Knorr-Bremse-Kontrolleur Thiele "Ich habe gelernt, in harten Zeiten zu überleben"

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Kein substanzielles Wachstum 2013

Ein Mitarbeiter bei Knorr-Bremse Quelle: Laif

Es gibt Spekulationen, Sie könnten Ihre Lkw-Bremsen-Sparte an den Getriebehersteller ZF verkaufen und aus dem Rest von Knorr-Bremse zusammen mit der Vossloh-Infrastruktursparte einen weltweiten Schienenchampion formen.

Es ist unbegreiflich und schon beleidigend, mir einen solchen Unsinn zu unterstellen. Mit Systemen für Schienenfahrzeuge und für Nutzfahrzeuge hat Knorr-Bremse zwei starke Standbeine, die die Grundpfeiler für den Erfolg in der Vergangenheit bildeten und eine wichtige Basis für zukünftiges Wachstum sind. Beide Branchen folgen unterschiedlichen Konjunkturzyklen und stellen dadurch ein natürliches Risikomanagement dar, das sich in der großen Krise 2009 bewährt hat. Ich müsste wirklich dumm sein, wenn ich diese Strategie ändern würde. Bin ich aber nicht.

Wie war das Jahr 2013 für Knorr-Bremse?

2013 wird uns kein substanzielles Wachstum bringen. Real werden wir zwar drei bis vier Prozent mehr absetzen, durch Währungseffekte wird der Umsatz jedoch auf dem Vorjahresniveau von rund 4,3 Milliarden Euro verharren.

Was erwarten Sie für die Folgejahre?

Wir wollen 2014 und 2015 wieder an das frühere Wachstum anknüpfen und jeweils mehr als fünf Prozent zulegen, wobei wir mit solchen Schätzungen eher vorsichtig sind. Wir wollen immer mehr zum System- oder Subsystemlieferanten von Bremsanlagen und sonstigen Komponenten für Schienen- und Nutzfahrzeuge werden, die den Käufern eine wirtschaftlichere Nutzung ihrer Züge, Bahnen und Lkws ermöglichen und auch darüber hinaus Mehrwert für unsere Kunden schaffen.

Sie gelten in der deutschen Industrie als harter Knochen, weil sie vor gut zwei Jahrzehnten aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sind. Was hat dieser Schritt Knorr-Bremse gebracht?

Solange wir im Arbeitgeberverband waren, hatten wir keinen Einfluss auf die Ziele der Tarifverhandlungen und deren Ergebnisse. Durch den Austritt ist es uns gelungen, die Bedingungen selbst festzulegen, die wir benötigen, um erfolgreich zu sein. Wir haben mit der IG Metall vereinbart, auf welchen Feldern wir uns an die Tarifverträge anlehnen und wo nicht. Bei den Gehaltsabschlüssen ziehen wir mit und gehen sogar hie und da über die Tarifvereinbarungen hinaus. Im Gegenzug haben wir die Hoheit über die Arbeitszeitmodelle und die 42- anstelle der sonst üblichen 38,5-Stunden-Woche, wobei durchschnittlich in der deutschen Industrie ohnehin 40,5 Stunden pro Woche geleistet werden.

von Christian Schlesiger, Max Haerder, Christian Ramthun, Cordula Tutt

Das haben Sie erreicht, indem Sie mit der Verlagerung von Produktion ins Ausland drohten. Trotz der 42-Stunden-Woche arbeitet heute nur die Minderheit der Knorr-Bremse-Beschäftigten in Deutschland. Haben Sie die Belegschaft getäuscht?

Überhaupt nicht. Wir hatten den Leuten klar die Alternativen genannt: 1000 Jobs in Deutschland durch Arbeitszeitverlängerung zu stabilisieren oder ins Ausland zu verlagern. Am Ende stimmten 98 Prozent der Beschäftigten individuell zu. Wir haben für stabile Jobs in Deutschland gesorgt, indem wir einen gesunden Mix aus Hoch- und Niedriglohnstandorten über alle Funktionen hinweg organisiert haben. Ohne diese Kombination hätten wir uns weltweit nicht so erfolgreich weiterentwickeln können. Heute arbeiten rund 50 Prozent unserer Mitarbeiter in Niedriglohnländern. Unsere deutschen Mitarbeiter machen immerhin noch knapp 20 Prozent der Beschäftigten aus.

Ein großartiges Bekenntnis zum Standort Deutschland klingt aber anders.

Dann verrate ich Ihnen etwas: Wir bauen 2014 ein neues, etwa 50 Millionen Euro teures Entwicklungszentrum an unserem Stammsitz in München. Wir hätten das auch in Ungarn tun können, wo wir zwei Werke haben. Wir haben das bis zur Entscheidungsreife durchgerechnet und hätten in Ungarn gegenüber München einen großen Millionenbetrag sparen können. Wir kalkulieren in Ungarn bei ähnlicher Qualifikation ja nur mit halb so hohen Personalkosten. Wir haben uns aber anders entschieden, um München und Deutschland als Entwicklungsstandort von Knorr-Bremse neue Impulse für künftige Innovationen zu geben.

Und dafür machen Sie einfach so einen größeren Millionenbetrag locker?

Nicht einfach so. Geld ist für mich nicht alles. Ich werde da vielleicht verkannt. Ich bin nicht nur Kapitalist. Ich möchte natürliche vernünftige Ergebnisse erzielen, Märkte optimal besetzen und Kundenbedürfnisse maximal erfüllen. Ich sehe Knorr-Bremse aber auch als Unternehmen mit einer ausgeprägten sozialen Komponente. Wenn ich mitbekomme, dass im sozialen Bereich etwas nicht richtig läuft, gerade bei den kleinen Leuten, dann lasse ich das nicht zu.

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