Lieferketten „Der Transport läuft wieder. Aber die Lager sind voll“

Entgegen der Aussagen einiger Konzerne sehen Experten auch in Zukunft Lieferkettenprobleme. Quelle: imago images

Das Chaos bei den Lieferketten war das Gesicht der Pandemie. Jetzt will Apple seine Liefer-Probleme überwunden haben. Doch die nächsten Krisen in der Logistik sind programmiert.

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Wer in der Pandemie ein neues iPhone bestellte, wartete mitunter Monate auf den Postboten. Jetzt geht’s schneller. Alle Lieferschwierigkeiten seien beseitigt, sagte vor wenigen Tagen ein gut gelaunter Apple-Chef Tim Cook anlässlich der Vorstellung der Quartalszahlen. „Apple hat die Schwierigkeiten während Corona und auch die Chipknappheit überwunden.“

Und das betrifft nicht nur Apple. Volker Blume, Leiter für Materialsteuerung, Transport und Versorgungssicherheit bei BMW, erzählte am Rande der diesjährigen Messe für Transport-Logistik in München über Häfen, in denen es kaum zu Verzögerungen komme, Lastwagen, die wieder pünktlich lieferten und Preise, die bezahlbar seien. Zwar seien im Automobilbereich Halbleiter immer noch Mangelware, weil die Nachfrage nach E-Autos rasant steige. Doch die allgemeine Tendenz sei positiv. „Die Lieferketten sind auf einem guten Weg“, sagte Blume. Laut dem Ifo-Institut berichteten im April vier von zehn Unternehmen von Engpässen bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten – ein immer noch hoher Wert, aber der geringste seit mehr als zwei Jahren. Tendenz: fallend.

Sind die großen Lieferkettenprobleme der letzten Jahre also passé? Mitnichten, berichten Experten und führende Marktteilnehmer: Viele Unternehmen bereiten sich schon auf die nächste Krise vor. Das hat Auswirkungen darauf, wie Firmen Warenströme lenken, Rohstoffe beschaffen, Produkte herstellen und verkaufen. Die Rede ist von einem großflächigen Umbau globaler Lieferströme.

„Das Schlüsselwort ist Resilienz“, sagt BMW-Logistiker Blume. Er beobachtet, wie Zulieferer schneller auf Krisen reagieren wollen, indem sie Rohstoffe aus verschiedenen Regionen beziehen und andernorts Lager aufbauen. Buzzwörter wie „Nearshoring“ und „Diversifizierung“ machen die Runde. „Wenn ein Tornado an der Ostküste der USA für fünf Tage das Stromnetz lahmlegt, wollen wir Lieferausfälle überbrücken und bauen in sicheren Gebieten neue Lagerstätten.“

Wetterkatastrophen, Pandemie, ein möglicher Überfall Chinas auf Taiwan – vielen Logistikern spielen die Krisenszenarien der Unternehmen in die Hände. „Fast alle unsere Kunden haben Sorgen, dass ihre Lieferketten wieder reißen“, sagt Tobias Bartz, Chef der Rhenus-Gruppe aus Westfalen. Das Unternehmen mit zuletzt knapp 9 Milliarden Euro Umsatz im Jahr ist in den vergangenen Monaten wie kaum ein anderer Logistiker in Deutschland gewachsen, hat weltweit hunderte Firmen aufgekauft. Im nächsten Jahr soll das Geschäft in Südamerika verdreifacht werden, das Büro in der Türkei wurde in kürzester Zeit von zwei auf 200 Leute hochgezogen.

Rhenus profitiert davon, dass Kunden etwa Alternativen oder ein Backup zu China suchten und Fabriken und Lager in Südamerika oder im Kaukasus aufbauten. Von dort verfrachtet das Unternehmen die Ware mit eigenen Schiffen, Lastern, Zügen und Flugzeugen nach Europa oder bringt sie nach Asien oder in die USA. Die Folge sind neue Fabriken und Lagerhallen abseits alter Netzwerke. Das trifft auch auf die Großen zu. Apple verlagert Teile seiner Smartphoneproduktion von China nach Indien, um das Klumpenrisiko zu reduzieren. Selbst chinesische Autozulieferer wie Hisense zieht es nach Mexiko, um im Fall der Fälle amerikanische Kunden weiter zu versorgen.

