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Interview mit VW-Chef Winterkorn „Apple ist der neue Goldstandard“

Für Martin Winterkorn ist Apple ein großes Vorbild. Außerdem spricht der VW-Chef im Handelsblatt-Interview über das Geschäft in Zeiten der Krise und warum die VW-Beteiligung an Suzuki nicht zum Verkauf steht.

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Martin Winterkorn, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, gibt sich nur mäßig zufrieden mit dem aktuellen Geschäftsjahr: Das Ziel sei in Sichtweite, aber noch nicht erreicht, sagte Winterkorn dem Handelsblatt. Quelle: dpa

Handelsblatt: Herr Winterkorn, Sie wurden auf der Frankfurter Automesse IAA gefilmt, als sie in einem Hyundai saßen und sagten „Da scheppert nix. Wir können es nicht. Der BMW kann es nicht. Warum können die das?“ Auf der Internetseite Youtube ist der Film millionenfach geklickt worden. Was war los?

Martin Winterkorn: Wir waren in einer großen Gruppe auf dem Hyundai-Stand bei unserem üblichen Messerundgang unterwegs. Ich werde oft bei solchen Gelegenheiten fotografiert, aber diese breite Reaktion war schon überraschend.

Handelsblatt: Sie wirken richtig sauer in dem Video. Was hat sie so geärgert?

Winterkorn: Ein paar Tage vor der IAA hatten wir in Wolfsburg darüber gesprochen, wie man die Geräusche beim Verstellen des Lenkrades beseitigen kann. Die Verriegelung steht unter Spannung und macht beim Lösen ein Geräusch. Intern hieß es: Abhilfe schaffen wir nur mit zusätzlichen Kosten. Und im neuen Hyundai I30...

Handelsblatt: …scheppert nichts!

Winterkorn: Nehmen Sie das als Symbol für unsere höchsten Qualitätsansprüche. Das ist so und das bleibt so. Auch bei den kleinsten Details.

Handelsblatt:  Ausgerechnet Hyundai kann mehr als Volkswagen, wenn auch bisher nur in einem Detail. Was macht die Koreaner so gefährlich?

Winterkorn: Hyundai hat in der Tat große Fortschritte gemacht. Nun habe ich aber einen unserer Wettbewerber genug gelobt.

Handelsblatt: Warum sollen Kunden dann überhaupt noch einen VW kaufen?

Winterkorn: Weil die Marke Volkswagen unverändert eine Klasse für sich ist – nicht zuletzt bei Werthaltigkeit, Qualität und Innovationskraft.

Handelsblatt: Die EU hat ein Freihandelsabkommen mit Korea geschlossen, das Importe sehr erleichtert. Fortschritt oder Gefahr – oder gar beides?

Winterkorn: Dieses sogenannte Freihandelsabkommen ist eine Einbahnstraße: Hyundai und Kia dürfen ohne Zollaufschlag nach Europa liefern. Umgekehrt gilt das für uns nicht, die Zölle sind hoch. Dieses Vertragswerk ist wirtschaftspolitisch ein Fehler.

Handelsblatt:  Zur Hauptversammlung 2010 hat das Handelsblatt geschlagzeilt: „Das große Versprechen – und warum es unhaltbar ist." Zeit für eine Zwischenbilanz: Schaffen Sie Ihre für 2018 ausgerufenen Ziele: mehr als zehn Millionen verkaufte Autos, eine Umsatzrendite von acht Prozent und 16 Prozent Kapitalrendite im Konzernbereich Automobile? Müssen wir uns korrigieren oder Sie?

Winterkorn (lacht): Ich fürchte, Sie müssen sich korrigieren. Wir sind gut unterwegs. In diesem Jahr verkaufen wir konzernweit sicher mehr als acht Millionen Autos. Die operative Umsatzrendite liegt nach neun Monaten bei 7,7 Prozent, die Kapitalrendite lag 2010 bei 13,5 Prozent. Bei der Kundenzufriedenheit, die ich ausdrücklich auch zum Konzernziel gemacht habe, haben wir noch einiges an Arbeit vor uns. Also: Das Ziel ist in Sichtweite, aber noch nicht erreicht...


Erfolgsbonus für die Mitarbeiter erreicht 2011 neues Rekordniveau

Handelsblatt: ...und alle Zahlen, die jetzt so glänzen, sind eine Momentaufnahme, gemacht in Zeiten einer boomenden Autokonjunktur?

