürlich Großaktionär. Tauschen Sie beide die Büros bloß symbolisch?
Haselsteiner: Sicher nicht! Ich möchte keine Vorstandssitzungen mehr, kein Tagesgeschäft. An Vorstandssitzungen werde ich nur teilnehmen, wenn wir übereinkommen, dass die Tagesordnung es erforderlich macht und ich vom Vorstand eingeladen werde. Ich werde aber bis zum Auslaufen meines Vertrages Ende 2015 bestimmte Funktionen ausüben.
Welche?
Birtel: Herr Haselsteiner wird sich vor allem mit der Strategie der Internationalisierung befassen.
Die ist existenziell. Ihre beim Börsengang 2007 verkündeten Ziele, Strabag solle größter Baukonzern Europas werden und Russland größter nationaler Markt des Konzerns, haben Sie glatt verfehlt.
Haselsteiner: Beides hing miteinander zusammen. Nur wer der Größte in Russland ist, wird der Größte in Europa sein.
"Keine Abweichung von Compliance-Richtlinien"
Der Russland-Anteil am Strabag-Umsatz liegt inklusive der angrenzenden Länder bei vier Prozent. Was ist schiefgelaufen?
Haselsteiner: Die Krise 2009 hat Russland sowie die mittel- und osteuropäischen Länder deutlich stärker getroffen, als wir das zur Kenntnis nehmen wollten. Wir sind zu lange davon ausgegangen, dass der Bedarf an Baumaßnahmen etwa im Wohnungsbau und der Infrastruktur uns einen riesigen Markt bescheren würde. Hinzu kommt eine Renationalisierung in Russland in den Köpfen von Managern, Beamten und Politikern, die Investitionsentscheidungen treffen. Deren Haltung ist: Westliches Know-how brauchen wir nicht. Das Enttäuschendste in dieser Hinsicht sind die Olympischen Spiele: Von insgesamt 30 Milliarden Dollar Auftragsvolumen wurde nicht einmal eine Milliarde an nicht russische Unternehmen vergeben.
Und davon an Strabag?
Birtel: Rund 600 Millionen Dollar - beim Flughafen und beim Olympischen Dorf.
Ihr russischer Co-Aktionär Oleg Deripaska hat Ihnen nicht die Türen geöffnet?
Haselsteiner: Ohne ihn hätten wir nicht einmal diese Aufträge bekommen. Aber Ziel war nie, dass Deripaska uns in großem Umfang Aufträge ins Haus schiebt. Wir hatten uns mit ihm darauf geeinigt, eine Russian Construction Holding zu grün-den, in der Strabag Russland und zwei Bauunternehmen Deripaskas gebündelt werden sollten. Bei einer seiner Firmen - Transstroy - haben wir bereits mit der Prüfung begonnen. Die Russen haben aber selbst nicht genau gewusst, was sie da alles besitzen und wie es organisiert ist. Das Rechnungs- und Berichtswesen entsprach bisher nicht den Anforderungen eines börsennotierten, nach IFRS-Standard berichtenden Konzerns. Wir haben deshalb die Transstroy-Prüfung unterbrochen. Das war eine weitere Enttäuschung in Russland.
Wie geht es weiter?
Haselsteiner: In zwei Monaten legt Transstroy ihre neuen Bilanzen vor. Wir hoffen, dass wir dann eine für uns nachvollziehbare Struktur vorfinden. Verläuft die Prüfung erfolgreich, könnten wir das Joint Venture 2014 gründen. Noch haben wir aber von den Zahlen und der Lage der beiden Unternehmen keine Vorstellung.
Sie, Herr Birtel, haben die Verantwortung für das Russland-Geschäft. Wie können Sie die Probleme dort lösen?
Birtel: Die Möglichkeiten sind beschränkt. Wir hoffen auf Infrastrukturprojekte im Rahmen von PPP-Modellen. Eines über zwei Milliarden Euro Auftragsvolumen hatten wir 2008 zwar gewonnen, aber das fiel der Wirtschaftskrise zum Opfer.
Wie korruptionsanfällig sind Geschäfte in Russland? Sie, Herr Haselsteiner, haben gesagt, um dort an Aufträge zu kommen, müssten Sie Vermittler und "eine gewisse Subunternehmerstruktur" akzeptieren, sonst könnten Sie den Markt "vergessen".
Haselsteiner: Das ist eines unserer großen Themen in Russland. Die Frage ist, ob die Bearbeitung des Marktes öffentlicher Aufträge Compliance-kompatibel ist. Wenn wir Platzhirsch im russischen Baumarkt werden wollen, müssen wir in den öffentlichen Bereich, etwa mit privat finanzierten Infrastrukturprojekten. Was wir da umsetzen können unter Einhaltung unserer Compliance-Richtlinien, ist eine offene Frage. Wir sind nicht bereit, von diesen Richtlinien abzuweichen, nur weil es Russland ist. Derzeit haben wir keinen einzigen Auftrag der öffentlichen Hand.
"Stock Options gehören ins Strafgesetzbuch!"
Wo liegen die Alternativen für Strabag?
Birtel: In Ländern wie der Mongolei, Turkmenistan und Kasachstan. Wir schauen uns diese Märkte sehr konkret an - natürlich auch hinsichtlich Compliance-Aspekten.
Wie groß ist Ihr Interesse an der Hochtief-Servicesparte, die zum Verkauf steht?
Haselsteiner: Da haben wir Ende Mai ein Angebot abgegeben und verfolgen das mit großem Interesse und Ambitionen. Der Bereich würde unsere Dienstleistungssparte sehr gut ergänzen. Wir haben da kaum Überschneidungen mit Hochtief.
