Insolvenzrecht Unternehmensziel: Wiederauferstehung

Quelle: imago images

2012 wurde das Insolvenzrecht geändert. Eine exklusive BCG-Studie zeigt nun, welche Folgen die Reform für die Praxis hat. Die fünf wichtigsten Fakten zu den neuen Sanierungswerkzeugen.

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Mehr sanieren, weniger abwickeln lautete das Ziel, als am 1. März 2012 das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“, kurz Esug, in Kraft trat. Sechs Jahre nach dem Start der Reform haben Experten der Boston Consulting Group in einer umfangreichen Studie, die der WirtschaftsWoche vorliegt, Bilanz gezogen.

Gestützt auf Informationen des Datenspezialisten WBDat. durchleuchtete ein Team um die BCG-Restrukturierungsexperten Rüdiger Wolf und Ralf Moldenhauer sämtliche Esug-Verfahren, die seit März 2012 beantragt wurden. Das Resultat lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: „Durchbruch erreicht“.

So zumindest haben die BCG-Autoren ihre Studie überschrieben. Tatsächlich lassen sich fünf wichtige wie überraschende Befunde aus der Analyse ableiten.

1. Esug-Verfahren bleiben insgesamt zwar Randerscheinungen, sind bei Großinsolvenzen aber der neue Standard.
Auf den ersten Blick wirken die Zahlen ernüchternd. Lediglich gut 1500 Eigenverwaltungsverfahren wurden in den vergangenen sechs Jahren eingeleitet. Im Vergleich zur Gesamtzahl aller Insolvenzverfahren bleiben Esug-Fälle damit eher Ausnahmen. Ihr Anteil liegt bei überschaubaren 2,7 Prozent. Bei näherer Betrachtung ändert sich indes die Perspektive. Bei den nach Mitarbeiterzahl 50 größten Unternehmensinsolvenzen 2017 lag der Anteil an eigenverwalteten Insolvenzen bei beachtlichen 64 Prozent, geht aus der BCG-Studie hervor. Darunter sind prominente Fälle wie Air Berlin. Die Fluggesellschaft landete zunächst in der Eigenverwaltung, ebenso wie Solarworld, Rickmers und Beate Uhse. „Die Eigenverwaltung ist zum Standardverfahrenstyp für Großinsolvenzen geworden“, konstatiert Experte Wolf.

2. Baden-Württemberg ist Esug-Land, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern bleiben regeltreu.
„Deutschlandweit zeigt sich ein großes Gefälle: In Baden-Württemberg und Sachsen ist der Anteil an Eigenverwaltungsverfahren am höchsten, in Hessen und Mecklenburg-Vorpommern am niedrigsten“, sagt BCG-Mann Wolf. So wurden 4,2 Prozent aller Insolvenzen in Baden-Württemberg seit Start der Reform in Eigenverwaltung durchgeführt. Auch der Freistaat Sachsen (4,0 %) und das Saarland (3,7 %) liegen vorne in der Auswertung, während in Bremen, Hamburg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor die 2-Prozent-Schwelle unterschritten wird.

3. Der Sanierer- und Sachwaltermarkt wird bei den Spitzenverfahren von wenigen Kanzleien dominiert.
Bei einem Großteil der Eigenverwaltungen wird das Management meist von einem externen Sanierungsgeschäftsführer unterstützt. Beaufsichtigt wird die Rettungsmission von einem gerichtlich bestellten Sachwalter. Die BCG-Analyse zeigt, dass sich beide Positionen von hochspezialisierten Spielern dominiert werden - vor allem in den Top-50-Verfahren. „Fast jedes zweite Verfahren wird hier aus einem Kreis von nur fünf Sozietäten bedient“, heißt es in der Studie. Durchschnittlich war ein Vertreter dieser Kanzleien bei etwa sechs Verfahren der Top-50-Insolvenzen der vergangenen vier Jahre Bestandteil des Managements. Die übrigen Marktteilnehmer waren hingegen bei nur 1,4 Verfahren im Management vertreten. Dem Vernehmen nach soll es sich bei den Sanierungsschwergewichten um Görg, Schultze & Braun und hww handeln, aber auch Dentons und die Düsseldorfer Formation Buchalik Brömmekamp dürften dazu gehören. Bei den Sachwaltern stellte BCG „eine vergleichbare Konzentration“ fest. Hier sind Sachwalter aus fünf Kanzleien in etwa 35 Prozent der untersuchten Top-50-Insolvenzen vom Gericht zum Sachwalter bestellt worden. Brinkmann und Partner, Kebekus et Zimmermann, Flöther & Wissing sowie Eckert dürften hier zum Spitzenfeld gehören und tauchen auch regelmäßig im Kreis führenden Insolvenzkanzleien auf. 

4. Eigenverwaltungen sind keine Rettungsgaranten, viele Verfahren scheitern.
Die Erfolgsbilanz von Esug-Verfahren ist indes durchwachsen. „Insgesamt betrachtet scheitern knapp 40 Prozent der beantragten Eigenverwaltungsverfahren“, heißt es in der Studie. „Entweder, weil trotz beantragter Eigenverwaltung selbige schon nicht eröffnet wird (17 %), oder weil eine eröffnete Eigenverwaltung im Laufe des Verfahrens in eine Regelinsolvenz kippt (22 %).“  Laut Wolf würden die Quoten aber auch zeigen, dass „Gerichte und Gläubiger genau darauf achten, in welchen Fällen sich die Eigenverwaltung wirklich eignet.“ Unter den Top-50-Insolvenzen sieht es deutlich besser aus, 95 Prozent der Anträge auf Eigenverwaltung waren hier erfolgreich. Und lediglich 12 Prozent wechselten von einem eigenverwalteten Verfahren in eine Regelinsolvenz. „Das sind somit weitaus bessere Quoten als für die Gesamtheit der Verfahren und lässt einen Rückschluss auf die Professionalisierung der Eigenverwaltungsbranche zu“, bilanzieren die Experten.

5. Schutzschirmverfahren genießen Exotenstatus.
Als die Esug-Reform vor sechs Jahren in Kraft trat, wurde gleich zwei neue Verfahrenstypen ins Rennen geschickt, das Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a Insolvenzordnung und das Schutzschirmverfahren nach § 270b. Die BCG-Experten haben auch untersucht, welche der Verfahrensvarianten häufiger genutzt wird. Das Resultat: Eine Massenflucht unter die Schutzschirme blieb bislang aus. Im Gegenteil: „Im langfristigen Trend über die letzten Jahre zeigt sich ein stetiger Abfall des Anteils der Schutzschirmverfahren“ auf nunmehr nur noch rund 20 Prozent an den Esug-Verfahren. Experte Wolf hält Schutzschirmverfahren trotzdem nicht für überflüssig. Sie „spielen zwar quantitativ keine große Rolle“, so Wolf, aber „haben kommunikativ geholfen, den Weg für eine neue Sanierungskultur zu ebnen.“

Die größten Unternehmensinsolvenzen 2017

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