Mehr Veggie als Fleisch Rügenwalder Mühle: Mit dem Erfolg kommen die Probleme

Rügenwalder: Veggie schluckt Wurst Quelle: Illustration: Marcel Reyle

Die Rügenwalder Mühle hat erstmals mehr vegane und vegetarische Produkte verkauft als Wurst und Fleisch. Doch der Konzern leidet unter Wachstumsschmerzen – kann er das rasante Tempo beim Fleischersatz halten?

  • Teilen per:
  • Teilen per:


Michael Hähnel mag Wettbewerb. Als Jugendlicher spielte er Basketball und Tennis, hat sich als Tennislehrer das Studium finanziert. „Ich brauch Reibung, auch im Business“, sagt Hähnel im Podcast „Chefgespräch“ mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli.

Das ist gut, denn Hähnel bekommt gerade viel Reibung ab. Seit zwei Jahren ist er Geschäftsführer der Rügenwalder Mühle. Das Unternehmen hat den deutschen Lebensmittelmarkt in den vergangenen Jahren aufgewühlt wie kaum ein anderes. Seit 2014 produziert und verkauft die Rügenwalder Mühle vegetarische und vegane Schnitzel-Ersatzprodukte, Cordon Bleus, Frikadellen, Mühlenhack, Pommersche und Schinkenspicker.

Das Unternehmen war ein Pionier, hat den Markt in Deutschland damit erst begründet. Und es ist noch heute die Nummer eins: Die Rügenwalder Mühle hielt laut dem Marktforscher Nielsen im vergangenen Jahr 41,2 Prozent Anteil an dem stark wachsenden Markt. Erstmals machte auch Rügenwalder mehr Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten als mit Fleisch und Wurst.

Michael Hähnel erzählt im Podcast, warum ein Hund seine Karriere umkrempelte, wie ihn Leistungssport auf den Manager-Job vorbereitete, was er am Mittelstand bewundert und warum die „echte“ Wurst nicht verschwindet.
von Beat Balzli

Doch mit dem Erfolg kommen die Probleme. Bereits in den vergangenen Jahren kam Rügenwalder der Nachfrage kaum hinterher, musste Lieferschwierigkeiten melden. Neue Produkte überforderten die Produktion und Logistik. Das führt zu der Frage: Kann die Rügenwalder Mühle das Wachstum noch verkraften? Oder ist all die Veränderung irgendwann zu viel für das immerhin fast 190 Jahre alte Unternehmen?
Die Geschichte reicht bis ins Jahr 1834 zurück. Damals eröffnete Carl Müller in Rügenwalde in Pommern eine Fleischerei. Das Unternehmen bleibt in Familienhand, produziert seit 1903 die Rügenwalder Teewurst. Im Krieg floh die Familie Richtung Bad Zwischenahr in Niedersachsen, wo das Unternehmen seither seinen Hauptsitz hat.

Rügenwalder ist auch heute noch immer in Familienhand. Gunnar Rauffuss leitet das Kontrollgremium. Doch seit sich sein Vater Christian Rauffus vor fünf Jahren aus der Unternehmensleitung zurückgezogen hat, ist kein Familienmitglied mehr im Management.

Das ist auch eine Konsequenz aus dem wachsenden Veggie-Geschäft. Das neue Segment braucht andere Produktionsprozesse, bessere Marketingstrategien und deshalb auch neue Expertise. Deshalb holte die Eigentümerfamilie Michael Hähnel. Der Manager hat viel Erfahrung in der Konsumgüterindustrie, er hat bei Beiersdorf Karriere gemacht, wurde dann Geschäftsführer beim Familienunternehmen Bahlsen. Bei der Rügenwalder Mühle saß er bereits im Aufsichtsrat, bevor er 2020 die Geschäftsführung übernahm.

Das Geschäft läuft: Rügenwalder hat im vergangenen Jahr 263 Millionen Euro umgesetzt, 12,7 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Dabei schrumpfte der Absatz der Wurstprodukte sogar. Der Umsatz mit veganen und vegetarischen Produkten wuchs dafür umso stärker: Er legte um 41,6 Prozent zu.

