Mögliches Kartell Was VW, Daimler und BMW drohen könnte

Die Kartellvorwürfe gegen die großen Autobauer sorgen weiter für Wirbel. Doch welche Strafen müssen VW, Daimler und BMW wirklich fürchten? Und welche Rechte haben Verbraucher? Die wichtigsten Antworten.

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In der „Gläsernen Manufaktur“ wird der VW Golf mit Elektromotoren montiert. Quelle: dpa

Düsseldorf Geheime Treffen an verschiedenen Orten in Deutschland; Arbeitskreise zu Cabrio-Dächern, Diesel-Abgasreinigung und Zulieferer-Verhandlungen – die Kartellvorwürfe gegen VW, Daimler und BMW sorgen für Wirbel. Die EU-Kommission hat inzwischen bestätigt, dass der Behörde Informationen zu Absprachen der deutschen Autobauer vorliegen, ebenso das Bundeskartellamt. Der Verband der Autoindustrie weist Fehlverhalten von sich. Doch wann wird aus einem Treffen von Mitarbeitern verschiedener Autokonzerne ein Kartell? Wie viel Strafe müssen die Konzerne im schlimmsten Fall zahlen? Und wie können sie Geldbußen noch abwenden? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Was ist ein Kartell?

Ein Kartell liegt vor, wenn Unternehmen, die auf einem Markt konkurrieren, Absprachen treffen und so den Wettbewerb aushebeln. Der klassische Fall sind Preisabsprachen: So haben sich beispielsweise in der Vergangenheit Edeka-Getränkemärkte, Metro und Netto vereinbart, bei Biermarken wie Becks, Franziskaner oder Hasseröder, bestimmte Mindestpreise einzuhalten

Doch Magdalena Nicola, Kapitalmarktrechtsexpertin bei der Münchener Kanzlei Mattil, sagt: „Ein Kartell ist nicht nur dann gegeben, wenn Preise abgesprochen werden.“ Illegal seien auch Absprachen zu Technik-Fragen, die den Wettbewerb einschränken, wie beispielsweise Software-Manipulationen bei Diesel-Autos. „Die Qualität der Dieselautos hätte dann bei allen beteiligten Unternehmen unter der Absprache gelitten“, sagt Nicola.

Was ist so schlimm an einem Kartell?

„Normalerweise geht man davon aus, dass die Automarken untereinander konkurrieren und mit den jeweils bestmöglichen Produkten versuchen, sich gegenseitig zu überbieten“, erläutert Kapitalmarktrechtsexpertin Nicola. Doch die Autoindustrie habe das Gegenteil bewiesen: „Mercedes, BMW, Porsche, Audi und VW haben sich wohl, sofern sich die Berichte bestätigen, auf ein minderwertiges Produkt geeinigt, um das eigene unternehmerische Risiko zu reduzieren.“ Das bedeutet: Die Verbraucher zahlen mehr, als sie eigentlich müssten.

Lange Zeit galten illegale Absprachen als Kavaliersdelikt: „Bis Ende der 90er-Jahre gehörten Kartellrechtsverstöße zur gängigen Praxis in Deutschland und wurden regelmäßig auch nicht geahndet“, sagt Maxime Kleine, Kartellrechtsexperte bei Norton Rose Fulbright. Das habe vor allem für viele alt eingesessene Industrien gegolten, in denen die Unternehmen sich gut kannten und die Anzahl der Konkurrenten überschaubar war. „Jeder, der in der Lage war, den Wettbewerb zu beschränken, hat dies in der Regel auch mal versucht.“

Doch mittlerweile greifen das Bundeskartellamt und die EU-Kommission hart durch: So mussten zuletzt vier Mitglieder des Lkw-Kartells, darunter Daimler und Volvo, insgesamt knapp drei Milliarden Euro Strafe zahlen.

Können Konzerne trotz Mitgliedschaft in einem Kartell einem Bußgeld entgehen?

Ja, denn die EU-Kommission hat eine Kronzeugenregelung eingeführt. Es gilt in der Regel: „Wer als erster pfeift, der muss gar nichts zahlen“, sagt Kleine. Damit will die EU-Kommission Unternehmen einen Anreiz bieten, kartellrechtliche Verstöße aufzudecken, ergänzt Kleines Kollege Martin Gramsch, Kartellrechtsexperte bei der Kanzlei Simmons & Simmons in Düsseldorf. „Dabei setzten die Wettbewerbshüter auf eine Staffelung der Reduzierung der Bußgelder: Wer als erstes ein mögliches Kartell meldet, kann bußgeldfrei ausgehen“, sagt Gramsch. „Der zweite hat noch die Aussicht, 50 Prozent der Strafe erlassen zu bekommen.“ Wer erst ganz am Ende der Ermittlungen sein Fehlverhalten einräumt und mit den Behörden einen Vergleich schließt, erhalte noch zehn Prozent Erlass.

Welche Unternehmen haben in der Vergangenheit bereits von dieser Regelung profitiert?

