Hype um Wasserstoff Die Vergessenen der Wasserstoff-Strategie

Deutsche mittelständische Unternehmen kommen bei der Wasserstoff-Strategie unter die Räder. Quelle: Getty Images

Wasserstoff gilt als Heilsbringer für die Transformation der Industrie in eine CO2-arme Welt. Die Politik subventioniert die Technologie mit Milliarden. Ausgerechnet innovative Mittelständler fühlen sich ausgeschlossen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Sebastian Niehoff ist keiner, der sich schnell unterkriegen lässt. Vor ein paar Wochen hat er sich den Fuß verknackst und war trotzdem am nächsten Tag wieder auf der Arbeit. Die Wasserstoffexpertise hat er sich selbst aufgebaut und dazu ein ganzes Unternehmen. Nur sein Engagement trifft bei der Politik auf wenig Gegenliebe – und lässt den Ben-Tec-Chef immer öfter frustriert zurück. Denn während die großen Firmen die Fördermilliarden abgreifen, sitzt der Unternehmer in Rheine und schimpft auf die Politik: „Die Politik vergisst kleine Unternehme wie uns. Das Geld kriegen immer nur die Gleichen und das ist auch noch ineffizient.“

Seit Jahren ist der mittelständische Unternehmer im Thema drin, da gab es keine Wasserstoffstrategie und keine Milliardensummen. Er hat mit Ben-Tec ein Ingenieurbüro für Wasserstoffanlagen aufgebaut, produziert mit Firmen in seinem Verbund aber auch Brennstoffzellen und baut Wasserstofftankstellen. Vom aktuellen Hype nun hatte er sich versprochen, dass das Thema vorankommt, schnell, effizient und das für seine innovativen Projekte das ein oder andere Sümmchen abspringt.

Doch bei der Firma Ben-Tec sind sie trotz guter Skizzen mit so vielen Förderanträgen gescheitert, dass Gründer und Geschäftsführer Sebastian Niehoff nur noch wütend ist. „Wasserstoff ist ein Hype, aber die Politik macht wesentliche Fehler, weil sie Milliarden auslobt, an die dann aber nur Unternehmen drankommen, die sowieso Milliarden haben“, sagt der Chef von Ben-Tec. „An die Fleischtöpfe kommen nur die dicken Unternehmen, aber der innovative Mittelständler geht oftmals leer aus.“ Dazu käme, dass das oft Projekte sind, die in fünf oder zehn Jahren interessant würden, heute aber nichts bringen würden. „Wir verlieren so viel Zeit durch diesen Förderwahnsinn“, sagt Niehoff.

Lesen Sie auch: Das Start-up Enapter will Elektrolyseure für Wasserstoff zum Massengut machen

Es ist die Kehrseite der Fördermilliarden und des aktuellen Hypes um das Thema Wasserstoff, bei dem plötzlich jeder mitverdienen will. Die einen jubeln, die anderen resignieren. Große Konzerne aus dem Bereich Transport und Verkehr, Stahl und Chemie haben schon die Dollar-Zeichen in den Augen, sie werden von der Politik hofiert und der Wasserstoff in den Industrien als Heilsbringer gesehen. Die Führungsebene von Salzgitter freut sich gerade über einen Millionenzuschuss, FlixMobility, Freudenberg und ZF entwickeln einen wasserstoffbetriebenen Fernbus, Thyssenkrupp macht wieder mehr Umsatz, weil die Wasserstoff-Tochter performt, RWE will groß in Wasserstoff machen. Und sie alle wollen an die dicken Fördertöpfe. Es herrscht Goldgräberstimmung in einigen Teilen der Wirtschaft, während in anderen der Frust grassiert. Wie kann das sein?

Wasserstoff gilt als Milliardenprojekt des Bundes und als unverzichtbar für die Energiewende. Im Fokus steht dabei die Elektrolyse. Bei ihr wird mit Hilfe von Wasser und Strom reiner Wasserstoff hergestellt. Kommt der Strom dafür noch aus erneuerbaren Energien wie Windkraft, sprechen die Experten von grünem Wasserstoff. Nützlich ist er überall dort, wo bisher mit umweltschädlichen Rohstoffen gearbeitet wird, angefangen beim Dieselmotor über die Industrie bis hin zur Heizung in den heimischen vier Wänden.

