Die wenigsten Betroffenen dürften ahnen, dass sie Merck ihre Existenz verdanken. „Wir gehen davon aus, dass mithilfe unserer Produkte weltweit bisher rund zwei Millionen Babys gezeugt werden konnten“, sagt Stefan Oschmann, Mitglied der Merck-Geschäftsleitung. Mit seinen künstlichen Fruchtbarkeitshormonen, die Eizellen im Körper der Frau besser reifen lassen, gilt Merck als Lebensspender für Hunderttausende Deutsche, Spanier, Franzosen, Engländer oder Amerikaner.
Doch welche Firma Merck? Der Pharma- und Chemiekonzern aus Darmstadt, mit knapp elf Milliarden Euro Umsatz und einem Börsenwert von acht Milliarden Euro Mitglied im Deutschen Aktienindex Dax? Oder der 3-mal größere und 20-mal so wertvolle US-Konzern Merck & Co.? Beide Unternehmen haben den gleichen Ursprung, gehen aber seit 1917 getrennte Wege. Manager Oschmann hat für beide Unternehmen gearbeitet und steht seit 2011 in Diensten der Darmstädter.
Verschwand in den vergangenen knapp 100 Jahren die Rivalität mehr und mehr, flammt diese nun wieder auf, und das in einem ausgesprochenen Wachstumsmarkt. Standen die Deutschen bisher eher im Schatten der entfernten US-Verwandtschaft, laufen sie den Amerikanern nun bei Fruchtbarkeitsmedizin den Rang ab.
Mit einem globalen Anteil von 40 Prozent sind die Hessen inzwischen Weltmarktführer und setzen mehr als 800 Millionen Euro im Jahr mit fertilitätssteigernden Mitteln um. Allein ihr Hormonpräparat Gonal-F sorgt für einen Jahresumsatz von 586 Millionen Euro. Merck & Co. in den USA kommt mit seinen Fruchtbarkeitspräparaten gerade mal auf geschätzt 20 Prozent. Genaue Zahlen veröffentlichen die Amerikaner dazu nicht.
Wie die Jungfrau zum Kinde
Damit ist das Feld für Frotzeleien und Sticheleien bereitet. „Bitte, wie heißt das Unternehmen?“, fragt Merck-Chef Karl-Ludwig Kley mit ironischem Unterton, wenn ihn jemand auf den US-Namensvetter Merck & Co. anspricht. Dann referiert Kley ausgiebig darüber, dass Merck aus Darmstadt ja schließlich das Original sei und die Konkurrenz unter der Führung des Amerikaners Kenneth Frazier sich nur in Nordamerika Merck nennen darf. In allen anderen Ländern firmiert der US-Konzern unter dem Kürzel MSD.
Merck versus Merck
In Darmstadt erwirbt Friedrich Jacob Merck die Engel-Apotheke, die Keimzelle von Merck.
Merck expandiert und gründet eine Niederlassung in New York, aus der 1891 die Tochtergesellschaft Merck & Co. entsteht.
Infolge des Ersten Weltkrieges enteignen die Amerikaner die deutschen Eigentümer von Merck & Co. Zwischen beiden Unternehmen gibt es heute keine Verflechtungen mehr. Merck aus Darmstadt tritt in den USA unter EMD (Emanuel Merck Darmstadt) auf; Merck & Co. nennt sich außerhalb der USA und Kanada MSD (Merck Sharp & Dohme).
Kley und sein Pharmamanager Oschmann haben es zum Weltmeister bei den Fruchtbarkeitspräparaten gebracht, weil sie früher als ihr Namenspendant in den USA den Trend zum späten Elternglück erkannten und konsequenter darauf setzten. Um jährlich vier Prozent soll die Nachfrage nach Mitteln wachsen, die gegen nachlassende Fruchtbarkeit mit steigendem Alter helfen.
Dabei sind sowohl Merck als auch Merck & Co. zu ihren Fertilitätssparten gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Die Hessen übernahmen 2006 das Schweizer Biotech-Unternehmen Serono, allerdings eher aus Verlegenheit. Denn ursprünglich wollten die Darmstädter den damaligen Berliner Dax-Konzern Schering übernehmen, dort kam jedoch dann Bayer zum Zuge. Darauf schnappte sich Merck für knapp elf Milliarden Euro Serono, vor allem wegen des vielversprechenden Präparats Rebif gegen multiple Sklerose. Zudem galt Serono auch als Weltmarktführer der Reproduktionsmedizin und verfügte über aussichtsreiche Hormonpräparate wie Gonal-F, ohne das keine künstliche Befruchtung im Labor funktionieren kann.