Luftfahrtmesse Farnborough Boeing und Airbus brauchen mehr Drama

In Farnborough zeigen die Giganten der Luftfahrtbranche ihr Können. Quelle: Bloomberg

Auf der Luftfahrtmesse des Jahres im Londoner Vorort Farnborough marschieren die Platzhirsche der Branche auf. Denen täte ein wenig Aufregung gut, damit sie nicht träge werden – und endlich echte Innovationen bringen.

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Es liegt immer eine gewisse Spannung in der Luft, wenn sich im Sommer die Flugbranche zu den großen europäischen Flugmessen trifft. In ungeraden Jahren geht es nach Paris, in geraden Jahren nach London. So überraschend das Wetter zwischen gleißender Sonne und Wolkenbrüchen im Londoner Vorort Farnborough springt, so oft wechseln auch die dramatischen Schlagzeilen. Wenn etwa Dennis Muilenburg als Chef des weltgrößten Flugzeugherstellers Boeing am Sonntag bereits einen Tag vor der offiziellen Eröffnung die ersten großen Termine macht, signalisiert das gewaltige Aufregung auf dem sonst diskreten Privatjetnutzern vorbehaltenen Farnborough Airfield.

Erwartet wird, dass Muilenburg nicht weniger als ein komplett neues Flugzeugmodell ankündigt namens 797 oder NMA (für New Midmarket Aircraft). Es ist Boeings erste komplette Neuentwicklung, seit der Konzern nach jahrelangem Ringen vor 15 Jahren den Dreamliner 787 ins Leben rief. Die 797, so die Erwartung, soll bei den Amerikanern die Lücke zwischen dem Mittelstreckenmodell 737 Max und dem Langstreckenflieger 787 schließen – und ähnliche Airbus-Modelle durch besonders niedrige Betriebskosten unter Druck setzen. Dazu dürften dann von beiden Herstellern gleich ein paar Großaufträge kommen. Zu guter Letzt werden sich viele Diskussionen rund um den Brexit drehen und wie es bei den beiden Branchenführer mit den bereits durchgeführten oder geplanten Übernahmen weitergeht.

Doch so dramatisch viele Schlagzeilen auch wirken. Die Aufregung ist größtenteils vordergründig, wenn nicht gar gespielt.

Neuer Boeing-Jet könnte Star der Messe werden
Boeing 737-MAX Ryanair Quelle: imago images
Boeing 787 Dreamliner Quelle: imago images
Boeing 787 Dreamliner Quelle: imago images
Boeing Produktion Quelle: imago images
Airbus A330neo Quelle: imago images
Airbus A321neo LR Quelle: imago images
Boeing-Chef Dennis Muilenburg Quelle: imago images

Zum einen wird es noch ein paar Jahre dauern, bis Boeings 797 wirklich abhebt. Noch sind viele Airlines skeptisch, weil ihnen als Kunden das nötige Wissen für eine Bestellung fehlt. „Wir haben noch keine genaue Vorstellung von den Details“, sagte Tim Clark, Chef des Boeing-Großkunden Emirates aus Dubai im Juni. Und auch wenn Boeing das Programm ankündigen sollte, gehen noch ein paar Jahre ins Land, bis die erste Maschine fliegt. „Wenn wir das Programm starten, dann wollen wir die NMA 2025 auf den Markt bringen“, dämpft Boeing die Erwartung. „Es könnte aber auch später werden,“ schätzt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Hauptgrund: Vor dem Termin gibt es nur wenig neue Technologie im Flugzeugbau, dank der die Betriebskosten pro Passagier im Vergleich zu heutigen Modellen so weit sänken, dass der Entwicklungsaufwand von wahrscheinlich deutlich mehr als zehn Milliarden Dollar gerechtfertigt wäre. „Dazu gab es bislang noch bei jedem neuen Flugzeug mehrjährige Verspätungen, weil der Bau am Ende komplizierter war als gedacht“, sagt Richard Aboulafia, Analyst der auf die Flugbranche spezialisierten Denkfabrik Teal Group aus den USA.

Ähnlich ist es mit der Aufregung durch den Brexit. Zwar gab es auch hier zuletzt harte Worte. Airbus-Chef Tom Enders etwa warf in gewohnter Klarheit der britischen Regierung vor, keine Ahnung von den Folgen eines harten, ungeregelten Austritts aus der EU zu haben. Zudem seien weiten Teilen der Regierung die Bedenken der Wirtschaft „völlig egal“. Doch kurz darauf bei einem Bankett der Deutschen Außenhandelskammer in der britischen Hauptstadt erkannte Enders dann Fortschritte bei der Regierung des Vereinten Königreichs und forderte, die EU müsse sich nun „ähnlich fair und pragmatisch verhalten.“

Der Luftfahrtbranche täte ein wenig echte Aufregung eigentlich mal ganz gut. Denn die Marktführer Boeing und Airbus sitzen auf einem so großen Haufen an Bestellungen, dass sie selbst einen Verlust von mehr als zehn Prozent ihrer Orders locker wegstecken könnten - wenn sie ihn gar angesichts der aktuellen Probleme beim Bau nicht gar herbeisehnen. Am Ende haben die Fluglinien selbst bei Pannen oder Verzögerungen der Auslieferungen keine Wahl zu wechseln, denn die Hersteller müssen weniger denn je Konkurrenz fürchten.

