
Ein halbes Jahr lang hat Susanne Klatten, seit Ende April neue Aufsichtsratsvorsitzende des Wiesbadener Grafit- und Carbonherstellers SGL, sich zurückgehalten. Während der vergangenen Monate reiste Klatten durch die SGL-Welt, besuchte etwa ein Werk in Polen, redete mit Betriebsräten und diskutierte mit Noch-Vorstandschef Robert Koehler. Hier scheint die persönliche Chemie nicht zu stimmen: Patriarch Koehler, der seit fast zwei Jahrzehnten über den MDax-Konzern herrscht, ließ seine neue Chefkontrolleurin angeblich mehrfach auflaufen.
Dabei ist Klatten nicht irgendwer. Mit einem geschätzten Vermögen von etwa elf Milliarden Euro gilt die Quandt-Erbin als reichste Frau Deutschlands. Über ihre Gesellschaft Skion hält die 51-Jährige zudem 26,87 Prozent der SGL-Anteile und ist damit die wichtigste Aktionärin.





Deren Macht spürt jetzt das SGL-Management, die Schonzeit ist vorbei. Klatten schrumpft den Vorstand von fünf auf drei Mitglieder. Die Vergütung der Top-Führungskräfte lässt die Aufsichtsratsvorsitzende gerade überprüfen. Ein Sparprogramm, das vor allem Arbeitsplätze in den oberen Managementetagen trifft, ist beschlossen. Und vom 1. Januar an regiert statt des Patriarchen Koehler ein neuer, von Klatten ausgesuchter Vorstandschef in der Wiesbadener Zentrale, dem früheren Palais der Sekt-Dynastie Söhnlein.
Klatten hat dafür gute Gründe: Die Lage beim Grafit- und Carbonspezialisten SGL (Umsatz 2012: 1,7 Milliarden Euro, weltweit mehr als 6.000 Mitarbeiter) ist alles andere als prickelnd. In den ersten neun Monaten dieses Jahres reduzierten sich Umsatz und Betriebsergebnis (Ebitda) in nahezu allen Geschäftsbereichen (siehe Grafik). Zweimal in diesem Jahr musste Koehler die Gewinnprognose nach unten korrigieren. Die Ratingagenturen haben SGL bereits auf „spekulativ“ heruntergestuft.

SGLs Dilemma: Das Hauptgeschäft Grafit hängt an zurzeit kriselnden Branchen wie der Stahl- und der Solarindustrie. Gleichzeitig erfordert der zukunftsträchtige Werkstoff Carbon hohe Investitionen, bringt aber noch längst nicht so viel Ertrag wie erhofft. Das Unternehmen muss daher zunächst vor allem die Kosten drücken.
Aus Carbon, dem superleichten, kohlefaserverstärkten Kunststoff – hart wie Stahl, aber schwierig zu verarbeiten –, wird etwa die Karosserie des neuen BMW-Elektroautos i3 gebaut. Die Carbonherstellung gilt als SGL-Domäne. So hat sich Klatten neben ihrem Engagement via Skion auch über BMW SGL-Anteile gesichert (15,72 Prozent). Sie besitzt knapp 13 Prozent der Aktien des Autobauers. VW hält knapp zehn Prozent der SGL-Anteile, der Maschinenbauer Voith neun Prozent.