Linde-Aufsichtsrat Reitzle könnte Eklat entgehen

Die Geschlossenheit der Arbeitnehmerfront im Linde-Aufsichtsrat zur Fusion mit Praxair wackelt. Damit könnte Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle darauf verzichten, den Plan mit seiner Zweitstimme durchzusetzen.

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Der Aufsichtsratschef könnte im Konfliktfall sein doppeltes Stimmrecht einsetzen. Das gilt jedoch als besonderer Affront gegenüber der Arbeitnehmer. Quelle: dpa

München Vor der mit Spannung erwarteten Abstimmung über die umstrittene Fusion mit Praxair wackelt im Linde-Aufsichtsrat Insidern zufolge die Geschlossenheit der Arbeitnehmerfront. Es sei unsicher, ob in der Sitzung am Donnerstag in München alle sechs Arbeitnehmer-Vertreter gegen die Fusion zum weltgrößten Gasekonzern stimmen, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Damit könnte Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle ein Eklat erspart bleiben. Denn dann könnte er darauf verzichten, den Plan in der Zwölferrunde wie angedroht mit seiner Zweitstimme durchzuboxen.

Die Konfliktfälle, in denen deutsche Aufsichtsratsvorsitzende ihr doppeltes Stimmrecht nutzen, sind sehr selten. Diese Karte zu ziehen gilt deshalb als besonderer Affront gegenüber den Arbeitnehmern, die bei deutschen Großkonzernen die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder stellen.

Dass der Aufsichtsrat in seiner Sitzung am Donnerstag in München das Vorhaben billigt, gilt dagegen Insidern zufolge als so gut wie ausgemacht. Damit käme die geplante Fusion einen wichtigen Schritt voran. Gewerkschaften und Beschäftigte protestieren gegen die Fusion, weil sie um Arbeitsplätze und Einfluss fürchten. Reitzle verspricht sich von einem fusionierten Konzern sinkende Kosten und größere Wettbewerbsfähigkeit.

Am Donnerstag richten sich in München alle Augen auf den Arbeitnehmervertreter des von der Schließung bedrohten Linde-Werks in Dresden, wie mehrere Insider sagten. Der Dresdner Betriebsratschef Frank Sonntag stehe vor der Frage, ob er die mit einer Beschäftigungsgarantie verbundene Fusion ebenfalls ablehne. Arbeitnehmer und Management versuchten jeweils, Sonntag auf ihre Seite zu ziehen, sagten Insider. Falls der Dresdner sich enthält, hätten die Kapitalvertreter im Aufsichtsrat auch ohne Reitzles Zweitstimme eine Mehrheit von sechs zu fünf. Sonntag und Linde wollten sich zu dem Thema nicht äußern.

Sonntag steckt in einer Zwickmühle: Denn Linde versucht den deutschen Mitarbeitern die Fusion mit einem fünfjährigen Kündigungsverzicht schmackhaft zu machen. Damit ist auch der Dresdner Standort vorerst gesichert, dessen Schließung Linde ursprünglich erwogen hatte. Andererseits befürchten Arbeitnehmer, dass der Konzern auch bei einer Fusion nach Ablauf der Beschäftigungsgarantie zu Kündigungen greift. Zudem verlieren die Arbeitnehmer ihre nach deutschen Recht garantierten Posten im Aufsichtsrat, wenn der fusionierte Konzern wie geplant seinen Sitz in Irland hat.

Zuletzt erhöhten die Gewerkschaften und das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium mit einem neuen Gesprächsvorschlag den Druck auf Reitzle. "Bevor es im Aufsichtsrat zu einer Kampfabstimmung in einer derart zentralen Zukunftsfrage für Linde kommt, sollten wir über einen neutralen Mediator ergebnisoffen Kompromissmöglichkeiten ausloten", erklärte Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie. Ein Sprecher der IG Metall begrüßte das Vorhaben. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries erklärte, sie unterstütze Vassiliadis' Forderung.

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