Medigene Ein deutsches Biotech-Unternehmen kämpft mit Killerzellen gegen Krebs

Modifizierte T-Zellen sorgen für Furore in der Krebstherapie. Mit Medigene mischt nun erstmals auch eine deutsche Biotechfirma in dem Milliarden-Markt mit.

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Das Münchener Biotech-Unternehmen forscht an modifizierten T-Zellen in der Krebsimmuntherapie. Quelle: Medigene AG

Frankfurt Sie zählen zu den gefährlichsten Killern im menschlichen Körper und agieren zugleich als seine wichtigsten Verteidiger. T-Lymphozyten, kurz auch T-Zellen genannt, sind als zentrale Akteure des Immunsystems darauf spezialisiert, kranke Zellen oder Mikroorganismen abzutöten und so etwa Virusinfektionen und andere Krankheiten abzuwehren. Laufen T-Zellen Amok, sind sie in der Lage, in relativ kurzer Zeit ganze Organe zu zerstören, so etwa bei den gefürchteten Abstoßungsreaktionen gegen Transplantate.

Diese enorme Zerstörungskraft macht T-Zellen zu einem der wichtigsten Hoffnungsträger in der Krebstherapie: Gentechnisch modifizierte T-Zellen, so zeigte sich in den letzten Jahren, sind in der Lage, Krebszellen äußerst wirksam aufzuspüren und abzutöten.

Sie bieten damit das Potenzial für eine ganz neue  Form der Krebsbehandlung und haben das bei einigen speziellen Leukämien und Blutkrebserkrankungen auch bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt.  In einzelnen Studien mit schwerkranken Blutkrebs-Patienten, die alle Alternativen ausgeschöpft hatten, bildeten sich bei mehr als 80 Prozent der behandelten Patienten die Krebszellen komplett zurück.

Zwei dieser neuartigen Zelltherapien, Produkte der Pharmahersteller Novartis und Gilead, sind in den USA inzwischen zugelassen, Dutzende weitere befinden sich in der Entwicklung. Und nicht zuletzt auch mehrere milliardenschwere Übernahmen in dem Bereich signalisieren das wachsende Interesse der Pharmabranche an den T-Zell-Therapien.

Erstmals hat vor wenigen Tagen nun auch eine deutsche Biotechfirma eine klinische Studie auf dem Gebiet gestartet: Die Münchner Firma Medigene. Nachdem das zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) vor wenigen Wochen die Genehmigung erteilte, will Medigene insgesamt eine Studie an 92 Patienten durchführen, die an akuter myeloischer Leukämie (AML) oder vergleichbaren Blutkrebsarten leiden.

Das sind schwer behandelbare Krebsarten, bei der sich bestimmte Blutzellen aus dem Knochenmark unkontrolliert vermehren. Medigene-Entwicklungschef Kai Pinkernell wertet den Studienbeginn als „wichtigen Schritt für die weitere Validierung unserer Forschung.“

Das Therapiekonzept, auf dem sich die Münchner engagieren, ist nicht nur relativ neu, sondern auch besonders ungewöhnlich für die Pharmabranche. Denn es handelt sich letztlich nicht um klassische Arzneiwirkstoffe, sondern um eine Gen- und Zelltherapie gegen Krebs.

Konkret geht es darum, die Immunzellen von Patienten außerhalb des Körpers umzuprogrammieren und sie dann gegen Krebszellen einzusetzen. Im Prinzip handelt es sich damit um stark individualisierte Therapien, die eher einer klassischen Stammzell-Transplanation bei Leukämiepatienten ähneln als der typischen Medikamenten-Behandlung.

Im Falle Medigene geht es um eine sogenannte TCR-Zelltherapie. Das Münchner Unternehmen sieht sich Spezialist in der Analyse und Auswahl von T-Zell-Rezeptoren. Das entsprechende Know-How hat sich das Unternehmen vor vier Jahren mit der Übernahme der Firma Trianta Therapies, einer Ausgründung aus dem Münchner Helmholtz-Zentrum, erworben.

Deren Leiterin, Dolores Schendel, ist inzwischen Chefin von Medigene und hat das Unternehmen voll auf Immun- und Zelltherapien gegen Krebs ausgerichtet. Neben der nun anlaufenden Studie mit modifizierten T-Zellen testet Medigene noch eine andere Form von Immunzellen, die vor allem als Informationsvermittler im Immunsystem agieren.

Ferner arbeitet Medigene mit der US-Firma Bluebird Bio in einer Allianz zusammen, aus der ebenfalls mehrere Produktkandidaten auf Basis der TCR-Technik der Münchner hervorgehen sollen. Im Erfolgsfall könnten den Münchner aus dieser Allianz Zahlungen von mehr als einer Milliarde Dollar zufließen. Allerdings befinden sich die Projekte mit Bluebird durchweg noch in der vor-klinischen Phase.

