So schlimm wie die Südzucker AG hat es nur wenige Unternehmen getroffen. "Die Wathose wird hier langsam zu unserer normalen Berufskleidung", klagte ein Mitarbeiter der überfluteten Zuckerfabrik im anhaltinischen Zeitz, 40 Kilometer südlich von Leipzig, Mitte der Woche. Wathosen sind Beinkleider, meist aus Neopren oder Nylongewebe. Wer sie trägt, kann trockenen Körpers auch durch hüfthohes Wasser schreiten.
Ohne solche wasserdichten Hosen wären die 150 Beschäftigten von Südzucker nicht auf das Werksgelände gelangt, das völlig vom Hochwasser überflutet war. Die Anlagen zur Produktion von Zucker- und Bioalkohol an der Weißen Elster, einem Nebenarm der Saale, mussten wegen der Überschwemmung gestoppt, vollgelaufene Keller und Fahrstuhlschächte leer gepumpt werden.
Der Horror für Kleinunternehmen
Einziges Glück im Unglück: Der Anlieferungshof für Zuckerrüben war zwar auch überflutet, aber auf ihm lagen gerade keine Zuckerrüben zur Verarbeitung. So blieben die Schäden überschaubar. Und Fabrikdirektor Philipp Schlüter durfte sich bei seinen im Schlamm watenden Mitarbeiter für deren "enthusiastischen Einsatz" bedanken. Vom Fabrikdirektor gelobt werden – die Flut als Motivations-Inkubator?
Der Anstieg der Flusspegel in Niederbayern und Sachsen in den vergangenen Tagen auf gut acht Meter brachte für Wohnungen, Häuser und Kleinbetriebe den Horror: aufgequollenes Mobiliar, zerstörte Computer, verdrecktes Interieur. Größere Industriebetriebe mit 100 und mehr Beschäftigten kamen meist mit dem Schrecken davon. Vielerorts haben die Unternehmen, die auf größeren Arealen in der Nähe von Elbe, Saale und ihren Nebenflüssen ihre Fabrikation unterhalten, aus der Hochwasserkatastrophe von 2002 gelernt. Zahlreiche Deiche wurden verstärkt und höher gezogen, sodass zumindest direkte Auswirkungen auf die Produktion oft ausblieben. Vor den großen Flut-Toren der Industriebetriebe schwappten oft nur kleine Pfützen.
Neuer Schwung bei Baumärkten
Gleichwohl brachte die Flut, so zynisch es anmuten mag, Schwung ins Geschäft so mancher, die vom Schaden anderer profitieren. Baumärkte wie Max Bahr, Toom Baumarkt und Hellwig unterboten sich gegenseitig mit Rabatten für Ausbesserungsmaterialien. Im Radio wechselten sich die Flutwarnungen mit den Werbespots von Do-it-yourself-Märkten ab. "Der Absatz von Baumaterial ersetzt den wegbrechenden Umsatz von Gartenmöbeln", hat ein Baumarkt-Manager ausgerechnet.
Weniger sichtbar sind allerdings die indirekten Schäden, die das Hochwasser in Betrieben anrichtete. Denn weil Brücken und Straßen in den braunen Wassermassen versanken, brachen die Logistikketten vieler Betriebe und setzten, weil Teile und Material fehlten, die Produktion matt. So stoppte Volkswagen sein Werk in Zwickau, Porsche musste die Förderbänder in Leipzig anhalten. Lastwagen stoppten vor zerstörten Brücken, Lastkähne konnten gar nicht erst mit Fracht beladen werden.
Der Nachschub bleibt aus
Der fehlende Nachschub an Zulieferteilen verdammte die 8000 Beschäftigten von VW in Zwickau in der Früh- und der Spätschicht am Montag zum Nichtstun. Denn das Motorenwerk in Chemnitz konnte seine Lieferung nicht über die Straßen bringen, weil diese gesperrt oder von Flut-Rettungskräften blockiert waren. Auch Hinterachsmodule, die vom VW-Hoflogistiker Schnellecke im benachbarten Glauchau vormontiert werden, konnten aus diesem Grund nicht in Richtung Zwickau verladen werden. Erst als die Zufahrtswege geräumt waren, lief die Fertigung wieder an. In der Nacht zum Dienstag konnten in Zwickau wieder Golf und Passat vom Band laufen. Besorgte Anrufer aus der Wolfsburger Zentrale, ob denn das Werk beschädigt sei, konnten die dortigen Manager beruhigen. Nein, die Werkshallen seien nicht überflutet, meldeten sie, auf dem Gelände seien sogar 170 flutgeschädigte Zwickauer untergebracht – VW als Volksarche gegen die zweite Sintflut in gut zehn Jahren.