Winterkorn: Man muss auch den Augenblick genießen können. Operativ wird 2011 in jedem Fall ein sehr gutes Jahr. Davon werden übrigens unsere Mitarbeiter besonders profitieren, da wir zehn Prozent des operativen Ergebnisses der Marke Volkswagen an die Beschäftigten in Deutschland ausschütten. Schon jetzt steht fest: Dieser Erfolgsbonus wird für 2011 ein neues Rekordniveau erreichen.

Handelsblatt: Aber die wirtschaftlichen Aussichten trüben sich gerade ein. Wagen sie einen Ausblick?

Winterkorn: Keine Frage: 2012 wird wesentlich härter, vor allem in Europa und da speziell in den hochverschuldeten Ländern wie Italien oder Spanien.

Handelsblatt: Was heißt das in Zahlen?

Winterkorn: In Spanien etwa kommen wir mit all unseren Marken – neben Seat vor allem Volkswagen und Audi – auf 25 Prozent Marktanteil. Der Gesamtmarkt wird  2012 vermutlich weiter sinken und darunter leiden auch wir. Insgesamt rechnen wir in Europa mit einem Marktrückgang. Aber auch die Entwicklung in anderen Weltregionen gilt es genau zu beobachten.

Handelsblatt: Woher nehmen Sie dann Ihre Zuversicht, die Zehn-Millionen-Marke bei den verkauften Autos bis 2018 nehmen zu können?

Winterkorn: Die Nachfrage in China und Amerika wächst weiter. In China sind wir Marktführer, in Südamerika stark. Und in den USA werden wir unseren jährlichen Absatz innerhalb von drei Jahren auf mehr als 400.000 Fahrzeuge verdoppeln.

Handelsblatt: Wie kommen Sie in den USA derzeit voran?

Winterkorn: Unsere neuen Autos, der Jetta aus Mexiko und der neue Passat aus Chattanooga, finden großen Anklang. Sie sind größer und günstiger als die bisherigen Modelle. Mit der Produktion des Jetta kommen wir gar nicht nach.

Handelsblatt: Für amerikanische Verhältnisse sind ihre Autos immer noch klein, sehr europäisch, aber eben nicht der amerikanische Traum auf Rädern.

Winterkorn: Auch in den USA geht der Trend zu kleineren Autos. Die Amerikaner werden in der Masse sicher nicht bei unserem Up landen, aber sie schauen viel stärker als früher auf den Verbrauch.

Handelsblatt: In den USA schneiden Sie trotzdem regelmäßig bei einschlägigen Studien in punkto Kundenzufriedenheit und Qualität schlecht ab. Wie kommt das – und wie soll sich das ändern?

Winterkorn: Wir haben konsequente Programme aufgesetzt, für jedes Fahrzeug in jedem Werk. Das gilt besonders für die Fabriken in Chattanooga, USA, und Puebla, Mexiko. 2012 dürften 80 Prozent der in den USA verkauften Volkswagen aus diesen beiden Werken kommen. Wir haben aber nicht nur die Maßstäbe für die Verarbeitungsqualität angehoben, sondern arbeiten konkret an der für den amerikanischen Kunden direkt spürbaren Qualität: Die Sitze müssen geräumig, die Knöpfe und Schalter überschaubar und groß genug sein. Die Klimaanlage soll vor allem für extrem kalte Luft sorgen.


"Wir haben kein Qualitätsproblem"

Handelsblatt: Steht fest, welche weiteren VW-Modelle bzw. welche Audi-Modelle erstmals in Nordamerika gebaut werden?
Winterkorn: Nein. Wir haben noch keine Entscheidung über eine Ausweitung der Produktion getroffen, weil die von vielen Faktoren abhängt. Vor Ende des Jahres wird sich daran sicher nichts ändern.

Handelsblatt: Apple hat mit dem Iphone das perfekte Gerät für die USA entwickelt, intuitiv bedienbar, innen hochkomplex, außen kinderleicht zu bedienen.

Winterkorn: Unbestritten, Apples simple Bedienerführung ist der neue Goldstandard, auch für uns.

Handelsblatt: Ist denn Ihr deutscher Qualitätsbegriff noch zeitgemäß –  wollen junge Kunden nicht wie in der Elektronikindustrie lieber schneller neue Modelle, als lange auf ein sogenanntes Qualitätsprodukt zu warten.