Zudem ist der Wettbewerb auf dem Gebiet inzwischen intensiv. In der Datenbank clinicaltrials.gov sind inzwischen mehr als 160 aktive oder geplante klinische Studien mit Zelltherapien auf Basis von TCR- Technologien registriert. Sehr viele dieser Tests werden von akademischen Zentren und Kliniken vorangetrieben.

Aber auch  großen Pharmafirmen engagieren verstärkt auf dem Gebiet. Neben Novartis gehört dazu etwa die britische Astra-Zeneca oder die US-Konzerne Amgen und Pfizer. Auch die Darmstädter Merck-Gruppe ist seit einigen Jahren auf dem Feld vertreten und kooperiert dazu mit der US-Biotechfirmen Intrexon und Ziopharm.


Gewaltiges Potential

Welches Potenzial Pharmakonzerne in der neuartigen Technik vermuten, zeigen nicht zuletzt auch zwei große Deals. So legte der US-Pharma- und Biotechkonzern Gilead Mitte des vergangenen Jahres rund 12 Milliarden Dollar auf den Tisch um Kite Pharma zu übernehmen. Deren Haupt-Entwicklungsprodukt erhielt wenige Wochen nach der Übernahme eine erste Zulassung in den USA.  Im Januar folgte der US-Konzern Celgene mit der neun Milliarden Dollar teuren Akquisition von Juno.

Ob sich derart ambitionierte Bewertungen am Ende rechnen, ist bisher noch kaum abzusehen.  Denn die neuartigen Zelltherapien bergen einiges an wissenschaftlichen wie kommerziellen Risiken – vor allem die Kosten der Produktionsverfahren.

Denn anders als bei herkömmlichen Medikamenten müssen die Immunzellen mit einem komplexen Verfahren für jeden Patienten einzeln aufbereitet werden. Für die Pharmafirmen resultiert daraus praktisch ein ganz neues Geschäftsmodell, das von der klassischen Medikamentenproduktion weit abweicht.

Novartis will dazu ihre zugelassene T-Zell-Therapie Kymriah  über 30 spezialisierten Zentren vertreiben und  die Modifikation der T-Zellen in einer zentralen Produktionsstätte für den US-Markt durchführen. Eine ähnliche Struktur plant der Konzern auch für Europa. Den Preis für die Therapie hat der Schweizer Konzern bei 475.000 Dollar angesetzt. Er bewegt sich damit in ähnlichen Dimensionen wie bei Stammzell-Transplantationen.

Zudem sind T-Zell-Therapien bislang mit erheblichen Nebenwirkungen und medizinischen Risiken verbunden, wie etwa aus den Zulassungs-Unterlagen für das Novartis-Produkt hervorgeht. Sie dürften auch von daher zunächst einmal auf besonders schwer erkrankte Patienten beschränkt bleiben, die keine anderen Therapie-Möglichkeiten mehr haben. Denn die modifizierten T-Zellen greifen grundsätzlich alle Immunzellen an, die für die Bildung von Antikörpern zuständig sind – mit der Folge, da dass die Patienten anfällig für Infektionen werden.

Trotz der gravierenden Nebenwirkungen sprachen sich die FDA-Experten einstimmig für eine Zulassung aus. Sie waren offenbar beeindruckt von der hohen Wirksamkeit bei relativ aussichtslosen Fällen.

Unklar ist bisher, wie breit das Anwendungsspektrum der T-Zell-Therapien über die Behandlung von speziellen Leukämien hinaus wirklich werden kann. Entscheidend dafür ist es, die Immunzellen auf möglichst spezifische Rezeptoren auszurichten, die nur auf Krebszellen auftauen, nicht aber auf gesunden Zellen. Denn angesichts der zerstörerischen Kraft von T-Zellen können andernfalls die Nebenwirkungen schnell überhand nehmen.

Medigene-Chefin Schendel ist jedoch überzeugt, dass die Therapie des Biotech-Unternehmens breite Anwendung findet: „Die Ziele, die wir mit unseren T-Zell-Rezeptoren angehen können, haben auch Relevanz für solide Tumore“.

Auf lange Sicht setzt das  Münchner Biotechunternehmen  darauf, dass man mit der eigenen Technik auch Krebsarten attackieren kann, die für die bisherigen, und zum Teil bereits zugelassenen, Zelltherapien auf Basis der Car-T-Technik unzugänglich sind. Allerdings dürfte es noch einige Jahre dauern, bis man diese Vorzüge der eigenen TCR-Technik auch in klinischen Studien unter Beweis stellen kann.

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