
Vor einem Jahr hatte Peter Terium alle Mühe seine Rede auf der Hauptversammlung in der Essener Grugahalle ordentlich zu Ende zu bringen. Damals war der Niederländer noch Chef der RWE AG. Mehrfach störten Umweltaktivisten mit Zwischenrufen Teriums Vortrag und forderten einen Ausstieg aus der umstrittenen Kohleverstromung. Einzelnen Demonstranten gelang es sogar, die Bühne zu stürmen. Immer wieder musste der Vorstandschef seine Rede unterbrechen.
Am Montag kam Terium wieder in die Grugahalle und dieses Mal war alles anders. Keine Proteste vor der Halle, keine störenden Zwischenrufe während der Rede – und die Sitzreihen in der großen Veranstaltungshalle waren nur spärlich besetzt. Terium kam aber auch nicht mehr als RWE-Chef. Seit Oktober leitet er die Tochter Innogy, in die RWE das Geschäft mit der Energiewende – den Vertrieb, die erneuerbare Energien und die Netze – abgespalten und an die Börse gebracht hat.
Terium hat damit nicht nur die Konflikte um die Kohleförderung und Verstromung hinter sich gelassen, sondern auch die wirtschaftlichen Probleme des Mutterkonzerns, der Innogy zwar noch zu 77 Prozent besitzt, die Tochter aber als reine Finanzbeteiligung führt.
Macht Innogy-Börsengang RWE zum Sieger?
Bei der Erstnotiz sollen bis zu ein Viertel der Innogy-Anteile auf den Markt gebracht werden. Die Aktien sollen 35 bis 36 Euro kosten. Damit würde Innogy auf eine Bewertung von bis zu 20 Milliarden Euro kommen und wäre der mit Abstand wertvollste deutsche Energiekonzern. Der Börsengang besteht aus mehreren Teilen. So gibt Innogy im Rahmen einer Kapitalerhöhung zehn Prozent neue Aktien aus, das soll dem Unternehmen zwischen 1,8 und 2 Milliarden Euro für Wachstumsinvestitionen bescheren. Zudem will RWE bis zu 15 Prozent seiner Innogy-Anteile verkaufen.
Mit Innogy bringt RWE sein sogenanntes Zukunftsgeschäft aus Ökostrom, Netzen und Vertrieb an die Börse. Hier sehen Investoren Wachstumsperspektiven. Zudem verspricht das Netzgeschäft mit seinen staatlich vorgegebenen Preisen zwar keine üppigen, aber gut kalkulierbare Erträge. In Zeiten niedriger Zinsen sind solche Anlagen gefragt. Vor allem aber kommt Innogy ohne Altlasten aus Atom- und Kohlekraftwerken auf den Markt und winkt mit hohen Dividenden. Zudem gehen die Banken bei der Vermarktung der Aktien geschickt vor – mit dem Vermögensverwalter Blackrock haben sie bereits einen Großanleger an Bord geholt.
Darauf hofft das Management. Auf jeden Fall verschafft sich der Mutterkonzern neue finanzielle Spielräume. Vor einem Jahr schien das noch undenkbar. Kaum ein Investor wollte RWE angesichts wegbrechender Gewinne der alten Großkraftwerke und der Unsicherheiten über die Kosten für den Atomausstieg noch Geld geben. Jetzt bringt der Börsengang Milliarden ein. Geld, dass der Konzern für Neuinvestitionen in Energiewende-Produkte die Kosten des Atomausstiegs gut gebrauchen kann.
RWE trennt sich von einem Großteil seiner Geschäfte, die zuletzt für gut drei Viertel des Betriebsgewinns standen. Rund 40.000 von derzeit knapp 60.000 RWE-Beschäftigten werden bei Innogy arbeiten. Von den operativen Geschäften bleiben RWE nur noch die angeschlagenen Großkraftwerke sowie der schwankungsanfällige Energiehandel. Dritte Ertragsquelle sind die erwarteten Dividenden von Innogy. Bei künftigem Kapitalbedarf könnte RWE auch weitere Innogy-Anteile über die Zeit veräußern. Bislang heißt es aber, dass der Konzern auch langfristig die Mehrheit an Innogy behalten will.
