Medikamente Wie die Pharmaindustrie mit Schmerzen gewinnt

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Schmerzmittel für jede Gelegenheit

Marathon in Bonn. 42 Kilometer auf Asphalt, jeder Schritt könnte am Ende zur Qual werden. Als die Läufer die Startlinie überqueren, haben 60 Prozent von ihnen bereits ein Schmerzmittel intus. Und das nicht etwa, weil sie akute Beschwerden haben, sondern aus Angst davor, Schmerzen zu bekommen.

Und Schmerzen stören auch, wenn es auf geistige Leistung ankommt. Vor drei Jahren trat deshalb eine Initiative an die Öffentlichkeit, die zum „richtigen Umgang mit Schmerzen bei Jugendlichen“ aufklären will. Auf der Website der Initiative schmerzlos steht: „Viele Eltern warten zu lange ab, bis sie ihren jugendlichen Kindern ein Medikament gegen ihre Schmerzen geben.“ Daneben sind Bilder von Teenagern zu sehen, die sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schläfen massieren. Hinter der Kampagne steht das britische Unternehmen Reckitt Benckiser, das mit der Marke Nurofen Schmerzmittel speziell für Kinder anbietet. Der Wirkstoff in den Tabletten ist niedriger dosiert, sie sind leicht schluckbar und schmecken süß und nach Zitrone. Für Kinder ab sechs Monaten gibt es Nurofen als Saft in den Geschmacksrichtungen Erdbeere und Orange. Zudem führte das Unternehmen eine eigene Schmerztablette des Stoffs für Jugendliche ein.

Schulen können bei der Initiative schmerzlos Experten für Vorträge anfordern, die dann kostenlos über das Thema Schmerzen bei Kindern informieren. Raymund Pothmann, einer der drei Experten und Leiter des Zentrums für Integrative Kinderschmerztherapie und Palliativmedizin in Hamburg, findet, dass es sich keinesfalls um eine Werbeveranstaltung für das Pharmaunternehmen handle: „Wir sind völlig frei, worüber wir sprechen.“

Tatsächlich sind Pothmanns Vortragsfolien frei von direkten Produkthinweisen. Das Ziel des Unternehmens ist es allerdings, seine frei verkäuflichen Produkte „optimal zu positionieren“, wie die Agentur Fleishman Hillard auf ihrer Homepage schreibt. Die PR-Profis sind seit 2015 mit der Betreuung der Initiative schmerzlos beauftragt. Fleishman Hillard formulierte es gegenüber dem ARD-Magazin „Fakt“ so: „Experten sagen, das epidemiologische Maximum ist erreicht; unser Kunde möchte hier Awareness für das Thema schaffen.“

Die Qual der Wahl

Elmar Kroth leitet den Bereich Wissenschaft im größten deutschen Lobbyverband der Branche. Im Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller haben sich über 450 Firmen zusammengeschlossen. „Wenn jemand ein Schmerzproblem hat, sei es durch Leistungsdruck oder andere Auslöser, stellt sich doch immer die Frage: Ignoriere ich das Problem, oder bekämpfe ich es. Wir finden es wichtig, die Wahl zu haben“, sagt er. Er ist überzeugt: Nie zuvor seien die Menschen so informiert über Medikamente gewesen und gleichzeitig so vorsichtig, was ihren Gebrauch angeht. Die Botschaft der Pharmabranche, die zur besten TV-Sendezeit oft 90 Prozent der Werbespots ausmacht, kommt an: Warum schwer, wenn es auch einfach und beschwerdefrei geht?

Und das gilt nicht nur für die „Patienten“, sondern auch für die meisten Anbieter. Warum schwer, wenn es auch einfach geht?

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