Klaus Hinterding ist Vizepräsident bei AstraZeneca Deutschland.
WirtschaftsWoche: Herr Hinterding, viele Deutsche lehnen den AstraZeneca-Impfstoff ab, weil er – mit etwa 70 Prozent – im Vergleich weniger schützt als die Vakzine von Biontech oder Moderna. Was sagen Sie denen?
Klaus Hinterding: Mit unserem Impfstoff steht ein sehr effektiver Impfstoff zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. In allen bisher ausgewerteten klinischen Studien konnte die Impfung vor schweren Verläufen der Covid-19-Erkrankung sowie Krankenhausaufenthalten schützen. Diese Schutzwirkung setzt bereits nach der ersten Dosis ein. Mit Blick auf die Verhinderung von milden und moderaten symptomatischen Covid-19-Erkrankungen belegen unsere Daten ebenfalls eine gute Wirksamkeit. Diese ist abhängig vom Abstand der ersten und zweiten Dosis und beträgt bei einem Impfintervall von acht bis zwölf Wochen 72 Prozent.
Und wie schützt Ihr Impfstoff bei schweren Verläufen?
Seit Anfang dieser Woche liegen reale Daten zur Wirksamkeit unseres für Covid-19-Vakzins bei über 5,4 Millionen Menschen in Schottland vor. Der Nachweis zeigt, dass der Impfstoff in der Lage ist, das Risiko einer Covid-19-bedingten Krankenhauseinweisung nach der ersten Dosis um bis zu 94 Prozent zu reduzieren. Diese Daten untermauern die Tatsache, dass unser Impfstoff vor schweren Covid-19-Fällen schützt, und das wurde hier auch insbesondere in älteren Bevölkerungsgruppen, die das höchste Risiko für schwere Covid-19-Fälle haben, gezeigt.
Hamburg hat 19,9% der ausgelieferten Dosen des #Corona-Vakzins von @AstraZeneca verimpft.
— Olaf Gersemann (@OlafGersemann) February 20, 2021
Bundesweit sind es nur 10%. Und in #BadenWürttemberg sogar nur 1,9%.
Wären die Trödel-Schwaben so fix wie die Hanseaten, wären im Ländle 39.641 statt 3817 Menschen Astra-geimpft.@welt pic.twitter.com/FBqJS6BCe0
Und wie erklären Sie sich, dass in Kliniken oder Feuerwachen in Deutschland nach der Impfung mit AstraZeneca bis zu vierzig Prozent der Belegschaft über Nebenwirkungen klagten?
Die uns bisher bekannten Impfreaktionen zeigen, dass die Immunantwort auf unseren Impfstoff genauso ist, wie wir sie aufgrund der Erkenntnisse aus unserem klinischen Studienprogramm erwartet haben. Das Immunsystem von jüngeren Erwachsenen reagiert in der Regel stärker als das älterer Menschen. Die am häufigsten berichteten Reaktionen waren Druckempfindlichkeit und Schmerzen an der Injektionsstelle sowie grippeähnliche Symptome, die binnen weniger Tage vollständig zurückgingen. Natürlich nehmen wir jede Meldung von unerwünschten Ereignissen sehr ernst. Und wie bei allen unseren Arzneimitteln haben wir einen robusten Überwachungs- und Bewertungsprozess, mit dem wir die Reaktionen als Teil unserer routinemäßigen Pharmakovigilanz-Aktivitäten überwachen und melden.
Wie sich die Corona-Impfstoffe unterscheiden
Forscher liefern sich weltweit ein Wettrennen um wirksame Impfstoffe gegen Covid-19. Alle Impfstoffkandidaten basieren auf demselben Grundprinzip: Dem Abwehrsystem des Körpers werden Teile des Coronavirus präsentiert (Antigene), auf die die Immunzellen eine Antwort (Antikörper) herausbilden und so eine Immunität gegenüber dem Krankheitserreger aufbauen.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen, etwa, welche Antigen-Teile dem Immunsystem wie präsentiert werden. Hier stehen derzeit zwei Entwicklungslinien im Fokus:
- Impfstoffe mit Vektorviren, das bedeutet so viel wie "Träger-Viren"
- und die neuartigen mRNA-Impfstoffe.
Stand: 11. Mai 2021
mRNA-Impfstoffe enthalten Abschnitte aus dem Erbgut des Coronavirus, die sogenannte messenger-RNA (kurz mRNA), die auch als Boten-RNA bezeichnet wird. Hiervon wird eine sehr geringe Menge dem Menschen in den Muskel injiziert. Die Körperzellen nehmen die Partikel auf und entschlüsseln die enthaltene Erbinformation. Kurzzeitig produzieren sie ein sogenanntes Spike-Protein, das an der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Es macht vereinfacht gesagt dem Immunsystem deutlich, dass hier etwas Körperfremdes zu finden ist, das es unschädlich zu machen gilt. Für dieses Oberflächenprotein bildet das Abwehrsystem also Antikörper, die es ihm bei einer späteren Infektion mit dem Coronavirus ermöglichen, den Eindringling schnell zu erkennen und sofort eine Immunantwort parat zu haben.