Winterkorn: Es heißt ja oft, Teenager interessierten sich nur noch für Smartphones und Laptops und nicht mehr fürs Auto. Ich erlebe das Gegenteil: Der Up war auf der IAA umringt von jungen Menschen. Zeitgemäße, frische Konzepte und Qualität gehören dabei für mich zusammen. Sollten wir unseren Qualitätsmaßstab aufgeben, gerieten wir in große Gefahr. Die Kunden wollen in jedem Alter hochwertige Technik und perfektes Design. Deshalb werden wir die Messlatte hier eher noch höher legen.

Handelsblatt: Rechnet sich das?

Winterkorn: In jeder Hinsicht. Oberflächen perfekt zu lackieren, kostet nicht mehr Geld, saubere Laserschweißnähte sind sogar billiger. Die Türen exakt einzubauen, bringt Qualität, ganz ohne zusätzliche Kosten. Solche Arbeiten schlecht auszuführen spart keinen Cent.

Handelsblatt: Wenn Ihre Ansprüche so hoch sind: Worin liegt dann der Unterschied zwischen einem Audi und einem Seat?

Winterkorn: Wir reden hier über unterschiedliche Segmente, aber die Ausführungsqualität ist gleich hoch. Ein Audi unterscheidet sich aber etwa von einem Seat vor allem durch Performancefaktoren und hochwertigere Materialien.

Handelsblatt: Handelsblatt-Leser, die wir vor unserem Interview um Fragen und Anregungen gebeten haben, beschweren sich über Geräusche im Innenraum des Golf. Haben Sie ein Qualitätsproblem?

Winterkorn: Wir haben kein Qualitätsproblem, weder beim Golf noch sonstwo. Das zeigen einschlägige Tests und die Schadenstatistik des ADAC. Das heißt natürlich nicht, dass es bei rund einer Million gebauten Golf pro Jahr keine Einzelprobleme geben kann. Sind einzelne Kunden wegen zu lauter Geräusche unzufrieden, kann das viele Ursachen haben, die akustische Probleme nach sich ziehen. Um hier Nachlässigkeiten zu verhindern, kämpfe ich ja gemeinsam mit meiner Mannschaft unentwegt für höchste Qualität.

Handelsblatt: Und das bei zehn Marken, Porsche nicht eingerechnet. Lässt sich dieser gewaltige Volkswagen-Konzern überhaupt noch steuern?

Winterkorn: Das beweisen wir doch seit langem. Um diesen Mehrmarkenkonzern richtig zu steuern, setzen wir unverändert auf die Eigenständigkeit und Verantwortung der Marken. Bei uns hat jede Marke ihre eigenen Ziele und ihre klare Positionierung im Wettbewerb. Das gilt von Audi bis Škoda. Nur bei Seat war das leider in den vergangenen Jahren nicht immer so. Aber jetzt ist Seat zurück auf Kurs. Die Marken entscheiden über Design und den Preis eines Modells. Gleichzeitig bringen wir die Kraft auf, für möglichst große technische Synergien zu sorgen. Wir haben weltweit gut 30.000 Entwickler. Die wollen jeden Tag etwas Neues erfinden. Da sorge ich für Disziplin, um das System des Baukastens einzuhalten. Davon profitieren am Ende alle – die Marken und der Konzern.


"Wir sind keine blutleere Finanzholding"

Handelsblatt: Trotzdem – Sie haben es gerade selbst eingeräumt – passieren Fehler.

Winterkorn: Fehler sind Teil des menschlichen Lebens. Das sage ich bei jeder Ansprache in einem unserer Werke. Wichtig ist nur, dass Fehler schnell erkannt, analysiert und nachhaltig abgestellt werden.

Handelsblatt: Gleicht der Konzern trotzdem nicht eher einer Investmentbank, die ihre vielen komplexen Produkte gar nicht mehr überblicken kann? Wissen Sie denn angesichts der umfangreichen internen Verrechnungen überhaupt noch, welche Rendite ein Auto bringt?

Winterkorn: Das ist ein wesentlicher Teil meiner Arbeit. Ich habe zwei Bücher: Das eine zeigt, welchen Ergebnisbeitrag und welche Rendite jedes einzelne Fahrzeug mit den verschiedenen Motorenvarianten in jedem einzelnen Markt bringt. Das andere Buch enthält die Einbauraten der Ausstattungsvarianten, ebenfalls mit Ergebnisbeitrag und Rendite.

