Industrieroboter Wie Roboter den Mittelstand verändern

Bislang mussten Roboter in der Industrie aus Sicherheitsgründen in Käfigen werkeln. Langsam beginnen Mensch und Maschine, Hand in Hand zu arbeiten. Davon kann auch der Mittelstand profitieren.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Es kann losgehen. Stephan Bernstein ist an einem Metallgestell fixiert. Augenklappen und Kopfhörer machen ihn blind und taub. In wenigen Sekunden wird eine fein erdachte Folter beginnen.

Pendel mit zunehmend schwereren Gewichten werden auf den Körper des 56-Jährigen einwirken. Assistenten an seiner Seite testen, wann die Pendel die Schmerzschwelle des schlanken Mannes erreichen.

Bernstein befindet sich weder in einem schummrig beleuchteten Keller, noch ist einer der Beteiligten in Lack oder Leder gehüllt. Der Raum ist lichtdurchflutet, die Beobachter tragen Jeans und T-Shirt. Ziel der Veranstaltung ist nicht, die Testperson zu quälen, sondern Schmerzen und Verletzungen künftig zu vermeiden.

Das Labor des Fraunhofer-Instituts IFF in Magdeburg ist eine der Einrichtungen in Deutschland, die zurzeit erforschen, wann Zusammenstöße von Robotern mit Menschen gefährlich werden. Im Zentrum steht die Frage, wie kräftig ein zufälliger Schubser von einem Roboter sein darf, bevor ihn Menschen als unangenehm empfinden. „Wir wollen die Roboter aus den Käfigen befreien“, sagt Norbert Elkmann, der Leiter des Bereichs Robotersysteme des Fraunhofer in Magdeburg, „Roboter und Menschen sollen Hand in Hand arbeiten.“

Selbstständig agierende Automaten an der Seite des Menschen zählen zu den wichtigen Elementen der digitalen Fertigung, auch Industrie 4.0 genannt, an der die Unternehmen mit Hochdruck arbeiten. Verrichten Produktionsroboter heute noch ihr Schweiß-, Lackier- und sonstiges Tagwerk vorwiegend hinter Gittern, kooperieren sie künftig direkt mit Menschen.

Die größten Trends in Hannover
Festo BionicANTs Quelle: PR
TU Wien – Alu in Pulverform Quelle: PR
Weippert Kunststoffschrauben Quelle: PR
Sonotec Sonaphone Quelle: PR
Bionic Robotics Leichtbauroboter Quelle: PR
Fluid Dynamix Quelle: PR
MediGlove Quelle: PR

Das wird ein neues Zeitalter in der gesamten industriellen Produktion einläuten. Bislang setzen vor allem große Konzerne Roboter ein. Doch das ändert sich jetzt. „Die neue Technik macht den Einsatz von Robotern flexibel und damit auch für kleinere Unternehmen interessant“, sagt Stefan Sagert, Robotikexperte beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. „Wir gehen davon aus, dass der Anteil der Mensch-Roboter-Systeme in den kommenden Jahren steil ansteigt.“

Klassische Roboter wiegen bis zu fünf Tonnen, entfalten enorme Kräfte und beschleunigen Werkstücke von über einer Tonne Gewicht auf eine Geschwindigkeit von bis zu zwei Metern pro Sekunde.

Vor wenigen Monaten kam im Volkswagenwerk im hessischen Baunatal ein Arbeiter beim Einrichten eines solchen Monstrums ums Leben. „Ein herkömmlicher Industrieroboter kann ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen ein gefährlicher Geselle sein“, sagt Fraunhofer-Experte Elkmann.

Sanft, leicht, ungefährlich

Um den Gesellen ihre Gefährlichkeit zu nehmen und sie mit Menschen arbeiten zu lassen, orientieren sich Forscher nun auch in der Industrie an Servicerobotern, die inzwischen in vielen Haushalten das Staubsaugen und Rasenmähen übernehmen.

Diese Helfer sind leicht, langsam und dank abgerundeter Kanten harmlos. Wie ein Staubsaugerroboter, der um die fünf Kilo wiegt und sich im Schneckentempo bewegt, sollen künftige Montage- oder Sortierautomaten in der Fabrikhalle Leichtgewichte sein und weder Leib noch Leben von Arbeitern gefährden.

Gemeinsame Montage von Autotüren

Das größte Aufsehen mit solchen dem Menschen nachempfundenen sogenannten humanoiden Robotern erregte bisher der japanische Softbank-Konzern mit Pepper, einer weißen Figur, die Menschen zum Beispiel in Läden bedienen soll.

Google stellte gerade eine neue Generation des Roboters Atlas vor, dessen Vorgänger im Auftrag des US-Militärs entwickelt wurde. Der Nachfolger ist mit 175 Zentimeter etwas kleiner, wiegt mit 81 Kilogramm nur ungefähr die Hälfte des ersten Modells und kann sowohl in Gebäuden als auch im Freien für einfache Tätigkeiten eingesetzt werden.

