Landmaschinenhersteller Claas kämpft in Russland ums Korn

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Mieses Investitionsklima

Es ist ein Vabanquespiel: Mit der teuren Werkserweiterung schafft Claas Fakten, bevor Klarheit über die Wirtschaftlichkeit besteht: Was, wenn aller Logik zum Trotz doch nur Rostselmasch Subventionen bekommt? Kein Wunder, dass keine Bank direkt an der Finanzierung des Werksausbaus beteiligt ist. Claas finanziert ihn komplett aus Eigenkapital oder über Anleihen.

Die Russland-Krise schlägt ohnehin auf die Geschäfte durch. Im ersten Quartal 2014 brach der Rubel-Kurs gegenüber dem Euro um mehr als ein Fünftel ein. Da in Claas-Landmaschinen derzeit zu 75 bis 80 Prozent europäische Komponenten verbaut werden, stiegen die Geräte dadurch im Preis – aber auch die der russischen Hersteller, die mangels heimischer Zulieferer ebenfalls im Westen einkaufen.

Landmaschinenbauer Rostselmasch

Bei Claas traf dies vor allem den Absatz von Traktoren, die die Landwirte im Frühjahr und Herbst bestellen. Finanzchef Michael Ritter musste Kunden entgegenkommen, indem er Verträge zu fixierten Rubel-Kursen abschloss. „Viele sahen den Rubel weiter schwächeln“, sagt Ritter, also stellten sie Investitionen in neue Technik zurück.

Bis heute steht der Hof voll bei Claas am westlichen Stadtrand von Krasnodar. Vor allem Traktoren und Mähdrescher parken neben der Fabrik, Hunderte sind es mittlerweile. Die Traktoren will Ritter im Herbst vom Hof kriegen. Bei Mähdreschern sei ein hoher Bestand Anfang Juni normal: Russische Kunden ließen sie „kurz vor knapp“ ausliefern, um so die hohen Zinskosten von 15 bis 16 Prozent pro Jahr zu sparen.

Inzwischen hat Claas halbwegs die Kurve gekriegt: Ende Mai, als die Bestellungen für Mähdrescher eingingen, stieg der Rubel-Kurs wieder, als Putin auf dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg eine Deeskalation in der Ukraine-Krise versprach. Sofern der Kurs stabil bleibt, hofft Claas auf ein besseres Geschäft im Herbst: „Wir haben zwar eine ordentliche Auftragslage, liegen aber unter dem Niveau, das wir uns noch 2013 vorgestellt hatten“, sagt Ritter.

Dieses Jahr verlassen nur knapp 800 Geräte das Claas-Werk Krasnodar. Die schieben Arbeiter per Hand auf ihren Aufbauten von einer Station zur nächsten. Sie nähern sich den Dresch-Giganten über drei Meter hohe Treppen. „Ein Mähdrescher ist eine richtige Fabrik, die drischt und siebt und häckselt“, schwärmt Ingenieur Bendisch. Jede Maschine ist heute vollgepackt mit Sensoren, die etwa Menge oder Konsistenz des Getreides messen, um den Ernteprozess effizienter zu machen.

Die Russland-Nachfrage allein wird die künftige Kapazität von Claas in Krasnodar vorerst nicht auslasten. Die Branche erwartet 2014 für Russland einen Gesamtabsatz von 5500 Mähdreschern, Traktoren und anderen Landmaschinen – im Vorjahr waren es 6000, im Rekordjahr 2008 gar 17.000. Der Agrarsektor schiebt einen gigantischen Modernisierungsbedarf vor sich her, der wegen teurer Kredite und des miesen Investitionsklimas nicht umgesetzt wird.

Auf lange Sicht hoffen die Ostwestfalen auf die russische Agrarwirtschaft, wo große Felder profitabel zu bewirtschaften sind. Die Deutschen haben sich hier einen guten Ruf erarbeitet. Waleri Masergewitsch, Technikchef der Agroholding Kuban, setzt seit elf Jahren Claas-Mähdrescher ein. Jeder frisst pro Saison 1200 Hektar Getreide und wandert von den Schwarzmeer-Feldern nach Norden, wo Gerste und Weizen später reifen. Den Sommer über kommt jede Maschine auf 600 Motorstunden, einen Totalausfall gab es noch nie.

Seit einigen Tagen aber steht ein Mähdrescher von Rostselmasch auf dem Hof. „Vor zehn Jahren waren die technologisch keine Alternative, inzwischen holen sie auf“, sagt Techniker Masergewitsch. Darum hat er sich eine Maschine zum Testen kommen lassen. „Unsere Investitionsentscheidungen hängen von vielen Faktoren ab“, sagt er, „der deutlich günstigere Anschaffungspreis ist einer davon.“ Wie lange er noch bevorzugt deutsche Drescher kaufe? Keine Antwort. Den Kampf ums Korn hat Claas in Russland noch nicht gewonnen.

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