Interessiert Sie auch das Bilfinger-Concessions-Geschäft, das Vorstandschef Roland Koch plötzlich feilbietet, also Bilfingers schon bestehende Projekte mit der öffentlichen Hand?
Birtel: Nein. Unsere Strategie im Konzessionsgeschäft sieht vor, dass wir uns im gesamten Lebenszyklus des Projektes - also von der Finanzierung über den Bau bis hin zum Betrieb - engagieren und jedenfalls Wert schöpfen über neue Bauprojekte. Wo der Bau abgeschlossen ist, geht das nicht.
Sie haben Managementfehler eingeräumt bei der Vorstellung der Bilanz 2012. Hat das monetäre Folgen?
Birtel: Allerdings. Der gesamte Vorstand erhält für 2012 keine variablen Bezüge.
Und was verdienen Sie künftig, Herr Birtel? Herr Haselsteiner hat mal gesagt, Gehälter von mehr als einer Million Euro fände er unvernünftig.
Haselsteiner: Das habe ich so nicht gesagt.
Es steht im Archiv: "Unvernünftig ist alles, was über einer Million liegt."
Haselsteiner: Ich habe aber auch dazu gesagt, dass es im Auge des Betrachters liegt, was unvernünftig hoch ist.
Birtel: Mein Gehalt ist jedenfalls genauso hoch, wie das von Herrn Haselsteiner als Vorstandschef war.
Also 633.000 Euro plus Boni. Sie, Herr Haselsteiner, halten Aktienoptionen für Manager für eine Form der Bestechung, bei Strabag gibt es keine. Warum?
Haselsteiner (wird laut und schlägt auf den Tisch): Stock Options gehören ins Strafgesetzbuch! Das Aktiengesetz sieht vor, dass der Vorstand den Stakeholdern zu dienen hat, also nicht nur den Aktionären, sondern auch Mitarbeitern, Kunden und der Gesellschaft. Eine Aktienoption aber ist der Versuch der Shareholder, den Vorstand für eine einseitige Betrachtungsweise zu gewinnen, als wäre nur der Börsenkurs wichtig. Zu sagen: Du kriegst von mir Geld, wenn du vorrangig an meine Interessen denkst, ist für mich der Versuch einer Bestechung. Es erstaunt mich, dass es keine laute Kritik daran gibt.
Sie haben sich mit Ihrem Privatvermögen an der Investmentgesellschaft Signa beteiligt, die ohne Erfolg für Kaufhof mitgeboten hat und Karstadt-Immobilien besitzt. Spekulieren Sie auf eine Fusion von Karstadt und Kaufhof?
Haselsteiner: Ich bin bei Signa ein reiner Finanzinvestor und habe mich mit dieser Frage nicht beschäftigt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es nicht das Gescheiteste ist, wenn in einem schrumpfenden Markt in einer Stadt zwei Kaufhäuser 100 Meter entfernt voneinander stehen.
"Wir brauchen eine kontrollierte Inflation"
Birtel: Vergessen Sie nicht, dass kein deutsches Bauunternehmen in Deutschland je so viel umgesetzt hat wie Strabag, nämlich fünf Milliarden Euro im Jahr. Wer sagt, Strabag sei kein deutsches Bauunternehmen, weil der Großaktionär in Wien sitzt, übersieht, dass die Mehrheit aller Dax-Unternehmen in ausländischer Hand ist.
Kann der deutsche Anteil am Strabag-Umsatz - 40 Prozent - noch steigen?
Birtel: Wenn sich der Markt entsprechend entwickelt, kann er das. Der Markt für Wohnimmobilien profitiert nach wie vor von der Flucht ins Betongold. Und was den öffentlichen Bau angeht, wird schon aus Gründen der Sicherheit und um den Straßen- und Güterverkehr aufrechtzuerhalten, gebaut werden müssen - ob Budgets da sind oder nicht. Ähnlich beim Thema Energiewende: Egal, was politisch entschieden wird, es muss gebaut werden. Insofern ist mir für den eigentlich reifen deutschen Markt trotzdem nicht bange.
Sie setzen auf öffentliche Aufträge, während der Druck zum Sparen in Europa immer größer wird. Was müsste geschehen, um die Euro-Krise zu überwinden?
Haselsteiner: Welche Chance haben die Europäer denn, mit der Schuldenkrise fertig zu werden? Erstens Schuldenschnitt oder Staatspleite, zweitens Krieg und drittens Inflation! Ein vierter Weg wird nicht vom Himmel fallen.
Was schlagen Sie vor?
Haselsteiner: Lösung eins und zwei will keiner, also brauchen wir eine kontrollierte Inflation, und zwar eine saftige. Denn ich glaube nicht, dass Europa mit 30 Prozent Jugendarbeitslosigkeit leben kann und dass die 40 Prozent junger Arbeitsloser in Spanien noch lange stillhalten.
Keine Alternative?
Haselsteiner: Die Alternative wäre, dass wir weiter Deflation betreiben, weil wir die Geldsäcke und die Pensionsfonds schonen müssen, die in den letzten 70 Jahren Reichtümer angehäuft haben, und dass Deutschland und Österreich dem Süden Europas sagen: Ihr da unten könnt verhungern, ihr könnt euch euren Lebensabend in die Haare schmieren, ihr braucht keine ärztliche Versorgung mehr, Pensionen auch nicht, Strom und Wasser auch nicht - ab Rosenheim und ab dem Brenner aber, da ist die Welt heil und schön. Ich glaube nicht, dass das geht.