




Als Angela Merkel 2013 das Internet als „Neuland für uns alle“ bezeichnete, erntete sie viel Häme. Doch eineinhalb Jahre später scheint die Kanzlerin immer noch Recht zu haben: Die deutsche Wirtschaft hinkt der internationalen Entwicklung hinterher. Und hinkend fällt es ihr schwer, zu den global führenden Volkswirtschaften und Unternehmen aufzuschließen. Am Donnerstag stellte der Münchner Kreis, eine unabhängige Plattform für Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, eine Studie vor, die die Problemzonen der deutschen Wirtschaft benennt. Größter Knackpunt: Viele Unternehmen verharren in einem alten branchenorientierten Denken und verpassen so die Vorteile übergreifender Zusammenarbeit.

Professor Arnold Picot, langjähriger Vorsitzender des Münchner Kreises, sprach deshalb vor allem von einer mentalen Herausforderung, die die deutsche Wirtschaft habe. „Viele schleppen ihre Fachsicht mit sich herum und kommen nicht hieraus. Die Digitalisierung erfordert aber ein Neudenken und ein Neugestalten angestammter Prozesse und Wertschöpfung“, so der Wissenschaftler. „Wir brauchen eine schonungslose Aufklärung aller Führungskräfte und Mitarbeiter über die Implikationen der Digitalisierung.“ Ausdrücklich ermutigte der Betriebswirt jedes Unternehmen zur Selbstkannibalisierung. Nur wer bisherige Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Wertschöpfungsketten in Frage stelle und auch neue Antworten finde, werde mit der Digitalisierung erfolgreich sein.
Den Automobilbereich führte Picot als Erfolgsbeispiel an. Hier hätten viele Unternehmen die Notwendigkeit zur branchenübergreifenden Zusammenarbeit erkannt. Die wachsende Bedeutung von Software, Datenkommunikation, Elektromobilität und neuen Nutzungskonzepten wie Car-Sharing hätten die Hersteller für ein neues Denken geöffnet.
Stufen der industriellen Entwicklung
Die erste industrielle Revolution datiert man auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Gekennzeichnet war sie durch die Einführung mechanischer Produktionsanlagen, die durch Wasser- und Dampfkraft angetrieben wurden. In dieser Zeit wurde auch der erste mechanische Webstuhl entwickelt.
Quelle: Deutsche Bank Research Industrie 4.0 - Upgrade des Industriestandorts Deutschland steht bevor, Stand: Februar 2014
Die Erfindung erster Fließbänder in Schlachthöfen in den USA ist Symptom der zweiten industriellen Revolution. Die Verfügbarkeit elektrischer Energie für Produktionszwecke bedingte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion.
In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts automatisierte sich die Produktion weiter. Von diesem Zeitraum an wurde nicht mehr nur Arbeitsteilung betrieben, sondern ganze Arbeitsschritte wurden von Maschinen übernommen. Die Grundlage für diese Entwicklung war der Einsatz von Elektronik und IT.
Die Industrie 4.0 soll die vierte industrielle Revolution werden. In der "intelligenten Fabrik" sollen Menschen, Maschinen und Ressourcen miteinander kommunizieren. Das jeweilige Produkt soll, gefüttert mit Informationen über sich selbst, seinen eigenen Fertigungsprozess optimieren können.
"Der Rechtsrahmen kommt noch aus analogen Zeiten"
Doch die Defizite in der Wirtschaft als Ganzes sind noch groß. Und der sonst vielfach gehätschelte Mittelstand ist Mitschuld daran: „Die kleinteilige Wirtschaft in Deutschland lässt sich nur schwer koordiniert zur Digitalisierung bringen“, so Picot.
Die Studie des Münchner Kreise spricht von sechs sogenannten Zukunftsräumen, in denen Fortschritte erreicht werden müssen: Aus- und Fortbildung, Kompetenz der Politik, Datensouveränität, deutsche Mitgestaltung der internationalen Digitalisierung, ausgediente Handlungsmuster und mangelnde Geschwindigkeit der deutschen Wirtschaft. Insbesondere der öffentlichen Förderung von Forschung und Entwicklung sowie der Politik stellt die Studie ein schlechtes Zeugnis aus. Sie seien zu wenig auf die Entwicklung der digitalen Märkte angepasst.

Den bayerischen Wirtschaftsstaatssekretär Franz Josef Pschierer schmerzen die negativen Ergebnisse. Gleichzeitig wirbt er für Verständnis: „Unser Rechtsrahmen kommt aus einer rein analogen Zeit. Wir werden noch vieles anpassen müssen.“ Die bayerische Staatsregierung habe eine Zwei-Säulen-Strategie zur Digitalisierung entwickelt, die auf dem Ausbau der Breitbandversorgung sowie die Erforschung und Förderung digitaler Kompetenz beruhe. „Bayern gibt bis 2018 allein für den Breitbandausbau 1,5 Milliarden Euro aus. Alle anderen 15 Bundesländer investieren hierfür zusammen nur 500 Millionen. Wir sind eine Industrienation, aber wir wollen auch einer der größten IT-Standorte sind und uns messen lassen an Paris, London und anderen Regionen“, so Pschierer.
Die vielfach zitierte Überängstlichkeit der Deutschen und die Sorge um den Schutz ihrer Daten und ihrer Privatsphäre zeigt die Studie übrigens nicht als Problem, sondern durchaus als Stärke für den Standort Deutschland auf. So sehen 87 Prozent der Befragten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft das Thema „Datensicherheit, Datenschutz und Privatsphäre“ für das Jahr 2020 als das Topthema für den Erfolg der Digitalisierung. Das unterstreicht auch Jürgen Walter, Chef von Fujitsu in Mitteleuropa: „Der strenge deutsche Datenschutz ist kein Nachteil, sondern ein Vorteil“, sagte der Manager. „Wir haben gute Chancen, aus Rechenzentren in Deutschland Services mit hohem Datenschutz zu erbringen. Das kann für Vertrauen in die Digitalisierung sorgen.“