Was Roboter schon heute alles können
Im Geschäft persönlich vom Roboter begrüßt zu werden - auch das kann bald für mehr Menschen Realität sein. „Pepper“ hat Knopfaugen, und er ist in astreinem Deutsch recht schonungslos: „Meiner bescheidenen Meinung nach ist dieses Modell nicht besonders schmeichelhaft für Ihre Figur. Dürfte ich Ihnen ein paar neu eingetroffene Modelle zeigen, die mir für Sie besonders gut gefallen?“ Eigene Infos werden per QR-Code auf dem Smartphone gespeichert, den der Roboter im Geschäft dann scannt. In Japan ist Pepper (von SoftBank) bereits aktiv. Quelle: dpa
„iPal“ ist ein künstlicher Freund und Spielgefährte. Der Roboter ist so groß wie ein sechsjähriges Kind. Er kann singen und tanzen, Geschichten vorlesen und spielen. Durch Gesichtserkennung und automatisches Lernen wird „iPal“ mit der Zeit immer schlauer. Er erinnert sich an Vorlieben und Interessen des Kindes. „iPal“ ist keine gefühllose Maschine“, behauptet John Ostrem vom Hersteller AvatarMind. „Er kann Emotionen erspüren und fühlt, wenn das Kind traurig ist.“ Der Roboter, der in rosa oder hellblau angeboten wird, übernimmt auch gleich ein paar vielleicht leidige Erziehungspflichten: Der eingebaute Wecker holt das Kind aus dem Schlaf. Die Wetter-App sagt ihm, was es anziehen soll, und eine Gesundheits-App erinnert ans Händewaschen. „iPal“ wurde vor allem für den chinesischen Markt entwickelt. Ostrem erläutert: „Dort gibt es in den Ein-Kind-Familien viele einsame Kinder, deren Eltern wenig Zeit haben und die einfach niemanden zum Spielen haben.“ Anfang 2016 soll es „iPal“ dort für etwa 1000 US-Dollar (knapp 900 Euro) geben. Quelle: dpa
Wer auf Reisen die Zahnbürste vergessen hat, kann sie bald von einer freundlichen Maschine aufs Zimmer gebracht bekommen. „Relay“, der Service-Roboter, wird in einigen US-Hotels im Silicon Valley getestet. Die Rezeptionistin legt Zahnbürste, Cola oder Sandwich in eine Box im Roboter, dann gibt sie die Zimmernummer des Gastes ein. „Relay“ kann sich selbst den Fahrstuhl rufen – auch wenn er noch ziemlich lange braucht, um wirklich einzusteigen. Er scannt vorher sehr ausgiebig seine gesamte Umgebung, um ja niemanden umzufahren. Vor der Zimmertür angekommen, ruft der Roboter auf dem Zimmertelefon an. Wenn der Hotelgast öffnet, signalisiert ihm „Relay“ per Touchscreen: Klappe öffnen, Zahnbürste rausnehmen, Klappe wieder schließen. „Das Hotel ist für uns erst der Anfang“, sagt Adrian Canoso vom Hersteller Savioke. „Wir wollen „Relay“ auch in Krankenhäuser, Altenheime und Restaurants bringen, einfach überall dahin, wo Menschen essen oder schlafen.“ Quelle: PR
„Budgee“ trägt die Einkäufe und rollt hinterher. Per Funksender in der Hand oder am Gürtel gesteuert, kann er bis zu 22 Kilogramm schleppen, so der US-Hersteller. Er folgt Herrchen oder Frauchen mit mehr als 6 Kilometern pro Stunde. Die Batterie hält angeblich zehn Stunden. „Budgee“ lässt sich zusammenklappen und im Kofferraum verstauen. Die ersten Vorbestellungen werden ausgeliefert, Stückpreis rund 1400 US-Dollar. Quelle: PR
Roboter können nicht nur Einkäufe schleppen, sondern auch für viele Menschen unliebsame Arbeiten im Haushalt abnehmen – und damit sind nicht nur die Staubsaug-Roboter gemeint. Der „PR2“ des Institute for Artificial Intelligence (IAI) der Universität Bremen kann auch in der Küche zur Hand gehen, zumindest in der Laborküche. Quelle: dpa
Ja, heutige Roboter können bereits feinmotorische Aufgaben übernehmen und etwa zuprosten, ohne dass das Sektglas zu Bruch geht. Das ist aber nicht die Besonderheit an diesem Bild. Der Arm rechts gehört Jordi Artigas, Wissenschaftler am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen bei München. Der Roboterarm wird von Sergei Wolkow gesteuert – und der war nicht in Oberpfaffenhofen, sondern auf der Internationalen Raumstation ISS, wie im Hintergrund auf dem Monitor schemenhaft zu erkennen ist. Der „Tele-Handshake“ war nach Angaben des DLR ein weltweit einzigartiges Experiment. Quelle: dpa
Solche Aufgaben, wie etwa dieses Zahnrad zu greifen und weiterzugeben, konnte der DLR-Roboter „Justin“ schon 2012. Dass er aus dem All gesteuert wird, ist jedoch neu und bislang einzigartig. Quelle: dpa

Wirtschaftlich erfolgreich sind solche Roboter bisher aber nicht. Alphabet, die Konzernmutter von Google, soll zurzeit sogar wegen der schlechten Geschäftsaussichten den möglichen Verkauf der Robotertochter Boston Dynamics prüfen, die der Konzern vor zweieinhalb Jahren erworben hatte.