Die Politik hat das Thema vermeintlich für sich entdeckt, eine Nationale Wasserstoffstrategie entwickelt und zuletzt acht Milliarden Euro über diverse Förderprogramme investiert. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien wie Windkraft und der Infrastruktur für Elektromobilität könnte Wasserstoff einer der Treiber für nachhaltigeres Wirtschaften in Deutschland werden, glaubte auch Peter Altmaier und der Ex-Bundeswirtschaftsminister (CDU) verkündete zum Start der Strategie im Juni 2020: „Wir müssen heute die Weichen dafür stellen, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt wird.“



Doch zwei Jahre später fühlen sich Teile des Mittelstandes vernachlässigt, ausgegrenzt – vergessen. Beispiel Ben-Tec: Eigentlich wäre Niehoffs Firma prädestiniert für eine Förderung, zumindest in seinen Augen: innovativ, Vorreiter, schon dabei gewesen, bevor das Thema zum Hype wurde, sagt er. Fast 20 Mitarbeiter hat er heute und ist breit aufgestellt, baut Tankstellen wie Brennstoffzellen und kann Wasserstoffprojekte auch planen. Die Politik aber mache es ihm schwer, an Förderungen zu kommen: Die Anträge seien unübersichtlich wie Labyrinthe und dann noch je Bundesland und Region anders.

In Bayern beispielsweise wollten sie die Förderung für eine Wasserstofftankstelle bekommen. Drei Monate Arbeit steckten anderthalb Arbeitskräfte in eine Machbarkeitsstudie und den Antrag. Alles war fertig, doch dann wurde das Förderprogramm kurzfristig abgesagt und vertagt. Erst sollte es eine deutschlandweite Förderung geben, jetzt soll das Programm doch wieder zurückkommen und Ben-Tec soll sich neu bewerben – ohne Garantie auf Erfolg. Für die Firma ist das ärgerlich, teuer und ohne Alternative. „Ohne Förderung geht es nicht. Ich habe nicht mal eben zehn Millionen Euro auf der hohen Kante, um Projekte selbst zu finanzieren“, sagt Niehoff.

Noch ärgerlicher ist für ihn die Förderung aber bei den tatsächlich großen Projekte. Das Bundeswirtschafsministerium beispielsweise hat vor einiger Zeit etwa das Projekt „Wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse“ (kurz: IPEIC) für Infrastrukturprojekte gestartet. Die Initiative soll „Investitionen in Erzeugung von grünem Wasserstoff, in Wasserstoffinfrastruktur und die Nutzung von Wasserstoff in der Industrie und für Mobilität“ fördern. Niehoff hatte sich mit einem patentierten Produkt beworben, um es aus dem Entwicklungsstadium in die Produktion zu bekommen – und wieder keinen Zuschlag erhalten. Stattdessen kamen viele deutsche Konzerne zum Zug, wie die finale Zuschlagsliste des Ministeriums zeigt, darunter etwa RWE oder BASF. Kleine Unternehmen sind auf der Liste kaum zu finden.

In der Summe entsteht so womöglich ein Missverhältnis zwischen der Förderung für die großen Spieler, die als Konzerne viel bewegen könnten und den kleinen Mittelständlern, die mit innovativen Ideen einen wichtigen Beitrag leisten könnten. Das kann durchaus schon einmal zu Frust führen und dazu, dass Menschen wie Niehoff ihre Ideen irgendwann an große Unternehmen verkaufen müssen, weil das nötige Kleingeld zur Weiterentwicklung fehlt. Niehoff geht sogar so weit, dass er sagt: „Ich freue mich, wenn der Hype vorbei ist.“

Andreas Jahn vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft und Mitinitiator der Mittelstandsoffensive „Wasserstoff“ kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Er schaut nicht nur auf ein Unternehmen, sondern hat die ganze Wirtschaft und seine Mitglieder im Blick, sagt: „Kleine und mittelständische Unternehmen kommen viel schwieriger an die Fördertöpfe“, sagt er. „Die Kleinen werden hier vergessen, das kann nicht richtig sein.“

Bei Viessmann sind sie ebenfalls frustriert und tadeln die Politik, dabei wäre ihre Firma eigentlich groß genug, um sich Fördertöpfe und Milliardenchancen unter den Nagel zu reißen. Beim Wärme- und Heizspezialisten haben sie aber ein ganz anderes Problem: „Die Politik interessiert sich schlicht nicht für die Wärmebranche, wenn es um das Thema Wasserstoff geht. Wir bräuchten nicht mal Geld, sondern nur ein echtes Bekenntnis und könnten Millionen Tonnen CO2 einsparen“, sagt CTO Markus Klausner. „Aber da kommt nichts.“

Lesen Sie auch: Soll ich künftig wirklich mit Wasserstoff heizen?

