Importe von Brammen Wie russischer Stahl trotz Sanktionen nach Deutschland kommt

Trotz der Sanktionen exportiert Russland fleißig weiter Stahl nach Europa Quelle: imago images

Die EU hat Metalle aus Russland sanktioniert. Doch dank Schlupflöchern exportieren russische Firmen nicht weniger Stahl nach Europa, sondern fast genauso viel wie vorher.

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Das Unternehmen N. (Name der Redaktion bekannt) ist ein russischer Weltkonzern aus dem Bilderbuch: Fast 80 Prozent der Firmenanteile gehören einer Holding mit Sitz im Steuerparadies, an der Spitze des Konstrukts sitzt ein mächtiger Oligarch, der den Präsidenten Wladimir Putin persönlich kennt. Auf Hochglanzfotos im Netz wirbt das Unternehmen mit Stahl, das in Hochöfen in Russland kocht, seinem größten Markt. Doch N. verdient auch Geld in Europa. Über ein Tochterunternehmen in Belgien kommen auch heute die Waren auf den Markt – völlig legal und vom Zoll abgenickt. Und das, obwohl Stahl aus Russland seit März von der Europäischen Union sanktioniert ist. Wie ist das möglich?

Dank Ausnahmeregelungen und Schlupflöchern in Gesetzen gehören die europäischen Länder auch nach dem Krieg in der Ukraine zu den größten Abnehmern von Stahlprodukten aus Russland. Teilweise als Vorerzeugnisse, teilweise als Fertigprodukte, die die Händler in anderen Ländern umetikettieren oder deren Herkunft sie verschleiern, findet Stahl in Europa seine Abnehmer. Das bestätigen Insider und Experten gleichermaßen.

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Schon vor dem Krieg verkauften russische Unternehmen in Europa große Mengen von Grobblechen. Die sogenannten Brammen wurden in Russland aus Erzen erzeugt und mit dem Schiff hierher transportiert. Von speziellen Unternehmen, den Re-Rollern, wurden die Vorprodukte ausgewalzt und hier verkauft, erzählt Gunnar Gröbler, seit vergangenem Jahr Vorstandsvorsitzender des Stahlproduzenten Salzgitter, im Podcast „Chefgespräch“ der WirtschaftsWoche. „Es scheint, dass die russischen Brammen ihren Weg auch weiterhin in die Welt finden“, sagt Gröbler.

Offensichtlich auch in den Westen. 40 Prozent aller ausgewiesener Stahlexporte aus Russland gingen bis Juni in die Europäische Union, so die Statistiker vom Zoll. Im Vorjahreszeitraum waren es sogar nur 37 Prozent.

Sicher, die Zahlen sind mit Einschränkung zu lesen. In der Tabelle inbegriffen sind auch die drei Monate vor den Sanktionen, auch fehlen Daten zum wichtigen Markt in China. Und trotzdem ist der Hinweis eindeutig. „Bestimmte russische Stahlerzeugnisse können auch weiterhin rechtmäßig in die EU eingeführt werden“, sagt Matteo Somaini, Präsident der Schweizer Stahlhändlervereinigung LCTA in Lugano. Voraussetzung sei, dass die Erzeugnisse von Unternehmen hergestellt würden, die nicht von den Sanktionen betroffen seien.

Und Ausnahmen gibt es genug. Laut der EU-Verordnung 2022/428 fallen Zwischenprodukte, so genanntes Halbzeug wie Brammen und Knüppel, nicht unter die Regelung. Das macht es für europäische Töchterunternehmen und Re-Roller wie N. einfach. Aus Russland importieren sie Zwischenerzeugnisse, walzen sie in Belgien aus und verkaufen den fertigen Stahl vor Ort an ihre Kunden weiter. „Es ist unverständlich, dass gerade Stahl aus Russland teilweise von den Sanktionen ausgenommen ist“, sagt Klaus Schmidtke von der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Der Interessenverband hat ausgerechnet, dass mehr als die Hälfte der vorherigen Stahlimporte heute von den Sanktionen ausgenommen sind, nämlich 4,7 Millionen Tonnen. Blickt man auf die Mengen der russischen Stahlwaren, die als Ausnahmen deklariert sind, sind sie in diesem Jahr sogar deutlich gestiegen. Allein in Italien ist die Menge der russischen Brammen und anderer um 35 Prozent gewachsen. In der EU stieg die Warenmenge um fast ein Viertel. So kommt es zum Paradox: Obwohl der russische Stahl in Europa sanktioniert ist, hat sich die Menge seiner Stahlprodukte seit dem Krieg insgesamt nur unwesentlich verringert.

„Die EU-Sanktionen sind in diesem Feld nicht konsequent ausgelegt und zu lückenhaft“, sagt Schmidtke. Er fürchtet für seine deutschen Mitglieder Nachteile im internationalen Wettbewerb. Denn während in Deutschland die Unternehmen zunehmend mit hohen Energiekosten kämpfen und vor einer Rezession stehen, können russische Unternehmen weiter Material auf dem europäischen Markt anbieten. Der russische Staat hilft kräftig mit. Ab Herbst sollen die Steuerbelastungen deutlich fallen.

Für die russischen Stahlgiganten wie MMK oder Severstal sind die Sanktionen eine schwere Last. Fast die Hälfte ihrer Produktion ging ins Ausland, der Großteil in die EU. Für Marktführer Severstal fiel die Rentabilität seiner Exporte seit März um 46 Prozent, gab das Unternehmen Ende Juli bekannt.

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Die Unternehmen versuchen seither auf andere Märkte umzusteuern. Größere Mengen der Produkte gingen zuletzt nach China oder in die Türkei. Dort sollen Teile auch weiter nach Deutschland geschafft worden sein, als Ware, die umetikettiert wurde oder als Produkt, dessen Herkunft schlicht unbekannt ist. Für Stahlimporte gibt es zwar Einfuhrquoten, doch sind diese derart lasch, dass die Waren nahezu frei auf den Weltmärkten zirkulieren.

Dass russische Unternehmen auf diese Weise lange Geschäfte betreiben können, muss dennoch bezweifelt werden. In russischen Medien sprechen die mächtigen Firmenbosse von einem Verlustgeschäft. Viele sorgen sich um die Zukunft. „Praktisch jeder Schritt der Produktionskette hängt ab von westlicher Technologie“, sagt einer. Diese zu ersetzen dürfte mehr als eine Dekade dauern. Dazu kommen Nachteile durch den starken Rubel und die Marktmacht der Konkurrenten auf neuen Märkten wie China oder Indien, wo die Staaten die einheimischen Erzeuger bevorteilen und die Russen ihre Produkte mit Preisabschlägen verkaufen müssen.

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Es liegt nahe, dass die Russen jetzt versuchen werden, die offenen Verkaufsmöglichkeiten in Europa auszunutzen. Besonders einschränken müssen sich die Händler bislang offensichtlich nicht.

Hören Sie hier das komplette Interview im Podcast „Chefgespräch“ mit Salzgitter-CEO Gunnar Gröbler

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