Industriekonzern Thyssenkrupps Neustart lässt auf sich warten

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Bei Hiesinger drängt die Zeit

Größtes Problem beider Verhandlungspartner sind die milliardenschweren Pensionslasten für ihre europäischen Stahlkocher. Die möchte am liebsten keiner der beiden in eine Stahlfusion einbringen. Zusätzlich erschwert der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union die Verhandlungen: Noch ist nicht klar, welche Auswirkungen der Brexit auf ein gemeinsames Stahlunternehmen hätte.

Um seine Aufsichtsräte und Aktionäre zu befrieden, müsste Hiesinger schon in den kommenden Wochen dem Tata-Chef zumindest eine Absichtserklärung abringen, sagen Insider. Wie eine Fusion dann genau aussähe, darüber könne man sicher noch ein, zwei Jahre verhandeln. Damit hätte Hiesinger immerhin Zeit gewonnen, den Verkauf den eigenen Leuten schmackhaft zu machen. Denn die Arbeitnehmervertreter opponieren gegen Hiesingers Plan.

Unsichere Perspektiven, Brexit, Ärger mit den Arbeitnehmern – bei Hiesinger drängt die Zeit, bei Chandrasekaran nicht. „Er kann Hiesinger seelenruhig mit einem Angebot kommen lassen“, sagt ein Stahlinsider mit tiefem Einblick in die Branche. Schon werde spekuliert, dass Hiesinger am Ende nichts anderes übrig bliebe, als seine Stahlhütten für einen symbolischen Kaufpreis nach Indien zu verschenken, wenn die Inder dafür zumindest die milliardenschweren Pensionsverpflichtungen auf sich nähmen.

Zwischen den Fronten im U-Boot-Deal

Doch auch an einer zweiten Front kochen die Probleme wieder hoch. Als Hiesinger von Siemens nach Essen wechselte, stand der Name Thyssenkrupp wie kaum ein anderer für Seilschaften und Schummeleien. Der Konzern war wegen Kartellen zu Milliardenstrafen verdonnert worden, nichts weniger als den Kulturwandel wollte Hiesinger. Eine seiner ersten Amtshandlungen war, dass er ein Vorstandsressort einrichtete, das die Einhaltung von Geschäftsregeln überwachen sollte: „Für uns ist Compliance vor allem eine Frage der Haltung.“ Doch die stimmt wohl bis heute in Essen nicht.

Die Causa Israel: Korruptionsermittlungen beim geplanten Verkauf von U-Booten belasten das Image. Quelle: dpa

Seit wenigen Wochen ist Hiesinger erneut in eine Korruptionsaffäre geraten, deren Sprengkraft kaum größer sein könnte. Verheerend für ihn: Er hat die Anschuldigungen in der Affäre um den Verkauf von U-Booten nach Israel zu lange unterschätzt.

Im Zentrum der Affäre steht der israelische Thyssenkrupp-Vertriebsmann Miki Ganor. Er soll bei der Vermittlung eines Deals über drei U-Boote im Wert von zwei Milliarden Dollar gemauschelt haben, die Affäre zieht sich hoch bis zum israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Auch gegen dessen persönlichen Rechtsberater und Verwandten David Schimron wird ermittelt.

Bestätigen sich die Vorwürfe, hängt Thyssenkrupp in einem Politikskandal mit Hollywood-Potenzial fest. Die Bundesregierung hat den U-Boot-Deal auf Eis gelegt. Die schon unterschriftsreife Absichtserklärung werde man vorerst nicht unterzeichnen, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.

Wer am meisten für Rüstung ausgibt
Soldaten Quelle: REUTERS
Südkoreanische Soldaten Quelle: AP
Ursula von der Leyen besucht Bundeswehr-Soldaten in Kiel Quelle: REUTERS
Japanische Flagge in Tokio Quelle: dpa
Tower Bridge in London Quelle: REUTERS
Ein französischer Soldat patrouilliert an Wahlplakaten in Paris vorbei Quelle: AP
Soldaten der indischen Armee Quelle: REUTERS

Doch in Essen wähnte man sich über ein halbes Jahr lang in Sicherheit. Viel mehr noch: Das Rüstungsgeschäft erschien bei allen Beteiligten auf deutscher Seite bis vor Kurzem noch so „weiß wie Schnee“, absolut sauber, sagt ein deutscher Rüstungsexperte. Als die ersten Vorwürfe Anfang des Jahres auftauchten, kündigte Compliance-Chef Donatus Kaufmann den Vertrag von Ganor nicht, sondern legte den Vertrag mit ihm auf Eis, stoppte die Zahlungen an den Mann. Er leitete eine interne Untersuchung ein. Viel zur Aufklärung beitragen konnte Thyssenkrupp bisher nicht. Hinweise auf Korruption seien nicht gefunden worden.

Der Grund für die Ruhe in Essen: Hiesingers Truppe verließ sich auf die Unterstützung der Bundesregierung. Den Deal hatte diese schließlich abgenickt. Und den Israelis finanzielle Hilfe in dreistelliger Millionenhöhe zugesichert, wenn sie bei den Deutschen ihre U-Boote bestellten. Inzwischen sind seit Mitte Juli sieben Personen wegen Bestechung, Betrug und Schmiergeldzahlungen in Israel verhaftet worden. Unter ihnen auch Thyssenkrupp-Mann Ganor, der nun als Kronzeuge gegen Netanjahu aussagen soll.

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