
Es war einer der Momente, an dem Heinz Hermann Thiele seinem Ruf wieder einmal alle Ehre machte. Vor ihm hatte VW-Chef Martin Winterkorn seinen Weg an die „automobile Weltspitze“ geschildert. Nach ihm durften 1.-FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß und Ex-Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Clemens Börsig über die Finanzkrise streiten. Die Zeit dazwischen sollte unter anderem er füllen, indem er über die „Zentralisierung und Regionalisierung in einem international tätigen Unternehmen“ referierte.
Lustlos schreitet der Brocken von Mann ans Rednerpult im Audimax der TU München und spult seinen Vortrag über Knorr-Bremse herunter – jenes Unternehmen in der bayrischen Landeshauptstadt, das er 1987 übernahm, fast 20 Jahre leitete und seit 2007 als Aufsichtsratschef regiert. Den Umsatz hat er auf 4,3 Milliarden Euro verzwanzigfacht, das Geschäft total globalisiert, Bremsen für Züge und Lastwagen überall auf der Welt gebaut. Noch Fragen?
„Könnten Sie sich vorstellen, dass einmal Ihre Tochter an Ihre Stelle tritt?“, will eine Zuhörerin wissen. „Nein“, blafft Thiele zurück. „Biologisch“ gehe das nicht, Frauen wollten nun mal Kinder kriegen. Um beides zu schaffen, dafür gehe es in Konzernspitzen „viel zu hart und zu brutal“ zu. Raunen im Publikum, in dem auch Thieles Tochter Julia sitzt. Noch Fragen?
Unerbittlich, brachial, zupackend wie Bremsbacken und selbstbewusst bis zum Platzen, ein solches Bild zeichnet der inzwischen 72-Jährige von sich seit gut 25 Jahren. In diesem Zeitraum ist er zu einem der erfolgreichsten, eigensinnigsten und verschwiegensten Industriellen Deutschlands aufgestiegen, der nun als Großaktionär und Aufsichtsratschef des sauerländischen Schienen- und Lokbauers Vossloh endgültig zur ganz großen Nummer aufgestiegen ist.
Zur Person
Thiele, 72, war ursprünglich Manager bei Knorr-Bremse. Als Mitte der Achtzigerjahre der damalige tief religiöse Hauptgesellschafter die Lust am Kapitalismus verlor, ergriff der gelernte Jurist die Gelegenheit. Mit sieben Prozent vom Chef im Rücken kaufte er als geschäftsführender Gesellschafter schrittweise der Mutter und der Ehefrau des Haupteigentümers deren Teile ab. Das Geld dafür gab die Deutsche Bank. Zu Schulzeiten in Bielefeld noch leidenschaftlicher 100- und 400-Meter-Sprinter, erwies sich Thiele in den Folgejahren als hoch innovativer unternehmerischer Dauerläufer und Firmenakquisiteur. Ob Flüsterbremsbeläge für italienische Hochgeschwindigkeitszüge oder automatische Türen für den japanischen Superzug Shinkansen: Mit seinen Bremssystemen und Komponenten ist Knorr-Bremse heute in wichtigen Segmenten des Eisenbahn- und Nutzfahrzeuggeschäfts Weltmarktführer.
Auf 4,8 Milliarden Euro schätzt die US-Zeitschrift „Forbes“ Thieles Vermögen, damit ist er der zwölfreichste Deutsche. Sein Unternehmen, das ihm, seiner Tochter und seinem Sohn gehört, ist längst dem Mittelstand entwachsen. Knorr-Bremse besitzt Fabrikationsstätten und Niederlassungen in den absatzträchtigsten Regionen und wichtigen Niedriglohnländern der Welt, von China und Indien über Ungarn und Tschechien bis Australien und den USA.
Obwohl seit 2007 nur noch Aufsichtsratsvorsitzender, agiert der Erfolgsmensch noch immer wie ein Konzernlenker. Seinen ersten Nachfolger Raimund Klinkner habe er „oft geführt wie ein Schoßhündchen“, so ein Aufsichtsrat. Nach viereinhalb Jahren musste der Ex-Porsche-Manager gehen, offiziell im Einvernehmen, in Wahrheit weil Thiele enttäuscht war.

Gespannt beobachten Mitarbeiter nun, wie lange Thiele mit Klinkners Nachfolger Michael Buscher auskommt, der vom Schweizer Maschinenbauer Oerlikon und dem kanadischen Eisenbahnbauer Bombardier zu Knorr-Bremse kam und seit Juli das Unternehmen lenkt. „Buscher ist ein moderater Typ und passt eigentlich gar nicht zu Thiele“, sagt ein Aufsichtsrat. Doch Thiele braucht Buscher, erst recht nach der Machtübernahme bei Vossloh.
Durch seine Art hat Thiele mit Mitarbeitern seine liebe Not. Einerseits nerven ihn Manager, wenn sie manchmal „sogar zu oft“ zu ihm kämen und seinen Rat suchten. Anderseits würden Leute im Stammwerk in München ihm schon mal den Gruß verweigern, berichtet ein Gewerkschafter. „Der quetscht die Leute aus, das lassen die ihn dann auch spüren.“ Thiele muss damit leben. Immerhin lobt ihn der gewerkschaftliche Kritiker im gleichen Atemzug: „Als Unternehmer ist Thiele brillant, schlau und weitsichtig. Er hat als einer der ersten deutschen Industriellen die Bedeutung der Globalisierung verstanden.“