Raus aus der Wagenburg!

Zwar haben Boeing und Airbus zuletzt immer weiter an ihrer Fertigung gefeilt. Dabei hat etwa Airbus kürzlich ein neues Fabrikkonzept vorgestellt, wo der Bau der Flugzeuge bis zu 20 Prozent weniger kosten soll als bisher. Doch das ist etwas wenig. Angesichts der wachsenden Umweltdiskussion rechnen viele Fluglinien mit stärkeren Auflagen und hohen Extrakosten für die heutigen vergleichsweise durstigen Jets, besonders wenn der Emissionshandel für die Flugbranche kommt.

Gerade in Sachen Neuerungen beim Produkt hat sich die Branche zuletzt zurückgehalten und setzte weniger auf offensive Innovation. Statt komplett neue Maschinen zu entwickeln, hat sie zuletzt fast ausschließlich sparsamere Motoren an ihre alten Jets gehängt – oder bestehende Modelle anderer Hersteller übernommen. So ließ sich Airbus vom kanadischen Hersteller Bombardier dessen notleidende C-Series schenken und ergänzte mit der in A220 umbenannten sparsamen Neuentwicklung seine A320 genannten Kurz- und Mittelstreckenjets. Boeing verhandelt gerade mit Embraer aus Brasilien über den Kauf des Passagierfluggeschäfts rund um dessen 120-sitzigen E-Jet.

Diese Wagenburg-Mentalität ist verständlich. Denn so aggressiv sich die beiden Widersacher in ihren Verkaufskampagnen auch geben: Die Erfahrung zeigt, dass es für echten Wettbewerb in einer Branche mindestens drei Kontrahenten braucht. Ein ernstzunehmender Dritter im Bunde ist derzeit jedoch nicht in Sicht. Zwar versuchen sich Suchoi aus Russland und Comac aus China mit eigenen Mittelstrecken-Maschinen. „Doch spüren werden Airbus und Boeing wohl nur die 150-sitzige C919 aus der Volksrepublik und das vorläufig wohl fast nur im chinesischen Markt“, glaubt Luftfahrtexperte Großbongardt.

Die Hersteller hätten genug Möglichkeiten, aktiver zu werden. Sie könnten den Einsatz neuer Technologien wie einer Art 3D-Druck für Kabel im Flugzeug ebenso fördern wie die Arbeit an neuen Flugzeugformen. Denn am Ende sehen selbst die neuesten Modelle wie der Airbus A350 mit ihrem Design von Flügel und Rumpf fast genauso aus wie die 60 Jahre alte Boeing 707.

Experten wie die Beratung Alix Partners raten in ihrer gerade erschienen Branchenstudie „Aerospace Study 2018“, nicht nur auf Zukäufe zusetzen. Aus ihrer Sicht gilt es, in neue Felder zu investieren, wie Dienstleistungen vor allem rund um das Wartungsgeschäft. Ebenso wichtig sei es, durch einen digitalen Umbau ihrer Logistik und der Produktentwicklung effizienter zu werden. „Damit könnten die meisten Unternehmen der Branche ihre Kostenbasis in nur zwei bis drei Jahren um bis zu 20 Prozent verbessern“, prognostiziert Studienautor Stefan Ohl, Managing Director bei Alix Partners.

Das könnte die Branche gut gebrauchen. Denn bald schon könnten trotz der dicken Polster am Ende doch die Flugzeugpreise schwächeln, weil bei den Airlines das Geld knapper wird. Angesichts der wachsenden Spritpreise erwartet Daniel Roeska, Analyst des New Yorker Brokerhauses Bernstein, dass viele Airlines die Ticketpreise anheben und dann zuerst ihren Wachstumskurs überdenken und später auch manche Jetanschaffung. Das Alix-Team sieht das ähnlich. Selbst wenn die Fluglinien viele alte Jets aus dem Verkehr zögen, erwarten die Experten anhand der Bestellungen ein Flottenwachstum, während die Nachfrage nur um rund 60 Prozent zulegt.

Also Airbus und Boeing: Raus aus der Wagenburg.

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