Matthias Müller So sehr macht der Affenskandal dem VW-Chef zu schaffen

Die Toleranzgrenze von VW-Chef Müller für Skandale innerhalb des Autokonzerns scheint erreicht. Müller sei frustriert und verliere die Lust, berichten Insider.

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Der VW-Boss habe auf die Ablöse von Audi-Chef Rupert Stadler gedrängt. „Damit ist er aber nicht durchgedrungen“, sagt ein Insider. Quelle: dpa

Hamburg/Wolfsburg Kartellvorwürfe, Affentests - und bei Audi steht wieder die Staatsanwaltschaft im Haus: Wenn Volkswagen-Chef Matthias Müller den Autokonzern gerade in etwas ruhigerem Fahrwasser wähnt, kündigt sich schon das nächste Desaster an. Der Vorstandschef muss dann wieder Schadensbegrenzung betreiben und kann sich nicht der eigentlichen Aufgabe widmen: Dem Umbau des Wolfsburger Konzerns zu einem modernen Anbieter von Elektroautos und Mobilitätsdiensten. Müller verliere inzwischen die Lust, sagte eine mit den Vorgängen im Top-Management vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters. „Seinen Vertrag wird er sicher erfüllen. Aber er ist ziemlich frustriert.“ Ein anderer Insider hat bei Müller ebenfalls „eine gewisse Frustration“ beobachtet.

Vor allem der jüngste Skandal über fragwürdige Abgastests mit Affen habe Volkswagen in Aufruhr versetzt. „Diese Diskussion hat das Fass zum Überlaufen gebracht, es ist emotional ein Riesenthema“, sagt eine dritte Person aus dem Konzern, die nicht namentlich genannt werden wollte. Ein Konzernsprecher räumte ein, dass die Diskussion an Müller nicht spurlos vorbeigehe. „Es ist frustrierend, weil wir es noch nicht geschafft haben, das Unternehmen so weit zu drehen, dass die Leute bereit sind, uns das offen auf den Tisch zu legen.“ Damit wird deutlich, dass der von Müller versprochene Kulturwandel auch zweieinhalb Jahre nach Dieselgate noch nicht richtig greift. „Niemand findet es angenehm, wenn es drei Schritte vorangeht - auf dem Zug waren wir gerade - und man dann fünf Schritte zurückgeworfen wird.“ Amtsmüde sei Müller deshalb nicht.

Neben den immer wieder aufflammenden Krisenherden in dem Konzern - zuletzt durchsuchte die Staatsanwaltschaft erneut die VW-Tochter Audi - macht Müller zu schaffen, dass die Familieneigner bei wichtigen Entscheidungen auf der Bremse stehen. Müller sei es inzwischen leid, dass die Familie nicht bereit sei, wegweisende Entschlüsse zu fassen, sagte eine Person mit Kenntnis der Situation im Aufsichtsrat. Müller habe auch auf die Ablöse von Audi-Chef Rupert Stadler gedrängt. „Damit ist er aber nicht durchgedrungen.“ Stadler habe weiter die Unterstützung der Familie Piech/Porsche. Diese äußerte sich nicht. Öffentlich geworden waren unlängst Meinungsverschiedenheiten über einen Verkauf von Randbereichen wie der Motorradmarke Ducati und dem Getriebehersteller Renk. Dabei fuhren die Familien Müller in die Parade. Sie pochen darauf, dass solche Fragen zuerst im Aufsichtsrat beraten werden. Auch der Betriebsrat machte Front gegen Anteilsverkäufe.

„Damit muss er umgehen lernen“, heißt es aus dem Umfeld der Familien, die über ihre Holding Porsche SE die Mehrheit an dem weltgrößten Autokonzern halten. Die Porsches und Piechs fühlen sich von Müller nicht ausreichend über seine Pläne informiert. „Die sagen, solche Sachen muss man besser kommunizieren. Gerade wenn es um Verkäufe geht.“ Allerdings ist die Überprüfung von Randbereichen Teil der von Müller schon im Juni 2016 verkündeten Strategie 2025.

Die Familien hatten Müller im September 2015 aufs Schild gehoben, als der damalige Konzernchef Martin Winterkorn im Zuge des Dieselbetrugs zurücktreten musste. Schon damals ließ Müller erkennen, dass er den liebgewordenen Posten als Porsche-Chef nur ungern verließ und bei Volkswagen nur für eine Amtszeit zur Verfügung steht. Sein Vertrag läuft noch bis 2020. Müller soll die Aufklärung der millionenfachen Manipulation von Abgaswerten vorantreiben und den Konzern zugleich ins Zeitalter der E-Mobilität führen. Dabei kann der 64-Jährige erste Erfolge aufweisen. Die lange schwächelnde Marke VW kommt unter dem früheren BMW-Manager Herbert Diess bei der Steigerung der Profitabilität voran. Der Konzern macht Gewinn, steckt die Milliardenlasten für die Wiedergutmachung des Dieselbetrugs scheinbar mühelos weg, und steht an der Börse wieder gut da.

Über allem schwebt allerdings die Gefahr, dass bei Volkswagen wieder alles auf null gestellt werden muss. Sollte die Staatsanwaltschaft im Zuge der Ermittlungen in dem Abgasskandal Anklage wegen Marktmanipulation gegen einen der Verantwortlichen erheben, müsste womöglich der Vorstand umgebaut werden. „Es gibt Szenarien: was passiert wenn?“, sagte einer der Insider. Aktuell gebe es jedoch keinen Anlass. „Der Konzern tut gut daran, wenn er die Leute auf ihren Positionen belässt.“ Ein anderer Konzernkenner kritisiert allerdings: „Es müsste dringend darüber geredet werden, wer folgt auf Herrn Müller, wer folgt auf Herrn Garcia, wer folgt auf Herrn Stadler. Aber da passiert anscheinend nichts. In den Gremien wird das nicht besprochen. Im Flurfunk ist auch nichts zu hören.“

Bei der Aufsichtsratssitzung am 23. Februar werde der Vorstand dem Kontrollgremium erneut umfassend Bericht zu dem Fall erstatten, teilte Volkswagen im Anschluss an eine Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums mit. Dort habe der Vorstand erstmals einen ausführlichen Zwischenbericht im Zusammenhang mit den Tierversuchen gegeben. Details wurden zunächst nicht bekannt, vorläufige Schlussfolgerungen seien „nicht zielführend“.

Die Autoindustrie hatte Wissenschaftler eingespannt, die mit der Lobbyorganisation EUGT Gesundheitsgefahren von Dieselabgasen verharmlost haben sollen. Dabei waren auch Affen mehreren Tests ausgesetzt. Darüber hinaus förderte die Initiative eine Studie der Universität Aachen zur Stickstoffdioxid-Belastung am Arbeitsplatz - Probanden waren 25 Menschen. BMW, Daimler, VW und Bosch hatten die EUGT gemeinsam gegründet, Bosch stieg 2013 aus.

Nach Bekanntwerden der Experimente hatte Volkswagen seinen Cheflobbyisten Thomas Steg beurlaubt, Daimler stellte seinen Mitarbeiter frei, der den Autobauer im EUGT-Vorstand vertreten hatte. BMW befreite den betroffenen Referenten von seinen Aufgaben im Segment urbane Mobilität und Kommunen.

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