Trotzdem wird der Wettbewerb härter. Vor sieben Jahren war Rügenwalder noch beinahe allein auf dem Markt. Nun haben alle Supermärkte Eigenmarken im Sortiment. Like Meat hat bereits den dritten Platz im Markt erobert, Nestlé dringt mit „Garden Gourmet“ in die Regale vor.

Und so muss sich auch Rügenwalder professionalisieren. Das Unternehmen hat mittlerweile eine Marketingabteilung in Hamburg angesiedelt, um neue Talente anwerben zu können, die nicht in die niedersächsische Provinz wollen. Die bewerben Rügenwalder als Versöhner am Esstisch, der Konflikte zwischen Fleischliebhabern und Vegetariern beilegen kann.

Hören Sie hier die Folge des Podcasts „Chefgesprächs“ mit Rügenwalder-Chef Michael Hähnel: „Wir sind keine Missionare“

Früher habe man vieles aus dem Bauch heraus gemacht, auch die Einführung von Produkten, sagt Hähnel. Das gelang nicht immer: Die vegetarischen Fischstäbchen nahm Rügenwalder schnell wieder aus der Tiefkühltheke heraus. „Tiefkühlprodukte haben logistisch ganz andere Herausforderungen“, sagt Hähnel heute.



Die Produktion plante man lange in Excel. Mitten im Coronaboom stieß das Unternehmen aber an seine Kapazitätsgrenze, musste die Produktion der tierischen Schinkenwurst sogar outsourcen. Gleichzeitig waren Erbsen- oder Sojaproteine am Markt knapp. „Das hat uns schnell eingeholt. Wir gerieten in Lieferunfähigkeit, sodass wir die Märkte nicht mehr bedienen konnten“, berichtet Hähnel. Rügenwalder will deshalb die Abhängigkeit vom Ausland verringern. Der Konzern baut mittlerweile sogar in Deutschland Soja an und hat gerade das erste vegane Hack mit hundert Prozent Soja aus Deutschland auf den Markt gebracht.

Nun soll ein neues Werk die Probleme beheben: Gerade erst hat der Konzern bekanntgegeben, dass er einen Standort mit 8000 Quadratmetern in Goldenstedt bei Vechta aufbauen will. Auf zwei Produktionslinien sollen dort noch mehr vegane und vegetarische Lebensmittel produziert werden. „Das ist ein Standort, der uns bei der Kapazität von vegetarisch und vegan noch mal massiv nach vorne bringen wird“, sagt Hähnel. Bereits 2021 hatte Rügenwalder ein Werk bei Wilhelmshaven eröffnet.

Koehler Paper Ein Papierhersteller, der Zoll – und eine Rechnung über 193.631.642,08 Dollar

US-Behörden setzen dem deutschen Papierhersteller Koehler Paper mit einer horrenden Rechnung zu: Der Mittelständler aus Baden-Württemberg soll Zölle und Zinsen von insgesamt 194 Millionen Dollar überweisen.

Immobilien Hat die Einzimmer-Wohnung ausgedient?

Die Chancen für Kapitalanleger sind so groß wie nie, sagt Immobilienexperte Florian Bauer. Und erklärt, warum eine Dreizimmerwohnung in Hannover vielversprechender ist als eine Einzimmerwohnung in München.

Chaostage in Lehrte Die seltsame Pleite der Helma Eigenheimbau AG

Nach dem Insolvenzantrag der börsennotierten Helma Eigenheimbau AG kippen nun wichtige Tochterunternehmen in die Insolvenz – und das Pleite-Manöver des Aufsichtsrats wirft neue Fragen auf.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Der Markt, sagt Hähnel „wird auch die nächsten Jahre zweistellig wachsen.“ Schon im kommenden Jahrzehnt könnte auch kultiviertes Fleisch, sogenanntes Laborfleisch, in Supermarktregalen liegen. „Ich glaube, dass sich das extrem beschleunigen wird.“

Hören Sie hier die Folge des Podcasts „Chefgespräch“, in der Rügenwalder-Chef Hähnel erzählt, was er am Mittelstand bewundert und warum die „echte“ Wurst so schnell nicht verschwindet.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%