Auch die Menschen können nicht zur Fabrik
Porsche in Leipzig, wo der sportliche Geländewagen Cayenne montiert wird, musste die Bänder am Mittwoch in der Spätschicht anhalten. Es fehlte an Karosserien für den Brummer: Das VW-Karosseriewerk im slowakischen Bratislava konnte die Blechteile nicht nach Leipzig spedieren, die Lkws steckten in Kolonnen fest. "Die Kette ist zerrissen", sagte ein Mitarbeiter achselzuckend.
Nicht nur Material, auch der Mensch blieb aus, weil das Wasser ihn stoppte. So kehrte beim Getränkeabfüllanlagen-Hersteller Krones in Oberbayern ungewohnte Stille ein. Die 950 Beschäftigten der Standorte Rosenheim und Raubling konnten trotz besten Willens nicht zur Arbeit kommen, weil die Straßen unpassierbar waren. Einen Tag brauchte es, bis die Fertigung wieder anlief. Die Produktionsausfälle sollen aufgeholt werden, heißt es bei Krones.
Von den Fluten vollständig verschont geblieben ist diesmal der Druckmaschinenbauer König+Bauer – dank sehr aufwendiger Schutzmaßnahmen nach der Hochwasserkatastrophe 2002. "Wir sind trocken geblieben", sagt ein Mitarbeiter erleichtert. Der Elbdeich unweit des Werkes ist in den vergangenen Jahren für 30 Millionen Euro so erhöht und verstärkt worden, dass er diesmal hielt. Auch die Ventile, die verhindern sollen, dass die braune Brühe aus der Elbe ins Werk schwappt, taten ihren Dienst und verhinderten Schäden am Werk.
Ähnliches Glück war den Nomos-Uhrenherstellern in Glashütte beschieden. Obwohl von den anschwellenden Bächen Müglitz und Prießnitz umgeben, blieben die Fertigungshallen trocken. Ein nahe gelegener Damm, 2002 beschlossen und jetzt noch nicht einmal ganz fertig, sorgte trotzdem dafür, dass Nomos die Funktionstüchtigkeit seiner wasserdichten Uhren nicht unfreiwillig unter Beweis stellen musste.
Angst vor kontaminiertem Wasser
Dramatisch verlief die Sicherung eines Großdeiches zum Schutz des Chemieparkes Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt. 200 Bundeswehrsoldaten waren im Einsatz, um den Deich zu verstärken. Die Gefahr einer Überflutung des Chemieareals, auf dem Werke von Evonik, Bayer und Akzo stehen, war so groß, dass die Bundeswehr zur Sicherung des Industriegebiets alle Befehlsgewalt an sich gerissen hatte und die Straßen mancherorts wie ein Heerlager aussahen. Gefahren- und Beschwichtigungsmeldungen kreuzten sich.
Während die Bundeswehr argwöhnte, das Flutwasser im Chemiepark könnte "kontaminiert" werden, beruhigte die Kreisverwaltung die Bevölkerung, "die Gefahr einer Überschwemmung des Chemiegeländes bestehe nicht". Noch am Donnerstagnachmittag sahen der Landrat von Bitterfeld und der Katastrophenstab keine Gefahr für den Chemiepark. Eine Überflutung des Areals trotz dieser amtlichen Einschätzungen wäre indes eine der größten Industriekatastrophen in Deutschland, nach den Chemieunfällen von Hoechst Anfang der Neunzigerjahre.
Hamburg wartet auf die Flutwelle
Unsicherheit besteht darüber, wie teuer die Flutwellen den Steuerzahler kommen. Effektvoll versprach die Kanzlerin gleich nach ihrem Hubschrauberflug über die Flutgebiete eine "Soforthilfe" in Höhe von 100 Millionen Euro. Doch dabei wird es nicht bleiben. In Summe hat der Staat nach der Flut 2002 für Sofort- und Wiederaufbaumaßnahmen knapp neun Milliarden Euro bezahlt.
Die Rechnung der Versicherer, die nach der Naturkatastrophe zur Kasse gebeten werden, steht noch nicht: Nach 2002 zahlte die deutsche Assekuranz 1,8 Milliarden Euro. Der volkswirtschaftliche Schaden wurde mit 15 Milliarden Euro beziffert. Diesmal, so schätzen Insider, werden die Summen deutlich niedriger liegen. Gespannt blicken die Hamburger der kommenden Flutwelle entgegen, die sich auf sie zubewegt.
Um Lauenburg vor den Toren der Hansestadt zu schützen, will die dortige Freiwillige Feuerwehr eine Elbschleuse nach Hamburg öffnen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dadurch das Vorareal des stillgelegten Atomkraftwerks Krümmel überschwemmt wird.
Eine Gefährdung der kerntechnischen Anlagen gebe es nicht, heißt es beim Betreiber, dem schwedischen Vattenfall-Konzern. Die Belegschaft sei darauf vorbereitet, erstmals in der Geschichte des Kernkraftwerks bei Hochwasser die Fluttore zu schließen.