Kaeser twittert zur Sea Watch „Er darf das nicht“

Siemens-Chef Josef Käser Quelle: REUTERS

Siemens-Chef Joe Kaeser hat sich zur Festnahme der deutschen Kapitänin des Seenotrettungsschiffs „Sea Watch 3“ geäußert. Managementautor und WiWo-Kolumnist Reinhard Sprenger hat dazu eine klare Meinung.

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Reinhard Sprenger ist promovierter Philosoph, Berater und Autor zahlreicher Management-Lehrbücher. Für die WirtschaftsWoche schreibt er in seiner Kolumne „Sprengers Spitzen“ über gutes und schlechtes Management.

Herr Sprenger, Siemens-Chef Joe Kaeser hat vergangenen Sonntag auf Twitter seine Solidarität mit Carola Rackete kundgetan, der deutschen Kapitänin des Seenotrettungsschiffs „Sea Watch 3“, die mit 40 Geflüchteten an Bord in Lampedusa angelegt hat und bei Ankunft festgenommen wurde. Kaeser hat viel Kritik, aber auch Lob auf Twitter dafür erhalten. Hätten Sie ihm von diesem Tweet abgeraten?
Ja. Ich hätte keine Sekunde gezögert. Denn er ist schlecht beraten aus verschiedenen Gründen. Zunächst trägt der Tweet bei zur allgemeinen Moralisierung, die sich in der westlichen Gesellschaft wie ein Spaltpilz ausbreitet. Man stürzt sich auf alles, was sich tribunalisieren lässt. Und die Wirtschaft beugt sich dem auch. Wo Kaeser sich in Bereiche hineinbewegt, in denen er als oberster Repräsentant eines Wirtschaftsunternehmens nichts zu suchen hat, da öffnet er umgekehrt die Tore der Wirtschaft gegen jede Form von Moralisierung. Wir haben im Wirtschaftssystem nur einen zentralen Wert: den Kunden, der in freier Entscheidung und unter Einhaltung der Gesetze für unsere Produkte und Dienstleistungen zahlt oder nicht zahlt – alles andere muss man den Kirchen überlassen. Die grundsätzliche Neutralität des Wirtschaftens, des Tauschens und Handelns ist doch gerade ein immenser Beitrag zur Friedensstiftung.

Aber viele wünschen sich doch, dass gerade Menschen in exponierter Stellung wie etwa Konzernchefs klar Stellung beziehen in derlei Angelegenheiten.
Hier liegt ein klassischer philosophischer Kategorienfehler vor. Dafür sind in einer Demokratie gewählte Politiker da, und keine Wirtschaftsleute. Manager verwalten Geld, das nicht ihnen gehört, und sind Angestellte von Aktionären. Diese müssten sie eigentlich erst um Erlaubnis fragen, ob sie sich zu solcherlei fremden Themen äußern dürfen. Was Kaeser macht, ist ein massiver Loyalitätsbruch an unserer freien wirtschaftlichen Verfasstheit. Er ist übergriffig in Bereichen, wo ihn niemand legalisiert hat, seine Stimme zu erheben. Dann kann man fragen: Hatte er gute Absichten? Das mag ja sein. Aber die italienische Regierung hat auch gute Absichten, auch wenn ich sie nicht teile.

Schadet so etwas Siemens?
Das kann ich nicht beurteilen, ich vermute aber es hält sich in Grenzen. Die Menschen sind vergleichsweise vergesslich, einige applaudieren, andere kritisieren. In ein paar Wochen sind wieder andere Themen präsent. Aber der gesamtgesellschaftliche Flurschaden ist viel größer.

Wer sich positioniert, macht sich angreifbar. Aber zahlt sich das auf der anderen Seite nicht umso mehr aus, weil ein Konzern dadurch auch an Profil gewinnt?
Das mag sein und das beugt sich ja der Logik des allgemeinen Greenwashings. Aber das Schicksal von Migranten für Werbezwecke auszubeuten hielte ich für perfide. 

