
Man hätte eine Stecknadel fallen hören, als VW-Markenchef Herbert Diess vor knapp drei Monaten auf der Detroiter Motorshow einen unerwarteten Vorschlag machte: Muss VW unbedingt eine Massenmarke in Amerika werden? Könne man sich nicht auf gewinnträchtige Modelle wie SUVs konzentrieren?
Als die anwesenden Vertragshändler von VW ihre Sprache wiederfanden, sei die Empörung groß gewesen, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Es wäre eine komplette Umkehr der von Winterkorn ausgegebenen USA-Strategie, die lautete: wachsen, wachsen, wachsen.
Schon lange hat sich der Ärger aufgestaut. „Die Preise für die Autos sind zu hoch. Wir sind nicht Audi oder Mercedes“, kritisiert Alan Brown im Gespräch mit dem Handelsblatt. Brown ist der Präsident des amerikanischen Verbandes der VW-Händler und besitzt selbst zwei Autohäuser in Texas. Er fordert von Volkswagen ein Bekenntnis zur Massenmarke – mit niedrigeren Preisen, damit die Händler besser im Konkurrenzkampf gegen Toyota, Honda und Nissan bestehen können.
Der Konflikt dürfte kommende Woche erneut für Spannung sorgen. Am Sonntag fliegt Brown mit gut einem Dutzend anderer VW-Händler in die VW-Zentrale. Dort trifft sich das Dealer Product Council, ein Gremium, das mit dem Autobauer jährlich über die beste Produktstrategie berät. Die Veranstaltung ist so etwas wie eine konzerninterne Automesse, bei der die künftigen Modelle vorgestellt werden. „Wir müssen eine Marke mit hohem Volumen sein, das ist gut für die Händler und für den Hersteller“, stellt der Verbandschef klar.
Vertragshändler in den USA müssen wirtschaftlich unabhängig vom Konzern sein und spielen eine wichtige Rolle für den Autobauer. Die Amerikaner haben zudem eine starke Drohung in der Hinterhand: eine Sammelklage gegen VW. Nach dem Skandal um die Manipulation von Dieselmotoremissionen brach das Geschäft zusammen, die Händler könnten Entschädigung fordern. Brown sieht eine Klage aber als letztes Mittel: „Ich hoffe, dass die neue Führung unsere Bedenken aus dem Weg räumt“.
So könnte VW die "Dieselgate"-Kosten schultern
Der Abgas-Skandal kratzt nicht nur am Image des Volkswagen-Konzerns - er dürfte vor allem sehr teuer werden. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kosten des Skandals und wie VW sie stemmen könnte.
Quelle: dpa
Darüber rätseln Beobachter derzeit. Bislang bekannt ist: Volkswagen hat 6,5 Milliarden Euro für Kosten aus dem Abgas-Skandal zurückgelegt. Das Geld ist aber wohl in erster Linie für eine technische Umrüstung der Autos mit Manipulations-Software bestimmt, wie Finanzchef Hans Dieter Pötsch laut dem Fachblatt „Automobilwoche“ kürzlich vor VW-Managern erklärte. Unklar ist, welche Strafzahlungen auf VW zukommen. Dazu dürften noch mindestens drei andere mögliche Kostenblöcke kommen: Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen, Anwaltskosten. Wie hoch diese Ausgaben sein werden, lässt sich derzeit nur grob schätzen. Die Landesbank Baden-Württemberg rechnet derzeit mit einem Schaden von 47 Milliarden Euro für den Konzern. Ein möglicher Imageverlust und damit verbunden ein Rückgang der Autoverkäufe ist dabei noch nicht eingerechnet. Allerdings werden die Kosten wohl nicht auf einmal anfallen, sondern sich über Jahre verteilen.
Vergleichsweise viel. VW hat sich in den vergangenen Jahren ein stattliches Kapitalpolster zugelegt. Zur Jahresmitte hatte der Konzern rund 18 Milliarden Euro Bargeld auf dem Konto. Das ist mehr als ganze Dax-Konzerne wie Adidas oder Lufthansa einzeln an der Börse wert sind. „Über den Daumen gepeilt kann VW davon die Hälfte verwenden, um mögliche Kosten zu begleichen“, sagt Nord-LB-Analyst Frank Schwope. Dazu kommen bei VW noch schnell veräußerbare Wertpapiere über 15 Milliarden Euro und Schätzungen zufolge mindestens 5 Milliarden Euro aus dem Verkauf der Beteiligungen am ehemaligen Partner Suzuki und an einer niederländischen Leasingfirma.
