Lanxess fällt aus dem Dax Warum der Abstieg für Konzernchef Zachert erst der Anfang ist

Für Lanxess war es ein kurzer Aufenthalt in der ersten Börsenliga: Schon nach drei Jahren muss das der Chemiekonzern seinen Platz im deutschen Leitindex Dax abgeben. Konzernchef Matthias Zachert plant die Zeit danach und genießt das Vertrauen der Investoren. Wie macht er das?

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Matthias Zachert Quelle: dpa

Die ersten Kilometer laufen gut für Startnummer 2236. Matthias Zachert, 47 Jahre, trägt ein Laufshirt mit Lanxess-Logo, kurze Sporthose, weiße Socken und Laufschuhe mit orangefarbenen Schnürsenkeln. Der Antritt: entspannt und ambitioniert. Die Strecke beim Leverkusener Halbmarathon führt zunächst durch einen Wald namens Bürgerbusch. Die äußeren Bedingungen sind gut, 15 Grad, leichter Wind, weder Hitze noch Regen.

Doch nun, nachdem die ersten Abschnitte geschafft sind, wird der Weg anstrengender. Zachert läuft nun auf Asphalt statt Lehmboden. Seine Knie werden schwerer. Und die schwerste Prüfung steht noch bevor: Der gefürchtete Anstieg am Sauerberg kommt erst zum Schluss. Am Ende erreicht Startnummer 2236 das Ziel in Leverkusen-Opladen. Hochroter Kopf, das Gesicht voller Schweißtropfen. Eine Stunde, 46 Minuten, 43 Sekunden zeigt die elektronische Zeitmessung an. Besser als die 1:49 aus dem vergangenen Jahr.

Die äußeren Bedingungen sind gut

Was nach fröhlichem Freizeitvergnügen klingt, spiegelt in Wirklichkeit Zacherts eigentliche Hauptbeschäftigung sehr gut wider: seinen Job als Vorstandschef beim Kölner Chemiekonzern Lanxess.

Zachert ist vor mehr als einem Jahr gestartet, nachdem der Dax-Konzern aus Köln vor allem wegen Problemen im Kautschukgeschäft rote Zahlen schrieb und Vorgänger Axel Heitmann gehen musste.

Die Lanxess-Krise

Der Antritt im April 2014: dynamisch. Zachert besorgt über eine Kapitalerhöhung frisches Geld und tauscht fast die Hälfte der Manager aus. Die äußeren Bedingungen sind gut, der schwache Euro hilft beim Export. Doch nun, nachdem die ersten Abschnitte geschafft sind, wird der Weg anstrengender: Überkapazitäten und Preisdruck herrschen, die Aktie schwächelt. Im Leitindex Dax konnte sich Lanxess aufgrund der schwachen Marktkapitalisierung nicht halten. Die Deutsche Börse entschied deshalb am Donnerstagabend, dass der Chemiekonzern nach nur knapp drei Jahren seinen Dax-Platz räumen muss und durch den Immobilienkonzern Vonovia, die frühere Deutsche Annington, ersetzt wird.

Und die schwerste Prüfung steht noch bevor: Zachert muss einen Partner für das kriselnde Kautschukgeschäft finden.

Mit Ausdauer, Strategie und Teamgeist

Am Ende wird Zachert sein Ziel – konstante Gewinne bei besserer Wettbewerbsfähigkeit – wohl dennoch erreichen. Angestrebte Zielzeit: noch zwei bis drei Jahre. Der Lanxess-Chef kennt die Branche und den Konzern; zwischen 2004 und 2011 war er bei dem Chemieunternehmen schon Finanzvorstand. Bei früheren Arbeitgebern wie Hoechst (Chemie) oder Kamps (Nahrungsmittel) hat Zachert Restrukturierungen und Portfolio-Veränderungen in Serie erlebt, er kann gut mit Analysten und Mitarbeitern. Und er hat sich beim Marathon abgeschaut, wie auch große Hindernisse überwunden werden können. Durch Ausdauer, Opferbereitschaft, Strategie und Teamgeist.