Handelsblatt: Der frühere Daimler-Chef, Jürgen Schrempp, rühmte sich vor dem Scheitern seiner Welt AG, per Laptop jederzeit überall auf der Welt Zugriff auf die wichtigsten Kennzahlen des Konzerns zu haben. Das Ende kennen wir. Was unterscheidet das expandierende VW-Reich von Daimlers geplatztem Traum von der Welt AG oder dem Scheitern des langjährigen Weltmarktführers General Motors?

Winterkorn: Wir sind keine blutleere Finanzholding, sondern arbeiten extrem nah an den Produkten und Marken. Das unterscheidet uns von manchen Wettbewerbern. Ich dulde keinen Mischmasch: Bei uns ist jede Marke operativ sauber voneinander getrennt. Bei der Technik kommt allerdings der Konzern ins Spiel. Wir beachten sehr genau, welcher Motor und welches Getriebe zu welcher Marke passt.

Handelsblatt: Wie wollen Sie die enorme Komplexität meistern?

Winterkorn: Mir war von Anfang an klar: Entscheidend ist es, diesen Mehrmarkenkonzern, der heute inklusive MAN in über 90 Werken mehr als 200 verschiedene Modelle herstellt, technisch im Griff zu behalten. Die Antwort darauf haben wir bereits bei Audi entwickelt: Dort bauen alle Fahrzeuge modular auf einem einheitlichen System auf, aus einem Grundbestand an Komponenten. Der Einbau von Motor und Getriebe, aber auch der Klimaanlage basiert vom Audi A4 bis zum A8 auf einer einheitlichen technischen Struktur. Trotzdem sind das völlig verschiedene Autos mit eigenem Charakter. Dasselbe machen wir gerade bei Volkswagen, vom Polo bis zum Passat. Und dieser Modulare Querbaukasten wird auch bei anderen Marken zum Einsatz kommen. Das reduziert die Zahl der Teile und damit der Werkzeuge, sorgt für stabilere Prozesse und spart viel Geld, das wir natürlich auch in neue Modelle und Technologien investieren werden. Bei Audi setzen wir als Basis in jedem Modell dasselbe Klimamodul ein, mehr als eine Million Mal pro Jahr. Nur so rechnet es sich, Klimaanlagen in Deutschland zu fertigen.

Handelsblatt: Und was passiert, wenn ein Problem in diesen Baukästen auftaucht? Bei Volkswagen sollen mittelfristig 3,5 Millionen pro Jahr produzierte Autos auf derselben technischen Basis aufbauen.

Winterkorn: Taucht ein Fehler auf, müssen wir sehr schnell sein. Deshalb trainieren wir unsere Mannschaft weltweit entsprechend. Ich bin selbst immer wieder in den Werken vor Ort, um die Dringlichkeit der Sache klar zu machen. Der einzige, der schnell reagieren kann, ist der Mann oder die Frau im Werk. Bei mehr als acht Millionen Autos pro Jahr können wir nicht jedes einzelne komplett prüfen. Aber der Mitarbeiter, der pro Tag mehrere hundert Mal das gleiche Bauteil einsetzt, merkt als erster, wenn sich daran etwas verändert hat. Dann muss er die Reißleine ziehen.

Handelsblatt: Das Baukastensystem hat Toyota groß gemacht – konnte aber den Sturz vom Autothron nicht verhindern.
Winterkorn: Es hilft nur eines: Vorleben. Die Mannschaft muss es nicht nur können, sondern daran glauben. Ich strebe maximale Qualität an. Das größte Problem vieler Manager liegt darin, irgendwann abzuheben. Wer erfolgreich ist, glaubt oft, über Wasser gehen zu können. Ich bleibe fest auf dem Boden der Tatsachen.

Handelsblatt: Das ehrt Sie. Zugleich aber ist das VW-System auf Sie und ihren Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch zugeschnitten. Ihr Vertrag als Vorstandschef läuft bis Ende 2016. Kann ein Nachfolger das alles noch führen?

Winterkorn: Davon bin ich überzeugt. Sollte es nicht gelingen, hätten wir in einer wichtigen Frage versagt.


Wer Piech beerben könnte

Handelsblatt: Als Versager bezeichnen würden wir Sie sicher nicht, aber schon zur Rede stellen.

Winterkorn: Es gehört zu meinen wichtigsten Aufgaben, dass die Manager unseres Konzerns diese Kultur der Präzision leben. Deshalb sind so viele von ihnen bei den Testfahrten unserer Autos dabei – und nicht nur die zuständigen Ingenieure.