Das ist sehr unwahrscheinlich. VW könnte sich über Anleihen und Kredite Geld leihen, auch wenn einige Ratingagenturen ihre Bewertungen der Kreditwürdigkeit des Konzerns zuletzt angepasst hatten. Wenn es irgendwann hart auf hart käme, könnte Volkswagen immer noch sein Tafelsilber verkaufen. Am einfachsten ließen sich wohl die Luxusmarken Bentley, Bugatti und Lamborghini aus dem Konzern herausnehmen. Nord-LB-Analyst Schwope schätzt den möglichen Verkaufserlös für die drei Marken und den Motorradhersteller Ducati auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Durch einen Verkauf der Lastwagenbauer MAN und Scania ließen sich nach seinen Berechnungen sogar 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen. Das wertvollste Juwel in der Sammlung, den Sportwagenbauer Porsche, dürften die VW-Anteilseigner kaum abgeben wollen.
Nur begrenzt. Eine Kapitalerhöhung - also die Ausgabe neuer Aktien - ist bei VW nicht so leicht wie in anderen Konzernen. Damit die Familien Porsche und Piëch sowie das Land Niedersachsen als Anteilseigner ihre Macht im Konzern nicht verlieren, darf sich deren jeweiliger Anteil an den Stammaktien nicht stark verringern. Vor allem Niedersachsen dürfte aber derzeit kaum ein Interesse daran haben, weitere Stammaktien zu kaufen und Geld in den VW-Konzern zu stecken. VW könnte deshalb wohl höchstens neue Vorzugsaktien ausgeben, das sind Aktien ohne Stimmrecht auf der Hauptversammlung des Konzerns. Laut Aktiengesetz darf die Zahl dieser Vorzugsaktien die Zahl der Stammaktien allerdings nicht übersteigen. VW könnte deshalb höchstens rund 114 Millionen neue Aktien ausgeben und damit auf Basis derzeitiger Kurse rund 11 Milliarden Euro einsammeln.
In der Regel setzen Sparmaßnahmen bei großen Konzernen zuerst bei den Mitarbeitern an: Weniger Gehalt, Einstellungsstopps, bis hin zu Stellenstreichungen und Entlassungen. Bei Volkswagen wäre das allerdings nicht so einfach. Die Arbeitnehmervertreter haben in Wolfsburg deutlich mehr Macht als in anderen Konzernen. Einfacher wäre die Kürzung geplanter Investitionen. Hier hatte Volkswagen angepeilt, bis 2019 eine Summe von mehr als 100 Milliarden Euro in Standorte, Modelle und Technologien zu stecken. Laut Experte Schwope könnte VW hier den Rotstift ansetzen und so 2 Milliarden Euro jährlich sparen, vor allem bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Nur: Dann besteht die Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Der Zeitpunkt wäre denkbar ungünstig - die Autoindustrie steht durch Digitalisierung und Elektroantriebe vor einem Umbruch.
Der Widerstand der 652 Händler gegen einen Strategieschwenk ist verständlich. Sie haben Geld in eine Massenmarke investiert, mit entsprechenden Showrooms und Verkaufsfläche. Aber Diess und andere VW-Manager können die Fakten kaum ignorieren: Vor allem SUVs und Pick-ups verkaufen sich in den USA gut, nicht zuletzt durch den sinkenden Benzinpreis. Konkurrent Fiat Chrysler beispielsweise konzentriert sich nach einer jüngsten Strategieneuausrichtung fast nur noch auf dieses Marktsegment. Es locken anders als bei Mittelklassewagen hohe Gewinnmargen.
In dem Zusammenhang erscheint der Rücktritt von US-Chef Michael Horn am Mittwoch im neuen Licht. Horn hatte großen Rückhalt bei den Vertragshändlern, die sich lautstark über sein Ausscheiden beschweren. Horn habe sich entschieden für die Massenmarkt-Strategie eingesetzt, sagt Brown. Die Marktanteile von VW liegen fast überall in der Welt sehr hoch. Nicht aber in den USA. Dabei ist das Land mit mehr als 17 Millionen verkauften Fahrzeugen nach China der zweitgrößte Automarkt der Welt. Der weiße Fleck auf der VW-Karte sollte ausgefüllt werden, als der ehemalige Vorstandschef Martin Winterkorn vor Jahren ein ambitioniertes Ziel setzte: Die Marke VW sollte 2018 800.000 Fahrzeuge in den USA verkaufen.
Aber der US-Boom der vergangenen Jahre ging an der Marke VW so gut wie vorbei. Statt einer Verdreifachung des Verkaufsvolumens fiel der Marktanteil aufgrund falscher Modelle, schlechter Preispolitik und dem Skandal um die Manipulation von Dieselmotoremissionen. Der Konzern habe seit Jahren die Preise für VW-Autos etwas unterhalb von Premiummarken wie Audi und Mercedes, aber deutlich über Toyota und Nissan angesetzt. „Doch das hat in den USA nicht funktioniert“, stellt Brown klar. Auch fordern die amerikanischen Kunden schneller neue Modelle.
Die Händler fordern eine schnelle Lösung. Denn während der US-Automarkt wächst und wächst, bewegen sich die Verkaufszahlen für VW nur in eine Richtung: nach unten.