Karl Zeretzke Der gescheiterte Griff nach den Leifheit-Millionen

Das Unternehmer-Ehepaar Leifheit vermacht Garmisch-Partenkirchen 56 Millionen Euro für Senioren. Ein Mann hat Pläne zur Verwendung des Geldes. Doch an ihm ist nicht nur der Name falsch.

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Ein Mitarbeiter des Haushaltsgeräteherstellers Leifheit kontrolliert die Herstellung von Wäscheständern. Quelle: dpa

Garmisch-Partenkirchen ist der fast perfekte Ort für Leute, die Großes im Schilde führen. Ringsum säumen Berge die Marktgemeinde, die Zugspitze, Deutschlands höchster Gipfel, ist in Sichtweite. Und unten, im Tal, liegt ein Schatz. Bis zu 56 Millionen Euro schwer, das Vermächtnis des Unternehmer-Ehepaars Leifheit.

Günter und Ingeborg Leifheit, die Gründer des Haushaltswarenherstellers, haben ihr Vermögen der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen vermacht, sie soll es nun dazu einsetzen, die Lebensbedingungen von Senioren zu fördern. „Für Garmisch-Partenkirchen ist das eine Riesenchance“, sagt Elisabeth Koch. Die Rechtsanwältin führt die CSU-Fraktion an, die größte im Gemeinderat.

Zum Vergleich: Der Haushalt für 2015 beträgt rund 70 Millionen Euro. Mit dem Leifheit-Nachlass stehen nun auf einen Schlag weitere 80 Prozent der Summe, die die Gemeinde sonst über das ganze Jahr ausgeben kann, für Sonderprojekte zur Verfügung. „Das Geld darf nicht kleckerweise eingesetzt werden. Es muss zu einem großen Ganzen zusammengeführt werden“, sagt Koch.

Das Geheimnis des Dr. Stenius

Eine Privatuni samt Geriatrie-Forschung in Kooperation mit der Stanford University, einer der führenden Universitäten der Welt, das wäre eine schicke Sache für die 26.000-Einwohner-Gemeinde in den bayrischen Bergen. Dr. Carl Stenius kann sich der Aufmerksamkeit sicher sein, als er im Oktober mit genau diesem Vorschlag an die Gemeindeverwaltung herantritt. „Garmisch-Partenkirchen ist schon lange daran interessiert, Wissenschaftsstandort zu werden“, sagt ein Sprecher von Bürgermeisterin Sigrid Meierhofer (SPD).

Und Stenius gibt gleich Vollgas, kontaktiert den Wirtschaftsförderer und den Bauamtsleiter, drängt auf einen Termin mit der Bürgermeisterin, schickt ein mehrseitiges Konzept. Sein Societal Institute e.V. wolle hohe Summen investieren, neben der Uni noch ein Altenpflegeheim, eine Rehaklinik und eine Altenpflegeschule bauen. Mit den Leifheit-Geldern könne man etwa Stipendien finanzieren und die Behandlungskosten für bedürftige Alte übernehmen. Ein Sternehotel und eine Wintersportakademie samt Mediazentrum plane er obendrein.

Doch das kleine, feine Garmisch-Partenkirchen ist eben nur fast perfekt für Leute mit allzu großen Plänen. Wo die Gipfel höher sind als anderswo, geht es auch steiler und tiefer nach unten. Dr. Carl Stenius heißt nicht Carl Stenius, einen Doktortitel hat er ebenso wenig, stattdessen eine stattlich gefüllte Strafakte. Hinter Stenius verbirgt sich Karl Zeretzke, 58, der in den Alpen mal wieder auf den ganz großen Coup hofft. Doch statt die Millionen der Leifheits erschleichen zu können, schleicht er am Ende wie ein geprügelter Hund vom Hof - weil drei Frauen die Hochstapelei entlarven.