Dax-Anwärter und Rauswurfkandidaten

„Der nimmt das Laufen genauso ernst wie das Managen“, sagt ein leitender Lanxess-Mitarbeiter. Zachert läuft, seit er 15 ist. Er wollte damals so den Kopf frei bekommen. Seine um anderthalb Jahre ältere Schwester Isabell erkrankte damals an Keimzellenkrebs, nach der Diagnose lebte sie nur noch ein Jahr. Mutter Christel schrieb später ein Buch über diese Zeit. „Wir sehen uns wieder in meinem Paradies“, war ein Bestseller. Der jüngere Bruder Matthias hatte verstanden. Er beschloss, unbedingt aus seinem Leben etwas zu machen.

Karriere im Schnelldurchlauf

Konsequent nutzt er, was ihn weiterbringt. Zachert macht Karriere im Schnelldurchlauf. Vorbild ist sein Vater Hans-Ludwig, Präsident des Bundeskriminalamtes in RAF-Zeiten – fordernd, gradlinig und einer, der sich für seine Leute einsetzt.

Der Junior lernt Industriekaufmann bei Daimler, studiert Betriebswirtschaft, heuert als Jungmanager beim damals noch existierenden Chemiekonzern Hoechst an, wird Finanzvorstand beim Brötchenbäcker Kamps, dann in gleicher Position bei Lanxess, schließlich beim Pharma- und Chemiekonzern Merck in Darmstadt. Von dort wechselt er an die Spitze von Lanxess, ist mit 47 Jahren der jüngste Vorstand eines Dax-Konzerns.

Bis zum Beginn seines ersten Berufsjahres 1995 absolviert Zachert etliche Marathonläufe. München, Hamburg, Bremen, Karlsruhe und dreimal Deutschlands bekanntesten Stadtmarathon, Berlin: „Über das Laufen habe ich Ausdauer, disziplinierte Vorbereitung und auch Opferbereitschaft gelernt. Für einen Marathon zu trainieren heißt ja auch, auf viele andere Dinge zu verzichten“, sagt Zachert.

Alles ist Strategie

Zachert spricht auffallend häufig über Opfer. Er sitzt im 19. Stock des gläsernen Lanxess-Turms am Kölner Rheinufer, unter ihm fließt der Rhein, und Zachert sinniert darüber, was er wegen der Karriere verpasst hat. Als er für Merck in Darmstadt arbeitete – die Familie war in Bonn-Bad Godesberg geblieben –, habe er die Entwicklung seiner gerade geborenen Töchter verpasst: „Erst war ich der Darling, dann hatten wir plötzlich kaum noch Kontakt.“ Seine Frau, die er während seiner Hoechst-Zeit kennenlernte, wusste immerhin, worauf sie sich einlässt.

Wenn Zachert die heute verfahrene Lage bei Lanxess beschreibt, benutzt er Worte wie Durststrecke, Etappenziele oder Schritte. Es klingt häufig nach Laufen bei ihm. Alles ist Strategie. Seine Marathonstrecken ist Zachert im Geiste vorher durchgegangen: Wie gehe ich den ersten Abschnitt an? Wie den zweiten? Welche Zwischenzeit will ich?

Bislang hat er gehalten, was er versprochen hat

Mit Lanxess macht er es mittlerweile genauso. Seinen Sanierungsmarathon hat er folgerichtig in drei Schritte eingeteilt:

Schritt 1: Arbeitsplatzabbau und Sparprogramm – ist weitgehend abgeschlossen. 1000 von weltweit 17 000 Jobs fallen weg.

Schritt 2: Neuorganisation der weltweiten Produktion. und des Vertriebs. Noch sind dazu nicht alle Maßnahmen eingeleitet.

Schritt 3: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Bis zum Herbst will Zachert einen Partner für das kriselnde Kautschukgeschäft präsentieren, möglicherweise aus Russland oder dem Mittleren Osten. Selbst ein Verkauf der Mehrheit an der Sparte steht zur Debatte.