Im Industriegeschäft hingegen geht es um handfeste Humanoide, die den Herstellern schon jetzt Gewinne bescheren; die Ähnlichkeit mit Menschen ist dabei zweitrangig.

Der Schweizer Elektrokonzern ABB etwa baut eine Art Handlanger namens Yumi, der Pakete packt und elektronische Teile montiert, ohne Menschen zu gefährden. Das Augsburger Unternehmen Kuka, zweitgrößer Industrieroboterhersteller Europas, ist mit seinem einarmigen Automaten iiwa im Geschäft, der Mitarbeitern etwa beim Bohren zur Hand geht.

Die Folgen von Industrie 4.0 für die Branchen in Deutschland bis 2025

Unter den industriellen Anwendern sticht Opel hervor, wo ein Großroboter des japanischen Kuka-Wettbewerbers Fanuc Arbeitern beim Einbau von Autotüren hilft. Der bislang übliche Käfig zum Schutz der Menschen ist verschwunden.

Der Roboter agiert im Freien, greift sich die Tür aus einem Transportwagen und hält sie so nahe an die Türangeln des Autos, dass die Arbeiter sie nicht mehr heben, sondern nur noch in die Halterung einfügen müssen – vor allem für ältere Mitarbeiter eine Erleichterung. „Wir wappnen uns für den demografischen Wandel“, sagt Projektingenieurin Judith Apold.

Scanner überwachen die Arbeitszone

Zusammenstöße mit dem Roboter müssen die Opel-Werker dabei nicht befürchten. Zwei Scanner überwachen die gemeinsame Arbeitszone. Verlässt der Mensch versehentlich seine sichere Zone während der Roboter die Tür bewegt, stoppt das System den Automaten. Nach dem Opel-Stammsitz Rüsselsheim soll der Roboter auch in anderen europäischen Opel-Werken und in den Fabriken des Mutterkonzerns General Motors Einzug halten.

Allein in Deutschland sollen rund 1000 solcher menschenfreundlicher Industrieroboter in den vergangenen zwei Jahre verkauft worden sein, schätzt das Fraunhofer-Institut IFF in Magdeburg. Im Vergleich zu den knapp 21.000 Industrierobotern, die im vergangenen Jahr hierzulande abgesetzt wurden, ist das zwar eine kleine Zahl. Doch sobald die Flexibilität der kleinen Roboter den Mittelstand überzeugt, wird die Zahl nach Meinung der Forscher nach oben schnellen.

Im Elektromotoren-Werk von Siemens in Bad Neustadt an der Saale haben die humanoiden Roboter schon Einzug gehalten. Ein Roboter, der in der Fabrik Werkstücke aus einer Box entnimmt und einer Drehbank zuführt, ist eine Ausgeburt an Beweglichkeit und Feinfühligkeit. Mit seinen sieben Achsen und empfindlichen Sensoren, die jeden Widerstand spüren, schafft er fast alle erdenklichen Bewegungen. Zugleich stoppt er sofort, wenn er zum Beispiel einen menschlichen Arm berührt.

ABB brachte im vergangenen Jahr Yumi auf den Markt. Das zweiarmige Ungetüm mit einer Spannweite von 162 Zentimetern erschreckte auf der Hannover Messe Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bei der Konfrontation mit der insektenähnlichen Maschine vor Schreck die Arme vor sich streckte. Die Schutzgeste war überflüssig: Greift jemand in den Arbeitsbereich, bleibt Yumi umgehend stehen. Hinzu kommt: Yumis Arme sind abgerundet und gepolstert.

Sichern Roboter Jobs?

Das Ungetüm kann Werkstücke bis auf zwei Hundertstel Millimeter genau platzieren. Anders als herkömmliche Industrieroboter verfügt der 38 Kilogramm schwere Helfer über zwei Arme, die platzsparendes Arbeiten ermöglichen. Im ABB-Werk im finnischen Vaasa bewährten sich zwei Yumis, indem sie – zusammen mit menschlichen Kollegen – Zehntausende Notausschalter und Doppelsteckdosen montierten.

Die Helfer in der Produktion werden manchen Menschen ersetzen. Massenarbeitslosigkeit würden sie aber nicht verursachen, betont die Londoner Unternehmensberatung Metra Martech: Weil Roboter Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit steigern, ist in Ländern mit hohem Robotereinsatz – Südkorea, Japan, Deutschland – die Erwerbslosigkeit besonders gering. Daran gemessen müssen Arbeiter den Einzug der neuen Roboter nicht fürchten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%