Das Lkw-Kartell hat ein Mitarbeiter von MAN auffliegen lassen – der Konzern kam ohne Geldbuße davon. Daimler kooperierte früh mit den Behörden und konnte über die Kronzeugenregelung die Strafe noch immerhin um 30 Prozent drücken. Beim Bier-Kartell blieben der Brauerei-Konzern AB Inbev und Rewe als Kronzeugen straffrei. Auch beim Kaffee-Kartell fügte sich Rewe als erstes und konnte die Strafe über die Kronzeugenregelung deutlich reduzieren.


Welche Rechte Autokunden jetzt haben

Der Spiegel spricht von einer „Art Selbstanzeige“, die VW und Daimler abgegeben haben sollen. Was hat es damit auf sich?

Den Begriff Selbstanzeige gibt es im Kartellrecht eigentlich nicht, erläutert Gramsch. Vielmehr sprechen die Wettbewerbshüter von einem „Kronzeugen-Antrag“ oder einem „Bonus-Antrag“, weil Unternehmen eine Art Bonus auf das maximale Bußgeld bekommen können, wenn sie kooperieren. „Der Begriff Selbstanzeige beschreibt jedoch ganz gut, worum es geht“, sagt der Kartellrechtler.

Reicht es aus, der Erste zu sein, um als Kronzeuge straffrei auszugehen?

Nein, sagt Anwalt Gramsch. „Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen nicht der alleinige Anführer des Kartells ist oder andere Unternehmen nicht zur Teilnahme am Kartell gezwungen hat.“ Außerdem müsse der Hinweisgeber umfangreiche Beweise für das Kartell liefern. Auszüge aus Terminkalendern, Protokolle oder Zeugenaussagen von Mitarbeitern: Die Beweise müssten so stichhaltig sein, dass die Behörden damit die übrigen Kartell-Mitglieder überführen können, so Gramsch. Außerdem müsse sich das Unternehmen kooperativ zeigen und auf Nachfrage der Kartellbehörden weitere Dokumente liefern. „Tut es das nicht, kann das Unternehmen seinen Platz in der Rangfolge verlieren. Dann droht ein höheres Bußgeld“, sagt Gramsch.

Welche Strafen müssen VW, Daimler und BMW im Schlimmsten Fall fürchten?

Die Bußgelder der Kartellbehörden bemessen sich am Umsatz des Unternehmens. Maximal können EU-Kommission und Kartellamt zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes als Bußgeld verhängen. Bei VW wären das 20 Milliarden Euro, bei Daimler 15 Milliarden und bei BMW neun Milliarden. Allerdings hängt die Höhe des Bußgeldes laut Gramsch auch von der Schwere der Kartellverstöße ab. „Besonders eindeutig sind Kartelle bei expliziten Preisabsprachen“. Doch im Fall des Autokartells rechnet Gramsch, dass die Wettbewerbsbehörden 30 bis 50 Prozent unterhalb des maximalen Bußgeldes bleiben.

Woran bemisst sich die Schwere eines Kartellverstoßes?

Die Zahl erscheint enorm: Über tausend Gespräche sollen die Mitarbeiter der großen Autokonzerne  laut „Spiegel“ geführt haben. Doch das allein sei noch kein Grund für Kartellstrafen: „Kooperationen zwischen Unternehmen sind bei Einhaltung von Grenzen kartellrechtlich erlaubt“, sagt Peter Gussone, Kartellrechtsexperte bei der Kanzlei MJG. Wichtig sei, dass bei solchen Kooperationen ein Nutzen für den Verbraucher entsteht und der technische Fortschritt vorangetrieben wird. Ab wann eine solche Kooperation zu einem Kartell wird, sei nur schwer abzugrenzen. Schon ein einmaliges Treffen kann ausreichen, um kartellrechtliche Ermittlungen anzustoßen.

Es komme auf den Inhalt der Gespräche an, sagt auch Gussones Kollege Gramsch: „Wenn sich die Hersteller beispielsweise bei der Dieselabgasreinigung nur auf die Adblue-Technologie geeinigt hätten, damit der Kunde unabhängig von der Herstellermarke die gleiche Technik hat, wäre das unproblematisch“, sagt er. „Schwierig wird es, wenn sich die Hersteller tatsächlich darauf geeinigt haben, möglichst kleine Tanks einzubauen.“ Über den Verdacht der AdBlue-Absprachen hatte das Handelsblatt ausführlich berichtet. Der lange Zeitraum, über den die Gespräche liefen, spreche zudem für schwerwiegendere Kartellverstöße.

Welche Rechte haben die Autobesitzer?

Sie können die Hersteller auf Schadensersatz verklagen, sagt Kartellrechtler Gramsch. Er rät Autobesitzern jedoch dazu, eine Entscheidung des Kartellamtes abzuwarten. „Zum jetzigen Zeitpunkt dürfte eine Klage schwer werden, weil der Kläger ein Kartell nachweisen müsste“, sagt er. „Das bedeutet, er müssten mehr wissen, als die Kartellbehörden selbst.“ Für die Autokonzerne könnten diese Schadensersatzforderungen noch zum Problem werden. Gramschs Kollege Gussone ist überzeugt: „Es wird zu einer Klagewelle kommen“.

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