Medikamente Wie die Pharmaindustrie mit Schmerzen gewinnt

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Ibuprofen überholt Aspirin

Parallel dazu floriert der Markt weiter, mal mit dem einen, mal mit dem anderen Wirkstoff. Nach dem Vioxx-Skandal erlebte beispielsweise das Ibuprofen einen enormen Aufstieg.
Denn damals suchten Forscher in groß angelegten Studien erneut bei den rezeptfreien Schmerzmitteln nach Nebenwirkungen aufs Herz-Kreislauf-System. Weil Ibuprofen dabei verhältnismäßig gut abschnitt, da es den Blutdruck nicht so stark anhebt wie die anderen Mittel, galt es anschließend landläufig als nebenwirkungsarm und empfehlenswert. Ärzte verschreiben es zudem gerne vor oder nach Operationen, weil es nicht so stark blutverdünnend ist wie Aspirin – und gleichzeitig entzündungshemmend wirkt. Außerdem fielen die Pillen mit 400 Milligramm des Wirkstoffs 1998 aus der Verschreibungspflicht. Ergebnis: Im Jahr 2013 überholte Ibuprofen mit mehr als 70 Millionen verkauften Packungen in Deutschland Aspirin als stärkstes Schmerzmittel, allerdings generiert Letzteres dank starker Markenstellung mehr Umsatz.

Ein Drittel aller Deutschen nimmt mittlerweile mindestens einmal pro Monat ein Mittel gegen Kopfschmerzen ein. Einen Ausfall wollen viele nicht hinnehmen. Wie damals der Unternehmer Brack, der sich lieber ein starkes Schmerzmittel über Monate hinweg verschreiben ließ. Seine Sucht war unauffällig. Kein Geruch wie von Alkohol, keine schlechten Zähne wie von Crystal Meth, kein aufgedrehtes Verhalten wie von Koks. Erst als er versucht, ohne das Schmerzmittel auszukommen, wird ihm klar, dass er abhängig ist. „Das war die Hölle: Schweißausbrüche, Angstzustände, Schüttelfrost. Da habe ich gemerkt, dass ich ein großes Problem habe“, sagt Brack. Als er sich hier in der My Way Betty Ford Suchtklinik einlieferte, nahm er 180 Tropfen statt der 20. Vier Wochen dauert die Therapie mindestens, jeder Tag kostet mehrere Hundert Euro. Der Chefarzt der Entzugsklinik reduziert täglich die Anzahl der Tropfen, dazu kommen stundenlange Therapiegespräche. Wie viele der 36 Patienten bezahlt auch Brack einen Großteil der Kosten selbst. Es ist ein System aus Medizinern, Pharmafirmen und Apothekern, von denen niemand die Verantwortung für die negativen Folgen und all die Suchtkranken übernehmen will.

Alternativen zu Aspirin & Co

Derweil wird an alternativen Möglichkeiten geforscht, um Schmerz zu bekämpfen. Zum Beispiel Cannabis aus Hanf. Ein Wissenschaftlerteam der Universität Toronto hat vor zwei Jahren sechs Studien ausgewertet, die den pflanzlichen Wirkstoff untersuchten. In allen wurde die schmerzlindernde Wirkung bestätigt, wenn auch teilweise in Kombination mit anderen Medikamenten. Die Bundesregierung will deshalb dafür sorgen, dass schwerkranke Patienten medizinisches Cannabis aus der Apotheke erhalten können.

Mit einer Ausnahmegenehmigung können sich schon jetzt rund 500 Patienten Hanfblüten aus der Apotheke besorgen. Und der Hersteller pflanzlicher Medizin Bionorica produziert bereits seit 2002 den Cannabis-Wirkstoff Dronabinol. Schmerzpatienten mit einem ärztlichen Betäubungsmittelrezept erhalten ihn – auf eigene Kasse - in Apotheken. Allerdings musste der Cannabis-Wirkstoff bisher für jeden der seither etwa 20.000 Patienten persönlich vom Apotheker dosiert werden. Bionorica bemüht sich aktuell um die Zulassung für ein Cannabis-Fertigarzneimittel in Pillenform. Sollte die Bundesregierung die Regulierungen lockern, könnten Mediziner dieses Medikament dann auch auf Kosten der Krankenkassen verschreiben.

Entsprechend bedroht sehen die Pharmafirmen ihr Geschäft mit dem Schmerz.

Und so werden Feindes-Feinde zu wichtigen Verbündeten: Der amerikanische Opioid-Hersteller Abbott Laboratories etwa finanziert gemeinsam mit dem Konkurrenten Purdue eine Initiative, die sich in den USA gegen die Liberalisierung von Cannabis einsetzt, die Anti Drug Coalition of America. Denn wenn das Mittel einmal liberalisiert wurde, dürfte es auch auf Kosten der Versicherungen verschrieben werden. Den meisten Patienten würde das vermutlich helfen. Big Pharma aber wäre um ein schönes Geschäftsmodell ärmer. Und viele Konsumenten um einen einfachen Weg, in der Leistungsgesellschaft mitzuhalten.

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