Doch die Strategie, alte und neue Lager mit Waren zu fluten, zeigt im Moment auch ihre gefährliche Seite. Weil die Nachfrage seit Monaten ausbleibt, klagen Hersteller über Produkte, die sich in den Werkhöfen stapeln. „Der Transport läuft wieder normal. Aber die Lagerbestände sind hoch“, sagt Tim Scharwath, Vorstand des Speditionsarms der Deutschen Post. Scharwach hat mit Kunden zu tun, die in der Krise mehr und mehr Produkte bestellten, weil nur ein Teil davon überhaupt ankam. Jetzt werden die Paletten endlich zu den Unternehmen geliefert – aber von dort nicht verkauft. Manch ein Kunde habe durch den Flaschenhals in den Lagern Schwierigkeiten, seine Warenbestände im Detail zu überblicken, sagt der Post-Vorstand. Was hier hilft? Vor allem Zeit, meint Scharwath. Doch werde es noch mindestens bis zur zweiten Jahreshälfte dauern, bis die Bestände abgearbeitet seien.

Die nächste Lieferketten-Krise kommt bestimmt

Angebotsschocks durch Krisen – leere Bestände – hohe Nachfrage – überfüllte Lager: Solche Zyklen könnten in Zukunft öfter auftreten, glauben Handelsexperten. Viele versuchen daher, ihre Bestände besser zu überblicken und investieren in digitale Datenbanken, mit denen sich Container und Lieferungen in Echtzeit verfolgen lassen. DHL, Kühne+Nagel, Hapag-Lloyd – kaum ein Logistiker, der darin keinen Markt sieht. Allein der dänische Reeder Moller-Maersk hat in den vergangenen 18 Monaten 6000 zusätzliche Programmierer eingestellt, um für seine Kunden eine Plattform für mehr Transparenz auszurollen.

Zukünftige Krisen gehören zum Geschäft, glaubt man in Kopenhagen und will daher das Transportgeschäft, so wie es bislang war, erweitern. „Die Kunden wollen mehr Flexibilität, um auf Probleme in den Lieferketten zu reagieren“, sagt Jens-Ole Krenzien, der Maersk-Chef in der Region Europa. In Zukunft wollen die Dänen Waren je nach Bedarf „beschleunigen“ oder „verlangsamen“, ganz nach den Wünschen des Kunden. Hat zum Beispiel ein Händler zu viele Schuhe geordert und bekommt sie nicht verkauft, will Maersk dafür sorgen, dass die nächste Ladung nicht zusätzlich ins Lager rollt, sondern zeitverzögert ihr Ziel erreicht. Dazu wird der Schuh-Container während des Transports von Asien nach Europa an einem Verladepunkt vom Schiff genommen und in einem Maersk-Lager für eine gewisse Zeit zwischengeparkt. Braucht der Schuhhändler hingegen plötzlich mehr Produkte, kann er seine Bestellung schneller kommen lassen: Dazu wird die Ware wieder vom Schiff genommen und per Zug oder Flugzeug weiterverschickt.

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Um das Geschäftsmodell zu realisieren, setzt Maersk neben einem Trackingsystem für die Produkte auch auf ein Netzwerk aus eigenen Schiffen, Flugzeugen, Häfen und Spediteuren. Ob die Strategie aufgeht, ist bislang unklar. Sicher ist, dass die Komplexität der Transporte und das Risiko für Fehler dadurch steigt. „Wir müssen die Starrheit aus den Lieferketten nehmen“, glaubt Krenzien trotzdem. Die nächste Lieferketten-Krise kommt bestimmt.

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