Auch Eon hat sich aufgespalten, ist dabei aber genau andersherum vorgegangen. So hat der RWE-Rivale seine ungeliebten Altgeschäfte über das neue Unternehmen Uniper an die Börse gebracht und will sich künftig selbst auf die neue Energiewelt konzentrieren. Ursprünglich wollte sich der Konzern dabei auch von seinen deutschen Atomkraftwerken trennen. Doch dem machte die Bundesregierung einen Strich durch die Rechnung, weil sie fürchtete, dass Eon sich so aus der langfristigen Haftung stehlen wollte.
Derzeit hat RWE die Nase vorn. Der „blaue“ RWE-Konzern war in den vergangenen Jahren immer weniger wert als sein „roter“ Rivale. Doch nun ziehen RWE und Innogy davon. Zusammen könnten sie rund 28 Milliarden Euro Börsenwert auf die Waage bringen könnten, während Eon und Uniper zusammen nur auf rund 16 Milliarden Euro Aktienwert kommen. Die Abspaltung von Uniper hat bei Eon bislang nicht zum erhofften Anstieg des Aktienkurses geführt. Ein Grund dafür sind die anhaltenden Unsicherheiten über die Lasten für den Atomausstieg.
Eon betont, den klareren Schnitt gemacht zu haben. Der Konzern hat gleich mehr als 50 Prozent der Anteile an Uniper abgegeben. Damit könne Eon wirklich frei agieren, betont Vorstandschef Johannes Teyssen. Innogy dagegen gehört weiter zu RWE und könnte nach Meinung von Kritikern zu viel Rücksicht auf die angeschlagene Mutter nehmen müssen.
Und so konnte Terium die „Aktionäre der ersten Stunde“ mit „stolz“ zur „ersten Hauptversammlung unserer Geschichte“ empfangen. „Wir haben ein zukunftsfähiges Unternehmen auf die Beine gestellt. Ein Unternehmen, das für sich und für seine Aktionäre Gewinne einfährt“, hielt Terium fest. Das neue Unternehmen sei „ein verlässlicher Dividendentitel mit Wachstumspotential“.
Tatsächlich präsentiert sich das neue Gebilde solide. Während der Mutterkonzern wegen hoher Abschreibungen auf die notleidenden Kohle- und Gaskraftwerke einen Nettoverlust von fast sechs Milliarden Euro anhäufte, verbuchte Innogy einen Nettogewinn von 1,5 Milliarden Euro. Innogy sei damit „der einzige der mittlerweile vier großen Energieversorger an Rhein und Ruhr“, der 2016 mit einem Nettogewinn abgeschlossen habe.
Neben RWE haben auch Erzrivale Eon und dessen Abspaltung Uniper einen hohen Milliardenverlust verbucht. Während RWE den Stammaktionären zum zweiten Mal in Folge keine Dividende ausschüttet, bezahlt Innogy je Aktie 1,60 Euro. Das entspricht einer Dividendenrendite von rund 4,5 Prozent. Und auch die weiteren Aussichten sind nach Teriums Worten gut.
Innogy hat ein stabiles Geschäft übernommen, das – wie Terium betonte – „zu etwa 60 Prozent aus voll- oder quasiregulierten Aktivitäten“, besteht. Im Netzgeschäft gibt es festgelegte Renditen und bei den erneuerbaren Energien langfristige Förderungen. Für 2016 will Terium wieder 70 bis 80 Prozent des um Sondereffekte bereinigten Nettoergebnisses ausschütten.





Das Geschäftsmodell kam auch bei den Aktionären gut an. Beim Börsengang im Oktober wurden die Aktien zum Höchstpreis der Spanne von 32 bis 36 Euro abgenommen. Aktuell notiert sie leicht über dem Ausgabekurs. Mit einem Marktwert von gut 20 Milliarden Euro ist Innogy der wertvollste deutsche Energiekonzern und löste damit Eon ab. Der Börsengang brachte RWE 2,6 Milliarden Euro zum Schuldenabbau ein. Innogy nahm über eine Kapitalerhöhung zwei Milliarden Euro ein, die das Management für Investitionen einsetzen kann.