Handelsblatt: Reicht ein einzelner Manager, um das Erfolgsgespann Piëch-Winterkorn zu beerben?

Winterkorn: Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass wir noch ein paar Jahre zusammenarbeiten werden. Wir haben genügend gute Leute im Konzern. Erfolgreich ist der Konzern immer dann, wenn jemand mit technischem Sachverstand und einem Top-Team an der Spitze steht.

Handelsblatt: Aufgaben gibt es genügend, nehmen wir nur die angestrebte Nutzfahrzeug-Allianz zwischen VW und den Töchtern Scania und MAN.  

Winterkorn: Stimmt. Die Übernahme von MAN hat dazu geführt, dass der Volkswagen Konzern erstmals 500.000 Beschäftigte hat. Wissen Sie, wofür ich auf der Betriebsversammlung von MAN in München nach der Übernahme vor wenigen Tagen den meisten Beifall bekommen habe? Für die Nachricht, dass die MAN-Beschäftigten in Deutschland nun Fahrzeuge des Konzerns zu Mitarbeiter-Konditionen fahren dürfen. Weniger Beifall habe ich allerdings für die Botschaft bekommen, künftig nicht nur wegen des FC Bayern häufiger nach München zu kommen…

Handelsblatt: …weil viele MAN-ler offenbar Fans des Lokalrivalen 1860 sind. Was antworten Sie auf die Frage vieler MAN-Mitarbeiter, wie es strategisch weitergehen soll?

Winterkorn: Die Richtung ist klar. Wir haben mit MAN, Scania und Volkswagen Nutzfahrzeuge drei starke Marken. Mit denen werden wir eins zu eins dasselbe machen wie bei den PKW: Sie weiter als getrennte Marken führen, aber technisch durch einen modularen Aufbau die Kosten deutlich senken. Los geht es mit dem Einkauf, die Produkte brauchen länger. Vorher will ich aber schon bei den Komponenten Ergebnisse sehen.

Handelsblatt: Woran denken Sie konkret?

Winterkorn: Keiner kann mir erklären, warum die Lichtschalter beim LKW oder das Navigationssystem technisch anders sein müssen als beim PKW. Das hat nichts mit der höheren Kilometerleistung eines Nutzfahrzeuges zu tun. Wir entwickeln gerade einen neuen modularen Infotainment-Baukasten für Musik, Navigation und Telekommunikation. Unter dem Strich kostet uns das 230 Millionen Euro. Ein LKW-Hersteller kann sich das allein kaum leisten.

Handelsblatt: Noch teurer kommt den Konzern der Einstieg in die Elektromobilität. Wie weit sind Sie auf diesem Feld künftiger Mobilität?

Winterkorn: Wir bauen den E-Golf, der 2013 auf den Markt kommt. Er ist unter anderem wichtig, um die Vorgabe in den USA zu erreichen, Autos ohne Emissionen anzubieten. Mit dem E-Up wollen wir parallel Mobilität für Metropolen anbieten.

Handelsblatt: Wird die ganze Flotte in absehbarer Zeit elektrisch?

Winterkorn: Das kann ich mir nicht vorstellen. Mit der aktuellen Technologie auf Lithium-Ionen-Basis wiegt eine Batterie 250 Kilogramm. Damit kommen Sie dann allenfalls 150 Kilometer weit. Vielleicht können wir das noch etwas optimieren, aber wesentlichen Fortschritt erwarte ich erst von der nächsten Generation an Batterien. Die könnte aus heutiger Sicht auf Lithium-Schwefel-Basis aufbauen.


"Wir wollen Volkswagen und Porsche so schnell wie möglich vereinigen."

Handelsblatt: Wieweit könnte ein Auto damit fahren?

Winterkorn: Wahrscheinlich gut 300 Kilometer. Der wirklich entscheidende Technologiesprung wären wohl Batterien auf Basis von Lithium-Sauerstoff. Das Thema ist aber noch mitten in der Forschung. Mit dieser Technologie fährt ein Auto voraussichtlich 450 bis 600 Kilometer elektrisch. Dann ist der Durchbruch geschafft.

Handelsblatt: Wann wird es soweit sein?
Winterkorn: Vielleicht im Jahr 2030. Ich erlebe das nicht mehr – jedenfalls als Vorstandschef von Volkswagen.

Handelsblatt: Worauf setzen Sie bis dahin technologisch?