Was Klausner meint, das erzählt er mit viel Elan, auch wenn bei Fragen nach der Politik auch hier der Frust mitschwingt. Der Heizspezialist setzt neben Wärmepumpen stark auf Wasserstoff als Beimischung und später vielleicht als Ersatz zum umweltschädlichen Erdgas, mit dem heute in Deutschland Millionen Haushalte heizen. „Wenn wir diejenigen Haushalte, für die Wärmepumpen keine geeignete Option sind, aber mit Wasserstoff statt Erdgas beliefern können, das würde einen riesigen Unterschied bei den CO2-Emissionen machen“, sagt Klausner. Einer Studie der Deutschen Energie-Agentur (dena) zufolge, lassen sich durch den Einsatz von Wasserstoff bis zu 260 Milliarden Euro bis 2050 einsparen, im Vergleich zu rein elektrischen Lösungen für den Wärmesektor.

Geleitet werden könnte der Wasserstoff durch die bestehenden Gasnetze, wenn man diese umrüstet. Eine Zumischung  von 20 bis 30 Prozent könnten die heutigen Gas-Brennwertgeräte von Viessmann schon vertragen, ein Umbau wäre verhältnismäßig günstig und 100 Prozent seien auf Dauer möglich. „Wir können jetzt abliefern, aber die Politik will nicht“, sagt Klausner, der vergeblich um die Liebe der Politik für das Thema buhlt. Als die damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze bei einem Treffen vor Ort war, versuchte man sie von der Idee zu überzeugen, den Wasserstoffanteil im Gasnetz zu erhöhen – ohne Erfolg. Die Linie der Bundesregierung sei klar gewesen: Das Geld gehe an die Stahlindustrie, an die Chemieindustrie und in den Verkehrssektor. „Es geht nicht mehr um Fakten, sondern nur noch um Ideologie. Das halten wir für gefährlich“, warnt Klausner.

Aussicht auf Besserung gibt es bisher offenbar kaum: Im Koalitionsvertrag der neuen nun amtierenden Bundesregierung stehe nach erster Prüfung nichts, was ihm Hoffnung machen könne. Stattdessen: Ähnliche Bekenntnisse für die gleichen Branchen – und die könnten nicht glücklicher sein. Bestes Beispiel: Deutz AG.

In deren Zentrale in Köln, hält Ende 2021 Frank Hiller, Boss der Deutz AG, die Hand über dem roten Knopf. Ihm gegenüber stehen geladene Gäste, teils mit Sakko, teils im Overall, dahinter die Produktion des Maschinenherstellers Deutz, die an diesem Festtag verlassen ruht. Frank Hiller wartet noch kurz, dann drücken er und NRW-Verkehrsministerin Ina Brandes den roten Knopf.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Die Explosion bleibt aus, dafür kommt die Enthüllung: der zehnmillionste Motor. Es ist ein Meilenstein in einer nicht immer einfachen Firmenhistorie und das nicht nur wegen der Zahl. Der Motor ist ein Statement: Denn Motor Nummer 10.000.000 funktioniert mit Wasserstoff und ist damit die Zukunft der Traditionsfirma. Dass sie in die Richtung gehen, ist noch relativ frisch. Seit rund drei oder vier Jahren schrauben sie daran, wollen jetzt aber die Produktion noch ausbauen und loben die Politik: „In unserem Bereich könnte die Politik mehr fördern, aber das würde nichts bringen. Wir geben schon Vollgas“, prahlt Hiller.

Mehr zum Thema: 14.300 Euro pro Auto überweist der Staat einer Leasinggesellschaft aus dem Umfeld des Hyundai-Konzerns, um Wasserstoffmobilität zu fördern. Die investiert das Geld – in Hyundai-Autos.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%