Hepatitis-Mittel Sovaldi Die teuerste Pille der Welt

Der US-Konzern Gilead verlangt für eine einzige Tablette seines Hepatitis-C-Mittels Sovaldi 700 Euro. Die Drei-Monats-Ration kostet 60.000 Euro. Während der Hersteller profitiert, leiden die Patienten.

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Sovaldi-Tablette des US-Konzerns Gilead gegen Hepatitis-C Quelle: AP

Häufig bleibt die Krankheit zu lange unentdeckt: Viren greifen die Leber an, innerhalb von zwanzig Jahren kann das Organ zerstört sein. Weltweit sind etwa 150 Millionen Menschen mit Hepatitis C infiziert, etwa 300.000 sterben jährlich daran. In Deutschland dürften etwa 400.000 Menschen an der chronischen Leberinfektion leiden. Noch vor einem Vierteljahrhundert galt die Krankheit als nahezu unheilbar.

Doch in kaum einem anderen Gebiet der Medizin hat es in den vergangenen Jahren so gravierende Fortschritte gegeben wie bei Hepatitis C. Seit gut drei Monaten sorgt nun das Präparat Sovaldi des US-Konzerns Gilead für Furore: Wer das Mittel von seinem Arzt verschrieben bekommt, darf mit einer Heilungschance von 90 Prozent rechnen. Das Präparat wirkt nicht nur effektiver, sondern auch nebenwirkungsärmer als frühere Mittel gegen Hepatitis C, wo durchaus häufiger Grippesymptome oder Depressionen auftraten. Nun fallen dank Sovaldi auch solche hohen medizinischen Folgekosten weg. 

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Allerdings hat das Mittel seinen Preis – und zwar einen gewaltigen: Gut 60.000 Euro kostet die dreimonatige Behandlung. Weil zudem noch andere Tabletten dazu geschluckt werden müssen, können sich die Therapiekosten auch schnell auf etwa 100.000 Euro pro Patient summieren. Zum Vergleich: Auch frühere Behandlungen, etwa mit Interferonen und anderen Mitteln, summierten sich schon mal auf 50.000 Euro – bei stärkeren Nebenwirkungen.

"Das ist pure Gier", sagt Christiane Fischer, Geschäftsführerin von Mezis, einer Initiative unbestechlicher Arztinnen und Ärzte, "der utopische Preis ist nicht die Folge einer komplizierten Herstellung, denn das sind nur etwa 100 US-Dollar für die gesamte zwölfwöchige Therapie."

Forscher der Universität von Liverpool schätzen, dass die Produktion der Sovaldi-Tabletten für einen Behandlungszyklus gerade mal 136 Dollar kostet – das sind 0,00161 Prozent des Preises. Auch der frühere Präsident der deutschen Arznei-Zulassungsbehörde BfArM in Bonn, Walter Schwerdtfeger, findet klare Worte: Der Preis für Sovaldi sei "völlig überzogen" – selbst dann, wenn das neue Arzneimittel einen großen medizinischen Fortschritt mit sich bringt.  

Der stark überhöhte Preis dürfte vor allem damit zu tun haben, dass Gilead 2012 für elf Milliarden Dollar einen kleinen Medikamenten-Hersteller namens Pharmasset  kaufte – ein wahnwitzig scheinende Wette. Denn Pharmasset hatte zu dem Zeitpunkt noch überhaupt kein Medikament auf dem Markt und erwirtschaftete einen Umsatz von weniger als einer Million Euro. Es hatte lediglich ein vielversprechendes Mittel gegen Hepatitis C, nämlich Sovaldi, in der Entwicklung. Seinen Einsatz will Gilead nun refinanzieren. Im vergangenen Quartal setzte der US-Konzern mit Sovaldi weltweit bereits 3,5 Milliarden Dollar um.

Konkurrenz durch Johnson & Johnson

Für Krankenkassen und Ärzte – und damit auch für die Patienten – wird der Mega-Preis zunehmend zum Problem. Die AOK befürchtet nach Angaben von Mezis-Geschäftsführerin Fischer bereits Ausgaben von bis zu fünf Milliarden Euro in diesem Jahr. Einige Kassen sollen die Ärzte bereits eindringlich aufgefordert haben, Sovaldi nur noch eingeschränkt zu verschreiben.

"Die Ärzte haben nun massiv Angst vor Regressforderungen der Krankenkassen", sagt Ingo van Thiel von der Deutschen Leberhilfe, die von engagierten Hepatitis-Patienten gegründet wurde. Die Folge: Viele Patienten, die auf das Mittel gehofft haben, bekommen dafür kein Rezept vom Arzt. "Bei uns mehren sich die Anrufe von Patienten, die völlig irritiert und aufgelöst von ihrem Arztbesuch zurückkommen", sagt van Thiel. Viele haben schließlich in den vergangenen Wochen über die Medien gehört, dass es nun ein sehr gutes Mittel  gibt – und müssen dann erfahren, dass sie es leider nicht erhalten. "Wir würden uns wünschen, dass Kassen und Hersteller aufeinander zugehen", so van Thiel.

Dabei können die deutschen Patienten noch von Glück reden, dass Sovaldi in Deutschland überhaupt verfügbar ist. In osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Bulgarien und Kroatien ist das Mittel aus Kostengründen gar nicht erst auf den Markt gekommen, berichtet van Thiel. Auch für die meisten  Patienten in den armen Ländern – wo 90 Prozent der Hepatitis-Fälle auftreten – ist das Mittel unbezahlbar.

An dem hohen Preis dürfte sich auch so schnell nichts ändern. Noch darf Hersteller Gilead seinen Preis in Deutschland selbst festlegen – erst nach einem Jahr muss das Unternehmen mit den Kassen in Verhandlungen treten. Ob sich dann am Preis viel ändert, ist auch fraglich – schließlich kann Gilead auf den großen Nutzen verweisen.

Für Preissenkungen könnte indes die zunehmende Zahl von Konkurrenzpräpaten sorgen. Neben Gilead hat auch der US-Konzern Johnson & Johnson ein Mittel auf den Markt gebracht – zum Preis von etwa 48.000 Euro. Das Präparat sei jedoch nicht ganz so effektiv wie Sovaldi, heißt es.

Als nächstes dürfte der US-Konzern Bristol Myers Squibb mit einem neuen Hepatits-C-Mittel aufwarten. Auch von weiteren US-Firmen wie Merck & Co. und Abbvie sind entsprechende Arzneien in Vorbereitung. Das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim dagegen hat seine Entwicklung wegen der starken Konkurrenz  zurückgezogen.

Bis sich die neuen Präparate etabliert haben, dürfte es noch dauern. "Die Preise werden voraussichtlich erst Anfang  nächsten Jahres etwas sinken", sagt van Thiel von der Deutschen Leberhilfe. Dann können hoffentlich auch mehr Patienten von dem Mittel profitieren – und nicht nur Gilead.      

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