Linde Die zwei großen Aufgaben des Wolfgang Reitzle

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Reitzle tritt häufig oberlehrerhaft auf

Vollends eskalierte der Machtkampf bei Linde, als vor wenigen Wochen anonyme Briefe auftauchten, in denen dem Vorstandschef Büchele Untreue vorgeworfen wird.
Es ging um angeblich zu viel gezahlte Abfindungen; Büchele und seine Mannschaft wiesen die Vorwürfe von sich.

Als hätte Linde nicht genügend Sorgen: Zwar konnte der Konzern mit seinen 65 000 Mitarbeitern im ersten Halbjahr seinen Gewinn steigern. Doch im Anlagenbau gibt es vor allem aufgrund des niedrigen Ölpreises und der Krisen in den einstigen Boomstaaten Russland, Brasilien und China Probleme. Im vergangenen Jahr schrumpfte der Umsatz in der Sparte um 16,5 Prozent auf knapp 2,6 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis fiel von 300 Millionen Euro auf 216 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres setzte sich die Talfahrt fort: Der Umsatz fiel noch einmal um fast 20 Prozent, der Auftragsbestand schnurrte um fast zehn Prozent zusammen.

Deshalb wird es Zeit, dass Reitzle, den Vertraute bisweilen als ruppig beschreiben, den Konzern von dem Führungsstreit befreit. Öffentlich hat sich der Aufsichtsratschef noch nicht zu dem Fall geäußert. Intern hat er Vertrauten zufolge bislang auch noch kein Zeichen gesetzt. Aber das dürfte bald kommen.

Zwar hat Reitzle, berichtet ein Vertrauter, eine klare Meinung zu Denoke: Ein ausgezeichneter Finanzvorstand sei der frühere Vodafone-Manager, aber sicherlich kein Vorstandschef. Doch das heißt noch nichts. Mit Büchele hat er auch nicht unbedingt viel gemein. Per Brief, so heißt es, habe Reitzle sich noch vor seinem Antritt als Linde-Oberaufseher beim Konzernchef über dessen Arbeit beklagt.

Reitzle hat seinen steilen Aufstieg bei BMW zum Forschungsvorstand in den Achtzigerjahren seiner technischen Brillanz, aber genauso seinem Talent zu verdanken, wichtige Leute für sich zu gewinnen. Vor Präsentationen neuer Modelle etwa schrieb Reitzle dem damaligen BMW-Chef Eberhard von Kuenheim jedes Mal detailliert auf, welche Fragen er den Entwicklern stellen soll, berichtet ein Weggefährte.

Vorlesung statt Pressekonferenz

Doch mit dem Erfolg hat sich bei Reitzle ein oberlehrerhaft-professoraler Stil eingeschlichen, bei dem ihm beispielsweise seine Pressekonferenzen als Linde-Chef zuletzt nicht selten zu volkswirtschaftlichen Vorlesungen gerieten.

Hinzu kommt: Reitzle, der seinen Hang zum Luxus offen zelebriert, darüber sogar ein Buch geschrieben hat, und als Hobbywinzer auf seinem Weingut in der Toskana mindestens so viel Ehrgeiz an den Tag legt wie im Job, pflegte als Linde-Vorstandschef zuletzt einen autokratischen Führungsstil. So zumindest berichten es ehemalige Manager des Gasekonzerns und Anlagenbauers. Wie auf dem Exerzierplatz sei es unter Reitzle manchmal zugegangen.

Eine Entscheidung im Machtkampf naht

Nachfolger Büchele, der im Umgang eher als nahbar und jovial gilt, wollte damit brechen. Immer wieder sprach er intern davon, die Mannschaft möge den Krawattenknoten lockern. „Wir müssen die Symbiose hinbekommen zwischen Ordnung und kreativem Chaos, das man braucht, um mit den sich immer schneller verändernden Märkten Schritt zu halten“, sagte Büchele im Mai in einem Interview. Es ist ein Versuch des Kulturwandels, mit dem manche bei Linde nicht umgehen können und wahrscheinlich Reitzle selbst auch nicht.

Bereits im September könnte der Aufsichtsratschef ein Zeichen setzen. Dann nämlich soll Bücheles Vertrag verlängert werden. Im Konzern heißt es, Reitzle tendiere im Moment dazu, den Vertrag mit dem aktuellen Chef zu verlängern. Aber ganz sicher sei das noch nicht. Gehen am Ende beide, Denoke und Büchele?

Es gibt Manager bei Linde, die meinen, es ließen sich extern sicherlich Vorstände finden, die besser zu dem Gasekonzern passen als die beiden.

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