Studien haben gezeigt, dass hiervon keine Gefahr für den menschlichen Körper ausgeht. Die eingeschleusten Erbgut-Teilchen werden innerhalb kurzer Zeit von den menschlichen Zellen abgebaut. Sie werden nicht in die menschliche DNA eingebaut. Sobald die mRNA des Impfstoffs abgebaut ist, findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Die mRNA-Impfstoffe können innerhalb weniger Wochen in sehr großen Mengen hergestellt werden. Sie bringen jedoch die Herausforderung mit sich, dass sie nach derzeitigem Forschungs- und Entwicklungsstand bei extrem niedrigen Temperaturen transportiert und dauerhaft gelagert werden müssen (-20 bis -80 Grad Celsius). Deshalb werden sie vorrangig in speziell dafür ausgerüsteten Impfzentren verabreicht. Hier soll der Moderna-Impfstoff allerdings einen Vorteil haben: Laut dem Hersteller kann er bis zu 12 Stunden bei Raumtemperatur und 30 Tage im Kühlschrank (2 bis 8°C) gelagert werden.
Für vektorbasierte Impfstoffe werden für Menschen harmlose Viren als kleine Transporter zweckentfremdet – sozusagen als trojanisches Pferd. Die Viren werden so verändert, dass sie in ihrem Erbgut auch den Bauplan für einen oder mehrere Bestandteile (Antigene) desjenigen Erregers enthalten, gegen den eine Immunität (Antikörper) aufgebaut werden soll. Das Prinzip ist immer das gleiche: Die menschlichen Zellen sollen auch hier Teile des Spike-Proteins des Coronavirus herstellen, damit das Immunsystem "weiß", wen es angreifen soll.
Auch hier werden die Viren-Erbinformationen nicht in die menschliche DNA eingebaut. Nach dem Abbau der von den Vektorviren übertragenen Erbinformation findet keine weitere Produktion des Antigens statt.
Vektorimpfstoffe wurden bereits zugelassen (zum Beispiel Ebola-Impfstoffe). Die Corona-Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson & Johnson (J&J) sind Vektorimpfstoffe. Diese haben gegenüber den mRNA-Impfstoffen den Vorteil, dass sie bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad Celsius transportiert und gelagert werden können. Das macht ihren Einsatz in normalen Hausarztpraxen simpler. Das J&J-Präparat hat zudem den Vorteil, dass es nur einmal verabreicht werden muss. Die drei anderen bislang in Deutschland zugelassenen Corona-Impfstoffe (von AstraZeneca, Biontech/Pfizer und Moderna) müssen zwei Mal gespritzt werden.
Quelle: RKI, eigene Recherche
Der Impfstoffstart von AstraZeneca verlief holprig. Das begann schon bei den Studiendaten im Herbst, als einige Teilnehmer die halbe Dosis erhielten und endet nun vorerst bei Liefer- und Akzeptanzproblemen. Was hätte aus Ihrer Sicht besser laufen müssen? Welche Fehler hat AstraZeneca gemacht?
Von Beginn unseres Impfstoffprogramms an hatten wir gemeinsam mit der Universität Oxford die Vision, während der Pandemiezeit einen zügigen und gerechten Zugang zu dem Impfstoff zum Selbstkostenpreis – also ohne Profit – zu ermöglichen. Der Versuch, etwas in dieser Größenordnung und Komplexität in dieser Geschwindigkeit zu unternehmen, war beispiellos. AstraZeneca arbeitet dazu mit Wissenschaftlern, Regierungen, multilateralen Organisationen und Herstellern auf der ganzen Welt zusammen, denn die Pandemie kann nur gemeinsam bewältigt werden.
Und was sind nun die Fehler von AstraZeneca?
Inzwischen sind wir in über 50 Ländern zugelassen und es wurden bereits Millionen von Impfdosen unseres Vakzins weltweit verimpft. Auf dem Weg dorthin gab es an einigen Stellen Herausforderungen, das ist richtig. Aber angesichts dieser historischen Leistung möchte ich mich hier auf das konzentrieren, was erreicht wurde: Wir haben einen wirksamen Impfstoff, der vor schweren Verläufen und Krankenhausaufenthalten schützt, leicht zu transportieren ist, vom Hausarzt verabreicht werden kann und seit Februar in Deutschland verfügbar ist und damit helfen wird, die Pandemie einzudämmen. All das haben wir in einer unheimlich kurzen Zeit erreicht, die selbst Optimisten vor einem Jahr nicht für möglich gehalten haben. Das ist durchaus eine Leistung, auf die wir stolz sind, trotz all des Gegenwindes, der vielleicht auch dazu gehört.
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