Lieferengpässe Wen die Lieferkettenkrise am stärksten trifft

Krieg und Handelssanktionen beeinträchtigen zunehmend die Lieferketten deutscher Unternehmen aus Russland und der Ukraine. Quelle: imago images/ITAR-TASS

Der Krieg in der Ukraine hat zunehmend auch Auswirkungen auf deutsche Unternehmen. Eine exklusive Auswertung zeigt, welche Branchen in Deutschland am meisten auf Zulieferer aus Russland oder der Ukraine angewiesen sind.

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Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine machen sich auch hunderte Kilometer von den Frontlinien immer deutlicher bemerkbar. Unter anderem in der deutschen Industrie, wie etwa bei den Autoherstellern. Nach VW, Skoda und Porsche stockt auch bei BMW die Produktion, weil wichtige Komponenten fehlen.

VW hatte bereits vergangene Woche einen Produktionsstopp für E-Autos in Dresden und Zwickau angekündigt. Nun folgte BMW mit der Aussage, die Produktion europaweit herunterzufahren. Branchenweit, so heißt es, fehlen Komponenten des Zulieferers Leoni, der in zwei Fabriken der Ukraine bisher unter anderem Kabelbäume und Komponenten für Bordnetze fertigt. Es werden nicht die einzigen wichtigen Bauteile bleiben, deren kriegsbedingtes Fehlen die Fließbandproduktion der Autobauer zum Stocken bringt. 

Doch nicht nur die Autoindustrie ist betroffen. Eine Vielzahl von Branchen leidet unter durchbrochenen Lieferketten. Das geht aus einer exklusiven Auswertung des auf das Lieferkettenmanagement spezialisierten IT-Dienstleisters Interos für die WirtschaftsWoche hervor. Der amerikanische Spezialanbieter arbeitet unter anderem für deutsche Autohersteller, Luft- und Raumfahrtunternehmen, Firmen aus dem Finanz- und Versicherungswesen sowie aus der chemischen Industrie.

Am stärksten trifft die Krise viele Maschinenbauer. Auf Unternehmen dieser Branche entfallen rund 11 Prozent aller direkten oder über nur einen Zwischenhändler abgewickelten deutschen Lieferbeziehungen nach Russland oder in die Ukraine. An zweiter Stelle folgen mit rund 10 Prozent Firmen aus der Software- und IT-Wirtschaft, die Leistungen bei Unternehmen in den beiden Konfliktstaaten einkaufen. Die Elektronik- und Elektrotechnikbranche folgt mit 7 Prozent der Lieferbeziehungen auf Rang 3. 



Insgesamt beziehen rund 10.000 Unternehmen in der Bundesrepublik direkt oder über Zwischenhändler, sogenannte „Tier-1“- oder „Tier-2“-Lieferanten, Rohstoffe oder andere fertigungsrelevante Vorprodukte aus einem der beiden Länder. Weitere rund 18.000 Unternehmen hierzulande haben „Tier-3“-Lieferbeziehungen. Das heißt, einer ihrer Zulieferer bezieht zumindest indirekt Waren oder Dienstleistungen aus einem der in den Konflikt verwickelten Staaten, so die Interos-Analyse. 

Dabei läuft der Handel mit beiden Ländern nur über gerade einmal 220 deutsche Unternehmen mit direkten Lieferbeziehungen. Doch auch wenn diese direkte Abhängigkeit von Zulieferern aus den beiden Staaten vergleichsweise gering scheine, so Interos-Chefin Jennifer Bisceglie, „bedeutet der aktuelle Konflikt über die anschließende Verzweigung der Lieferketten ein erhebliches Risiko für die Wirtschaft“. 



Russland liegt laut Berechnungen des Statistischen Bundesamtes mit einem Handelsumsatz von rund 33,11 Milliarden Euro nur auf Rang 12 der wichtigsten Importländer Deutschlands. Das entspricht rund der Hälfte der Importe aus Staaten wir Polen, Italien oder Frankreich, die auf den Rängen 4, 5 und 6 hinter China, den Niederlanden und den USA liegen. Die Ukraine wird unter den Top-15-Lieferanten gar nicht gelistet.

Die besondere Betroffenheit des Maschinenbaus zeigt sich auch daran, wie viele Unternehmen hierzulande insgesamt Rohstoffe oder Vorprodukte über Tier-1- oder Tier-2-Lieferanten aus Russland oder der Ukraine beziehen. Hier entfallen 5 Prozent aller von kriegs- oder sanktionsbedingten Liefereinschränkungen oder -ausfällen betroffen deutschen Unternehmen auf den deutschen Maschinenbau. Jeweils 3 Prozent stammen aus der Finanzwirtschaft, sind in der Elektronikbranche tätig oder in der Software- und IT-Wirtschaft.



„Die Folgen der ersten Sanktionen zeichnen sich gerade erst ab“, sagt Interos-Chefin Bisceglie. „Schon jetzt ist absehbar, dass die Auswirkungen auf die globale Wirtschaft in der nächsten Zeit noch erheblich zunehmen werden.“ Im vergangenen Jahr hatte der Dienstleister die Schäden durch schwere Lieferausfälle wie etwa die Blockade des Suez-Kanals im Rahmen einer Umfrage erhoben. Danach lag der Schaden bei betroffenen Unternehmen im Mittel der untersuchten Fälle bei rund 184 Millionen Dollar Umsatzverlust pro Jahr. 

Angesichts der unabsehbaren Folgen des Ukrainekriegs für die globalen Lieferketten sei es unmöglich, belastbare Prognosen zu den künftigen Schäden für die Weltwirtschaft zu treffen. „Aber wir sehen schon jetzt teils drastische Kostenanstiege bei verschiedensten Gütern“, so Bisceglie, „mit direkten Folgen für die Liefer- und Fertigungskapazitäten unterschiedlichster Branchen.“ 

Mehr zum Thema: Russland ist als Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft insgesamt recht unbedeutend. Einzelne Unternehmen aber haben massiv in Produktionsanlagen investiert. Mit dem Ukraine-Krieg brechen diese Beziehungen nun wohl ab.

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