Ein Phantom auf der Spur des Geldes

Leute, die mit ihm zu tun hatten, beschreiben Zeretzke als äußerst kamerascheu. Dass es kaum Fotos von ihm gibt ermöglicht es ihm, sich immer wieder neue Namen zu geben. Es ist nicht ohne Ironie, dass sich ausgerechnet ein Phantom wie Zeretzke des Leifheit-Vermächtnisses bemächtigen will. Auch die Leifheits selbst blieben in der Alpengemeinde im Verborgenen, schätzten die Anonymität in der Idylle. „Sie haben sehr zurückgezogen gelebt“, sagt Ratsfrau Koch, die ein Partenkirchener Urgestein ist und aus der Gemeinde stammt, „nur ein paar Leute haben überhaupt gewusst, dass sie hier sind.“ Der Millionen-Nachlass sei deshalb auch „völlig unerwartet“ gekommen.

Günter Leifheit und seine Frau Ingeborg hatten 1959 in Nassau an der Lahn (Rheinland-Pfalz) ihr Unternehmen gegründet, produzierten Teppichkehrer und Bodenwischer, Wäschespinnen und Bügeleisen. 1972 verkauften sie die Firma und zogen sich ins Privatleben zurück, nach Garmisch-Partenkirchen und Lugano in der Schweiz. In Lugano brachten sie ihr Vermögen in eine Stiftung ein, die nun liquidiert wird, nachdem Ingeborg (1999) und Günter Leifheit (2009) gestorben sind. Die ersten Millionen hat Garmisch-Partenkirchen bereits erhalten, die Gelder sind in einem Sondervermögen der Gemeinde geparkt.

Auf dieses Geld hat es Zeretzke offensichtlich abgesehen, als er unter dem Namen Dr. Stenius in der Alpengemeinde aufschlägt. In seinem Konzept spricht er Leifheit ganz offen an. Das Societal Institute will der vermeintliche Wissenschaftler sofort nach Garmisch-Partenkirchen verlegen. Er meldet sich bei Immobilienmaklerin Ingrid Kern und deren Mitarbeiterin Andrea Allavena, will eine Wohnung in Garmisch-Partenkirchen mieten.

Der gescheiterte Griff nach den Leifheit-Millionen

„Er hat uns vorgeschwärmt, dass sein Institut einschlagen wird wie eine Bombe“, erinnert sich Kern. „Da war von internationalen Dozenten die Rede, mit führenden Vertretern der Gemeinde sei er auch schon im Gespräch.“ Der erste Eindruck sei prima gewesen: „Er wirkte leger, aber gepflegt, und er kann sehr gut reden.“ Ihre Mitarbeiterin allerdings hatte von Anfang ein mulmiges Gefühl. „Mir kam der gleich komisch vor“, sagt Allavena, „wie ein Vertretertyp.“ Zudem lassen sich vom angeblich so renommierten Wissenschaftler Dr. Carl Stenius keinerlei Veröffentlichungen über das Internet finden. Doch bis dahin ist eben nur ein mulmiges Gefühl.

Kern spricht mit einer Jugendfreundin - jener Rechtsanwältin Koch, die als CSU-Fraktionsvorsitzende von Bürgermeisterin Meierhofer schon über die Offerte für die Institutsansiedlung informiert worden ist. Die Anwältin recherchiert über das Institut, der Name Carl Stenius taucht in offiziellen Dokumenten nicht auf. Dafür aber findet sie einen anderen: Karl Zeretzke. Als sie den googelt, stößt Koch auf einen Artikel der WirtschaftsWoche - und auf des Rätsels Lösung.

Karl Zeretzke hatte sich unter dem Namen Prof. Dr. Karl Serres de Condé in das Bietverfahren um den Nürburgring eingeschlichen. Nach der Pleite der weitgehend dem Land Rheinland-Pfalz gehörenden Nürburgring GmbH hatten dort die Rechtsanwälte Jens Lieser (Koblenz) als Insolvenz-Sachwalter und Prof. Dr. Dr. Thomas B. Schmidt (Trier) als Sanierungsgeschäftsführer das Kommando übernommen. Sie beschlossen, den Nürburgring zu verkaufen und betrauten die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG um deren Frankfurter Partner Alexander Bischoff mit dem Bietverfahren. Sie alle führte Zeretzke mit der von ihm ersonnenen Investmentfirma La Tene Capital aus Hongkong an der Nase herum.

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