Immerhin: Bislang hat der Lanxess-Chef immer gehalten, was er versprochen hat. Und oft noch einen draufgesetzt – wie etwa die verbesserte Ergebnisprognose für 2015, die er zur jüngsten Quartalsbilanz abgab. Beim Leverkusener Halbmarathon hatte er angekündigt, mit einer Zeit zwischen 1:50 und 2:00 ins Ziel einlaufen zu wollen, am Ende schaffte er 1:46.

Die Mehrheit vertraut Zachert

Bei Merck haben ihn die Analysten wegen seiner klaren Ansagen und treffsicheren Prognosen hochgeschätzt. Als Zachert zu Lanxess wechselte, stieg der Kurs des Kölner Chemiekonzerns um acht Prozent, Merck brach um zwölf Prozent ein. Mittlerweile kritisieren viele Aktionäre zwar die durchwachsene Kursentwicklung und die bescheidene Gewinnmarge von Lanxess, die Mehrheit traut Zachert jedoch steigende Umsätze und Gewinne zu.

Der Halbmarathon ist gelaufen, die gut 600 Lanxess-Läufer treffen sich zum Ausklang im Innenhof des nahe gelegenen Gymnasiums in Leverkusen-Opladen. Es gibt unter freiem Himmel alkoholfreies Kölsch, Pasta und Melonen; die Firma zahlt. Der Chef, frisch geduscht und in schwarzer Fleece-Jacke, klopft Schultern und klatscht ab. Gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen Michael Pontzen (Finanzen) und Rainier van Roessel (Arbeitsdirektor) zeichnet Zachert die Lanxess-Besten aus.

„Kein Gramm Fett zu viel“, witzelt er, als er Personalmanagerin Dorina Komp für ihre 1:35:58 würdigt und mit ihr für ein Siegerfoto posiert. „Ich dagegen bin nicht fitter, sondern fetter geworden.“ Einen Abteilungsleiter belobigt er, weil er viele Mitarbeiter zur Lauf-Teilnahme motiviert hat. „Das kann aber noch mehr werden“, sagt Zachert, nur halb im Scherz.

Der Lanxess-Marathon geht weiter

Offen, aber auch extrem fordernd agiert der Vorstandsvorsitzende. Im Lanxess-Turm setzt er sich gerne zu wildfremden Kollegen an den Tisch; die Vorstandskantine hat Zachert als eine seiner ersten Amtshandlungen abgeschafft. „Manche sind dann völlig verunsichert, andere nutzen die Gelegenheit und sagen einem die Meinung.“ Zachert fragt dann auch gern, wer beim nächsten Halbmarathon mit dabei ist. Der Chef notiert dann die Namen und informiert die jeweiligen Vorgesetzten über die Zusagen. Die Penetranz kommt nicht immer gut an: „Das geht den doch nichts an, was ich in meiner Freizeit mache“, zürnt deswegen ein Angestellter. Schon zu Merck-Zeiten hatten Mitarbeiter zuweilen einen rüden Ton bei Zachert festgestellt.

„Er hat einen direkten, transparenten Führungsstil entwickelt“, sagt Zacherts einstiger Förderer, der Hoechst-Manager Schmieder. Um Aufbruchstimmung aufzubauen, setzt Zachert nun auf Feedback-Runden. Einmal im Monat treffen sich die Topmanager, um zu reden, ohne Agenda und PowerPoint-Präsentationen. Viele von ihnen haben nun auch mit dem Laufen angefangen.

In Leverkusen ist es nun 13 Uhr, Läufer Zachert macht sich mit seiner Familie auf den Rückweg, die jüngste Tochter sitzt auf Papas Schultern. Seinen insgesamt vier Kindern hat er noch Medaillen besorgt – jeder eine, damit es keinen Streit gibt. Der Lauf ist vorbei, der Lanxess-Marathon noch lange nicht.

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