Wer einen charismatischen Industriemanager sucht, schaut wohl nicht an der Dachauer Straße im Münchner Norden nach. Denn dort in der Chefetage des Triebwerksherstellers MTU sitzen traditionell eher nüchterne Ingenieurs-Typen, seit Udo Stark das Unternehmen 2005 an die Börse brachte und später in den Aufsichtsrat rückte.
Die realistische Art der Chefs hat dem Unternehmen zwar wenig Schlagzeilen und Bekanntheit gebracht. Doch der wirtschaftlichen Entwicklung hat das mehr als gutgetan. In den vergangenen zwölf Jahren hat sich das Unternehmen still, aber stetig verbessert. Damit stiegen Gewinne und Börsenwert so stark, dass der korrekt MTU Aero Engines genannte Konzern seit Montag in der obersten Börsenliga, dem Dax, mitspielen darf. Die Mitgliedschaft im höchsten deutschen Index verspricht „die Sichtbarkeit deutlich zu erhöhen, insbesondere international“, sagt Reiner Winkler. Er führt das Unternehmen seit 2015 und freut sich nun auch über „etwas mehr Prestige.“
Danach sah es lange nicht aus. Denn vor dem Börsengang dümpelten die Erträge so sehr, dass die damalige Mutter Daimler die – ausgeschrieben – Motoren- und Turbinen-Union als Ballast empfand und an den Finanzinvestor KKR losschlug. Und auch danach blieben die Zahlen lange eher mittelmäßig – bis Starks Nachfolger Egon Behle kam.
Der Luftfahrtingenieur mit reichlich Erfahrung im Maschinenbau setzte auf ein Konzept mit dem Kern „tut das Gegenteil vom Daimler“. Das Konzept hat Winkler noch verfeinert. Der Autoriese wollte Generalanbieter sein vom Kleinwagen Smart über den luxuriösen Maybach bis zum LKW. Dazu setzten großspurige Konzernchefs wie Jürgen Schrempp auf Übernahmen wie die von Chrysler auf den USA. MTU hingegen beschränkte sich.
Das erste Feld sind spezielle Hochleistungsteile für Triebwerke anderer Hersteller. Statt für viel Geld und hohes Risiko eigene Flugmotoren zu produzieren liefern die Münchner lieber zentrale Segmente an die verbliebenen drei Flugmotorenbauer Rolls Royce aus England sowie die US-Hersteller General Electric (GE) und Pratt & Whitney aus dem United-Technologies-Konzern. Das macht MTU zum einen hochprofitabel. Denn hier bleiben mehr als 20 Prozent vom Umsatz als Gewinn. Und die Industriekunden zahlen, „weil es die Teile einfach wert sind“, sagt ein führender Manager von UTC. Doch die Folgen der bei neuen Triebwerken üblichen Pannen tragen die Hersteller praktisch allein.
Dank der Vorgaben der Politik sind die MTU-Teile fast allgegenwärtig, auch wenn die Triebwerksbauer oder die Jethersteller harte Konkurrenten sind, meint der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. MTU-Technik fliegt bereits in mehreren tausend Maschinen und weit mehr als 10.000 Motoren mit MTU-Teilen haben die Hersteller noch in den Bestelllisten. „Es gibt eigentlich keine größere Maschine, wo kein MTU-Teil drinsteckt“, sagt er.
So ist MTU sowohl an den neuen GE-Motoren für das ab dem nächsten Jahr fliegende Boeing-Modell 777-X beteiligt wie auch an den jüngsten A320 Neo und A220 genannte jüngeren Airbus-Fliegern, den E-Jets von Embraer aus Brasilien, dem nach langer Pause ersten japanischen Regionaljet MRJ von Mitsubishi oder dem MC-21 der russische Irkut. Bestes Beispiel ist das neue GTF genannte Triebwerk von Pratt, bei dem dank eines Getriebes alle Teile sich in der für einen niedrigen Verbrauch bestmöglichen Geschwindigkeit drehen.
Hier liefert MTU rund ein Fünftel der Teile, allen voran die schnelllaufende Niederdruckturbine und die ersten vier Stufen des Hochdruckverdichters, sowie für Laien fast skurrile Teile wie Bürstendichtungen oder Blisks genannte kleine Schaufeln aus Nickel, deren Formen fast an abstrakte Kunstwerke erinnern. „Und wir arbeiten jeden Tag dran, jedes Teil ein kleines Bisschen besser zumachen“ so Winkler.
Größer im Umsatz ist inzwischen das zweite Feld: Das Servicegeschäft, auf dass MTU früher setzte als fast alle anderen in der Branche – und der Rest der deutschen Industrie. Der Bereich ist zwar mit acht Prozent Rendite derzeit weniger profitabel als der Komponentenbau. Aber dafür ist das Feld am Ende fast ohne Risiko. Denn mit fast jedem Triebwerk verkaufen die Hersteller auch die Wartung für mehrere Jahre, meist bis zum Lebensende des Motors. Das sorgt für planbare Einnahmen. Dabei helfen auch die hohen Sicherheitsstandards der Flugbranche. Weil Airlines anders als normale Verbraucher Ersatzteile ausschließlich beim Hersteller kaufen dürfen, müssen sie auch dessen Preise akzeptieren.
Dritte Erfolgssäule der MTU ist die Digitalisierung. Die Münchner haben nicht nur ihre Produktion dank IT-Steuerung präziser und effizienter gemacht. Auch die Motoren arbeiten inzwischen weitgehend computerisiert. Auf den ersten Blick mögen Flugmotoren wie reine analoge Kraftpakete wirken. „Für einen niedrigeren Spritverbrauch drücken wir die Gesetze der Physik ans Limit“, sagt MTU-Chef Winkler. In den Brennkammern herrschen Temperaturen von bis zu 1600 Grad Celsius sowie ein Überdruck vom 40-Fachen der Erdatmosphäre. Zahnräder drehen sich 1500 Stundenkilometer schnell, um Kräfte von bis zu 50.000 PS zu entwickeln.
Doch mitten in die vielen Tausend Teile haben die MTU-Ingenieure jede Menge Sensoren gepackt, die alle Details des Betriebs aufzeichnen. Rund 1000 Gigabyte an Daten kommen so pro Flug zusammen. Das erlaubt den Ingenieuren, nach Anzeichen für Pannen oder Schwächen zu suchen. Mit dem Wissen können sie anschließend ihre eigenen Motoren verbessern, aber auch den Fluglinien Ratschläge verkaufen, wie sie sparsamer fliegen. Der Bereich gilt als wichtiger Ertragsbringer der kommenden Jahre.
Für MTU sind der Erfolg und der Aufstieg in den Dax eine Belohnung. Es besteht Hoffnung, dass der Aktienkurs künftig noch weiter steigt. Etwas unangenehm hingegen ist die Sache für Deutschlands zweiten großen Luftfahrtbetrieb, die Lufthansa.
Das zeigt vor allem der Börsenwert. MTU kommt mit 4,6 Milliarden Euro Umsatz und rund einer halben Milliarde Euro Gewinn auf gut 13 Milliarden Euro Marktkapitalisierung. Dagegen schafft Deutschlands größte Fluglinie mit 36 Milliarden Umsatz und gut zwei Milliarden Euro Gewinn nicht mal die halbe Marktkapitalisierung. Dabei ist die Lufthansa mit ihrer Technik genannten Tochter ebenfalls im lukrativen Wartungsgeschäft aktiv. Das ärgert auch viele Lufthanseaten. „Es ist schon etwas peinlich, dass wir in allem besser sind – außer an der Börse“, so ein führender Manager.