Im konkreten Fall dürfte Kaesers Kommentar bei der italienischen Regierung für Missbehagen gesorgt haben. In Italien ist Siemens groß vertreten.
Das Inhaltliche ist eine ausgesprochen mehrdeutige Situation, bei aller Tragik. Das will ich hier nicht diskutieren. Auch nicht, dass ich persönlich Kaesers Meinung teile. Aber: Er ist kein Privatmann und in seiner Rolle darf er das nicht.

Heißt es nicht: schlechte Presse ist besser als gar keine Presse?
Dann sprechen wir über etwas ganz anderes. Dann wird Moral in Interessen umgegossen, dann kalkuliert man mit einem Marketingevent den Moralertrag. Solch eine Instrumentalisierung der Moral, falls er es so gehalten hat, privatisiert den Nutzen und externalisiert die sozialen Kosten. So schätze ich Herrn Kaeser nicht ein.

Sie beraten auch viele Großkonzerne. Was raten Sie den Führungskräften: positionieren oder besser unsichtbar bleiben?
Moralismus ist der Triumph der guten Gesinnung über die Gesetze des Verstandes. Dem sollten wir in der Wirtschaft keinen Raum geben. Also, nicht unsichtbar machen, aber sich nicht in Bereiche drängen, für die Manager nicht legitimiert sind.

Auch wenn bei Herrn Kaeser der Hinweis fehlt: Auf Twitter weisen viele extra darauf hin, dass sie dort „privat unterwegs“ seien.
Das ist doch naiv. Diskutiert wird er doch in seiner Rolle als Siemens-Chef. Und aus dieser Rolle kann er nicht heraus, indem er einfach einen Disclaimer anfügt.

Viele CEOs sind es ja ohnehin nicht, die sich politisch äußern. Auf Twitter zum Beispiel sind von den 30 Dax-Chefs gerade mal sechs vertreten. Wünschen Sie sich hier grundlegend mehr Sichtbarkeit?
Ja, aber nur im Sinne des Auftrags ihrer Kapitalgeber. Alles andere geht sie nichts an. Als es vor ein paar Monaten darum ging, ob die deutsche Wirtschaft Zement liefern soll für Donald Trumps Mauerbau, hieß es, Trump sei politisch untragbar, den beliefern wir doch nicht. Das fand ich empörend. Trump ist ein demokratische gewählter Präsident. Ob er einem CEO gefällt oder nicht, darf keine Rolle spielen. So etwas muss man einfach trennen. Ein CEO hat die Interessen seiner Auftraggeber zu erfüllen, nicht Glaubensbekenntnisse abzulegen.

Geben Sie also Managern den Rat, besser nicht die Geschäfte zu hinterfragen und nicht nach links und rechts zu schauen?
Natürlich kann man das hinterfragen, das ist die Freiheit eines jeden. Und die Manager können auch gerne nach links und rechts schauen, aber wenn sie nicht nach links gehen wollen, dort aber Geld zu verdienen ist, dann sollen sie abtreten und den Job andere machen lassen. Oder sich die Erlaubnis vom Aktionariat geben lassen. Diese Übergriffigkeit ist in ihren Konsequenzen desaströs. Wie gesagt: Kaeser bewegt sich auf Märkten, nicht in einer Kirche. Ihm ist es hoffentlich auch egal, ob ein moralisch einwandfreier Mensch oder ein Unhold seine Produkte kauft. Ebenso müssen Unternehmen neutrale Begegnungszonen sein.

Bei welchen Themen müssen Konzernchefs aufpassen?
Überall, wo einem humorlos entschlossene Moralisierung entgegenschlägt. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist etwa die Hornbach-Werbung, wo Asiatinnen an verschwitzter Unterwäsche deutscher Hobby-Gärtner schnüffeln. Hornbach wurde Rassismus vorgeworfen, das Unternehmen massiv angefeindet. Dabei war es nur lustig. Es wundert mich nicht, dass die „New York Times“ kürzlich beschlossen hat, keine politischen Cartoons mehr abzudrucken. Es geht Moralisten darum, die Welt zu ordnen in gut und böse. Aber dass die meisten Situationen fundamental ambivalent sind und nicht in richtig und falsch aufzulösen sind, das wird ja auch Herr Kaeser wissen.

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