Insolvenzen Autozulieferer: Doch kein „perfekter Sturm“

Ein Mitarbeiter eines Autozulieferers kontrolliert die Produktion der Zylinderkopfdichtungen Quelle: dpa

Vor allem mittelständischen Automobilzulieferern machen die Krisen der vergangenen Jahre zu schaffen. Die Prognosen sind düster. Doch Grafiken zeigen: Es gab keine Insolvenzwelle. Kommt sie noch?

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Sie wurde vielfach beschworen: Die Insolvenzwelle bei Automobilzulieferern. Die Gemengelage zwischen Antriebswechsel, Corona-Lockdowns, Lieferengpässen und steigenden Energiepreisen ist denkbar schwierig. Oder wie häufig zu lesen war: ein „perfekter Sturm“, der sich über den Autozulieferern zusammenbraue. In die Abgesänge eingestimmt haben naturgemäß auch Branchenverbände.

Doch Experten sehen keine Insolvenzwelle am Horizont. „Die düsteren Prognosen haben sich bislang nicht bestätigt“, erklärt Volker Böhm, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun. Er berät Automobilzulieferer bei ihren Sanierungen. Die Autoindustrie und viele der Zulieferer seien „überraschend gut“ durch die aneinander gereihten Krisen gekommen.

Neben Instrumenten wie Kurzarbeit halfen Böhm zufolge häufig auch die Kunden an der Spitze der Lieferkette: Zuschläge für teurere Energie und Material und Entgegenkommen bei Preiserhöhungen. Innerhalb der Branche gebe es durchaus viele Mittelständler, die es schafften, das „richtige Gewicht auf die Waage zu bringen“, wenn es um Verhandlungen mit den Herstellern oder den Systemlieferanten geht, merkt Böhm an. Er räumt ein: „In Verhandlungsgesprächen den professionellen Einkäufern der Autobauer auf Augenhöhe zu begegnen, erfordert viel Professionalität“.

Kleinere Unternehmen tun sich bei den Verhandlungen oftmals schwer – und so mancher Zulieferer habe sich in der Vergangenheit zu sehr in die Abhängigkeit einzelner Kunden begeben. „Es gibt auch viele Unternehmen, die in eine Schieflage geraten sind, weil sie unterpreisig geliefert haben und sich mit Preiserhöhungen nicht durchsetzen konnten.“ Dennoch: Das Narrativ, Zulieferer stünden immer nur mit dem Rücken zur Wand, sei zu einseitig.

Die meisten Automobilzulieferer werden verkauft

In den vergangenen drei Jahren sorgten vor allem drei Zulieferer mit Insolvenzanträgen für Aufmerksamkeit: Die nordrhein-westfälische Borgers Gruppe mit etwa 3600 Beschäftigten, deren Automotive-Geschäft unter das Dach des Schweizer Autozulieferers Autoneum wandert. Der nordbayerische Spezialist für Innenraumteilen Dr. Schneider (insgesamt 4500 Beschäftigte). Und der hessische Zulieferer Veritas, der nach einem Übernahme-Hickhack mit einem amerikanischen Unternehmen letztendlich an zwei türkische Investoren geht (4400 Beschäftigte).

Wie Veritas ergeht es den meisten Zulieferern in Schieflage: Sie werden verkauft. Insgesamt 98 Autozulieferer die mindestens zehn Millionen Euro Umsatz jährlich erwirtschaften wurden seit 2018 im Zuge eines sogenannten Asset Deals an Käufer übertragen. Das zeigen Zahlen der Unternehmensberatung Falkensteg. Daraus geht auch hervor, dass seit dem Jahr 2017 43 Autozulieferer den Betrieb einstellen mussten.



Von den 31 Unternehmen, die im vergangenen Jahr einen Insolvenzantrag stellten, fand sich bislang nur für jedes vierte eine Lösung. Und je länger die Verfahrenslaufzeit, desto schwieriger wird Experten zufolge die Rettung.

Jochen Wierz ist Automotive-Experte bei Falkensteg und sagt: „Die Lage bei den mittelständischen Zulieferern ist mittlerweile einen Tick besser als in den vergangenen Jahren.“ Er wählt den Vergleich mit einem Patienten, der auf einem niedrigen Niveau stabilisiert sei, aber „weiterhin auf der Intensivstation liegt“.



Das Problem mit der Marge

Für die Branche ein Gesamtbild abzugeben, sei naturgemäß schwierig – letztlich verbindet die häufig mittelständischen Unternehmen oft nur, dass ihre höchst unterschiedlichen Produkte am Ende in einem Fahrzeug verbaut werden. Dennoch: Für fast alle seien die niedrigeren Abrufzahlen der Kunden ein Problem gewesen. Und eine weitere Herausforderung verbinde einen Großteil der mittelständischen Zulieferer seit Längerem, erklärt Wierz: Die Margenschwäche. Während sich der Umsatz dem Vor-Corona-Niveau annähere, sehe man bei den Margen keine Entlastung. Zwar fehlten in der mittelständisch geprägten Zulieferindustrie Daten – doch meist schneiden Zulieferer im Vergleich zu anderen Industrien unterdurchschnittlich ab.

Mit Blick auf die Insolvenzen fällt die Spitze im Jahr 2020 auf: waren es 2018 noch 26, lag die Zahl im ersten Corona-Jahr bei 57 insolventen Autozulieferern. Sieben der zehn größten Zulieferer-Pleiten der vergangenen fünf Jahre hätten 2020 stattgefunden – das Jahr war jedoch in allen Branchen ein schwieriges, heißt es von den Falkensteg-Experten.



Wierz berichtet ebenfalls, dass zuletzt auch Autobauer und große Zulieferer kleinere Unternehmen unterstützt hätten: So hätten viele sogenannte Energieteuerungszuschläge gezahlt, manche Zulieferer hätten Preiserhöhungen durchsetzen können. Wierz: „Das hat teils pragmatisch und kurzfristig funktioniert und es waren echte Liquiditätshilfen. Hätte es die nicht gegeben, dann wäre das ehrlicherweise ein existenzielles Problem für manche Unternehmen geworden.“

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Laut Insolvenzexperte Volker Böhm stelle sich die Frage, ob die Folgen der turbulenten, margenschwachen Jahre die Zulieferer dennoch zeitverzögert einholen könnten. Das Bestandsgeschäft mit den alten Produkten fortführen und zugleich in neue Technik zu investieren, erfordere „viel Managementkapazität und enorme Investitionen“. Und Finanzierer blicken, berichten Experten seit Längerem, zunehmend kritisch auf die Branche.

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