Winterkorn: Die Brücke dürften so genannte Plug-in-Hybride bilden, deren Batterie sich an der Steckdose aufladen lässt. So können Sie 50 bis 60 Kilometer rein elektrisch fahren, anschließend treibt ein effizienter Verbrennungsmotor das Auto an. Vorerst ein Benziner, vielleicht irgendwann ein Diesel.

Handelsblatt: Welche Vorteile hat das?

Winterkorn: Die Batterie kann zwei Drittel leichter und damit günstiger sein als bei einem reinen E-Auto. Sie dürfen nicht vergessen, dass eine Batterie für Elektroautos heute 8.000 bis 10.000 Euro kostet. Den Preis wollen wir zwar gemeinsam mit Bosch auf 5.000 Euro senken – aber das ist immer noch viel Geld. Eine Batterie für Plug-in-Hybridmodelle liegt nur bei gut 3.000 Euro.

Handelsblatt: BMW hat sich gerade gut 15 Prozent an SGL Carbon gesichert. BMW-Großaktionärin hält rund 29 Prozent an dem Carbon-Spezialisten. VW kann mit den eigenen 9,9 Prozent an SGL wenig ausrichten. Was haben Sie konkret mit Ihrer Beteiligung an SGL Carbon vor? Wollen Sie Ihren Anteil erhöhen?

Wir arbeiten bereits seit vielen Jahren mit SGL erfolgreich zusammen, etwa bei Carbon-Keramik-Bremsscheiben. Volkswagen treibt die Strategie nachhaltiger Mobilität mit Hochdruck voran. Leichtbau ist dabei ein wichtiges Thema, mit dem wir uns schon lange beschäftigen. Zu dieser Strategie gehört auch die Beteiligung an SGL Carbon.

Handelsblatt: Haben Sie schon Alternativen zur notgedrungen abgesagten Verschmelzung mit Porsche gefunden?

Winterkorn: Wir prüfen weiter. Jetzt geht es darum, einen Weg zu finden, möglichst schnell mit Porsche noch enger zusammen zu arbeiten. Die Synergien, die wir heben können, sind groß. Derzeit müssen wir Porsche noch wie unter Fremden Dritten  zusammenarbeiten, das erschwert manches. Deshalb wollen wir Volkswagen und Porsche so schnell wie möglich vereinigen.


"Unseren Suzuki-Anteil verkaufen wir nicht."

Handelsblatt: Unerwartet kommt ein weiteres, rechtliches Problem auf den Konzern zu. Die EU-Kommission prüft ein erneutes Verfahren gegen das VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen als Großaktionär und dem VW-Betriebsrat besondere Rechte einräumt. Wie real ist die Gefahr?

Winterkorn: Warum das gerade jetzt hoch kommt, weiß ich nicht. Es gibt in Europa sicherlich wichtigere Dinge zu lösen. Ich bin aber sicher, dass solch ein Vorhaben auf Widerstand treffen wird.

Handelsblatt: Kommende Woche startet die Tokyo Motorshow. Werden Sie Osamu Suzuki treffen, um auf Chefebene die Probleme mit ihrem japanischen Kooperationspartner zu beheben?

Winterkorn: Ein Treffen ist nicht geplant. Sollten wir uns aber begegnen, können wir über alles reden. Mit einer Ausnahme: Unseren Anteil an Suzuki in Höhe von 19,9 Prozent verkaufen wir nicht.

Handelsblatt: Wie kommen Sie dann zu einer Einigung?

Winterkorn: Wir haben einen langen Atem. Unsere Ziele verfolgen wir langfristig. Wenn bei Suzuki die aktuelle Führungsmannschaft nicht mit uns zusammen arbeiten will, dann will es vielleicht die nächste Generation.

Handelsblatt: Was können Ihre Mitarbeiter von der nächsten Lohnrunde erwarten?

Winterkorn: Angesichts der sich abzeichnenden konjunkturellen Probleme streben wir mindestens einen Inflationsausgleich an, und müssen dann sehen, ob wir uns darüber hinaus noch etwas leisten können. Klar ist aber, dass wir auch 2012 eine hohe Auslastung fahren. 2010 und 2011 haben wir jeweils rund eine Million Autos mehr gebaut. Das ist eine gewaltige Leistung der Mannschaft. Und davor habe ich großen Respekt.

Handelsblatt: Herr Winterkorn, vielen Dank für das Interview.

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