Linde AG Fusion mit Praxair im Störfeuer

Der Widerstand gegen die geplante Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair wächst mit jedem Tag. Doch Chefaufseher Wolfgang Reitzle will den Deal auf Biegen und Brechen durchsetzen.

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Die Fusion von Linde und Praxair stößt bei Kleinaktionären und Politik auf Widerstand. Quelle: dpa

Wenn Aldo Belloni am heutigen Vormittag in München die Bilanz des Linde-Konzerns für das Jahr 2016 präsentiert, dürfte sich das Interesse an dem Zahlenwerk in engen Grenzen halten – es gibt dieses Mal wichtigere Themen zu besprechen. So wird sich der Vorstandschef des Münchner Gaseherstellers vor allem vielen – auch unangenehmen – Fragen zu den Fusionsplänen seines Unternehmens stellen müssen.

Als „Zusammenschluss unter Gleichen“ versuchen die Münchner den Investoren und Mitarbeitern die geplante 60-Milliarden-Euro-Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair schmackhaft zu machen. Käme der von Belloni, vor allem aber von Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle forcierte Merger zustande, entstünde der mit Abstand größte Anbieter von Industriegasen. Das neue Unternehmen würde weit vor Branchenprimus Air Liquide aus Frankreich rangieren. Und trotzdem: Die Kritik an dem geplanten transatlantischen Deal wächst praktisch mit jedem Tag, und das Störfeuer kommt von immer neuen Seiten.

Die jüngste Front eröffnete gerade die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). In einem Brief an Reitzle und Belloni kündigt die DSW an, die Tagesordnung der Linde-Hauptversammlung am 10. Mai ändern zu wollen: Entgegen der bisherigen Planungen sollten die Linde-Aktionäre auch über die Fusion mit den Amerikanern abstimmen dürfen. „Die mit der Fusion verbundenen Veränderungen wären dramatisch. Da es an die Struktur des Unternehmens geht, kann es nicht sein, dass eine Entscheidung von solcher Tragweite komplett an den Aktionären vorbei getroffen wird“, sagt DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Bisher ist nur vorgesehen, dass die Praxair-Anteilseigner über den Zusammenschluss abstimmen. Bis Anfang Mai wollen beide Seiten den Deal ausverhandelt haben.

Um eine Änderung der Tagesordnung zu erreichen, benötigte die DSW laut Aktiengesetz ein Zwanzigstel des Grundkapitals. DSW-Vizepräsidentin Daniela Bergdolt behauptet, mit „bedeutenden institutionellen Anlegern, auch aus dem Ausland“ im Gespräch zu sein. „Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbringen“, sagt Bergdolt gegenüber der WirtschaftsWoche. Sollte das Vorhaben scheitern, erwägt die DSW juristische Schritte. „Da würden wir vor Gericht einen Ergänzungsantrag einbringen“, sagt Bergdolt. In der Sache sei der Deal ja richtig, „aber ich will gefragt werden“, so die Aktionärsvertreterin.

Belloni bemüht sich unterdessen, die Situation zu entschärfen. „Professor Reitzle und ich würden uns freuen, Sie in unserer Zentrale begrüßen zu dürfen“, schreibt der Linde-Chef in einem vierseitigen Brief an Bergdolt und Tüngler, der der WirtschaftsWoche vorliegt. Er habe, schreibt Belloni weiter, sein Büro bereits angewiesen, kurzfristig einen Termin für das Treffen anzusetzen. In insgesamt sieben Punkten begründet der Linde-Chef in dem Schreiben, warum es keine juristischen Gründe gebe, die den Konzern zwingen, sich die Zustimmung der Linde-Aktionäre für den Zusammenschluss abzuholen. Auf der Grundlage des vorgesehenen Aktientausches stehe es beispielsweise jedem Linde-Aktionär frei, seine Papiere gegen Anteilsscheine des neuen Unternehmens zu tauschen – oder es eben zu lassen.

Sorgen um den Standort München

Doch nicht nur Kleinaktionäre machen Stimmung gegen den geplanten Zusammenschluss. Störfeuer kommt auch aus der Politik. Mit Stirnrunzeln beobachtet etwa die bayerische Staatsregierung die Fusionspläne bei Linde. Im Wirtschaftsministerium fragt man sich, was am Ende überhaupt vom Linde-Standort München übrig bleibt. „Der Standort München darf nicht geschwächt und Arbeitsplätze müssen erhalten bleiben“, fordert Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Operativ führen soll das fusionierte Unternehmen Praxair-Chef Stephen Angel, auch den Finanzvorstand sollen die Amerikaner stellen. Formal soll der neue Konzern zwar zwei operative Sitze haben: München und Danbury in Connecticut, wo Praxair seinen Stammsitz hat. Wo unter solchen Rahmenbedingungen die meisten Kompetenzen gebündelt werden, dürfte allerdings auch klar sein. Bislang zeichnet sich lediglich ab, dass die Personalabteilung in München angesiedelt werden soll.

In kleiner Runde ließ Angel bereits mehrfach durchblicken, das neue Unternehmen werde zwar Linde heißen, werde allerdings „amerikanisch ticken“ und nach „amerikanischen Regeln“ geführt werden. Kritiker des geplanten Deals sprechen denn auch statt eines „Zusammenschlusses unter Gleichen“ von einer Übernahme Lindes durch Praxair. Ob Angel allerdings am Ende wirklich so durchregieren kann, wie er es ankündigt, ist fraglich. Praxair hat kaum Geschäft in Europa und Asien, verfügt außerdem anders als Linde nicht über eine Sparte mit medizinischen Gasen. Operativ, heißt es in Industriekreisen denn auch, werde Angel die Deutschen sicherlich brauchen.

Zu den schärfsten Kritikern der Fusion zählen die Arbeitnehmervertreter bei Linde und die IG Metall. Zuletzt hatte Michael Kipp, Betriebsratschef bei Linde in Pullach, kräftig Front gegen die Fusion gemacht. „Ich erwarte von den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat natürlich eine klare Absage“, so Kipp. Die Mitbestimmung ginge verloren, der Industriegase-Konzern werde künftig im Managementstil der Amerikaner geführt, glaubt er. „Daher lehne ich die geplante Fusion klar ab“, sagt Kipp.

In der Konzernspitze sorgen solche Äußerungen für Irritationen. Im Dezember hatten die Arbeitnehmervertreter den Gesprächen mit Praxair über eine Fusion ausdrücklich zugestimmt und im Gegenzug eine Beschäftigungsgarantie für die Linde-Belegschaft bis zum Jahr 2021 ausgehandelt. Sollte der geplante Zusammenschluss am Ende kippen, wäre die Garantie hinfällig, und das ursprüngliche Sparprogramm, das auch einen Stellenabbau vorsah, griffe wieder.

Dass die Megafusion am Ende wirklich platzt, ist unwahrscheinlich. Die großen Investoren sitzen in den USA und Großbritannien und wollen den Zusammenschluss unbedingt. Und sollte es im Aufsichtsrat tatsächlich zum Showdown kommen und die Arbeitnehmervertreter geschlossen gegen die Fusion stimmen, könnte Reitzle von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machen.

Die weltweit größten Industriegasekonzerne

Manche der Arbeitnehmervertreter setzen aber noch auf ein anderes Szenario. Die Bafin ermittelt zurzeit unter anderem gegen Reitzle wegen des Verdachts auf Insiderhandel. Er soll Linde-Aktien gekauft haben, als bereits über eine mögliche Fusion mit Praxair gesprochen wurde. Sollte die Finanzaufsicht ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen Reitzle eröffnen, spekulieren sie, wäre der Deal mit

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