Nach dem Abgas-Skandal Der Diesel stirbt aus

Der liebste Antrieb der Deutschen hat keine Zukunft, hat eine neue Studie errechnet. Bis zum Jahr 2030 soll der Anteil des Diesels am Neuwagen-Verkauf massiv sinken. Gewinner sind elektrische Antriebe.

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Auch bei Volkswagen will man künftig stärker auf Elektroautos setzen. Bis 2025 sollen sie 25 Prozent der Verkäufe ausmachen. Quelle: dpa

Düsseldorf In VW-Chef Matthias Müller sind in den vergangenen Monaten offenbar die Zweifel gewachsen. Der Konzernchef, der immer ein leidenschaftlicher Anhänger des Diesels galt, meldete zuletzt im Handelsblatt-Interview erhebliche Zweifel an der Zukunft der Technologie an. „Es wird sich die Frage stellen, ob wir ab einem gewissen Zeitpunkt noch viel Geld für die Weiterentwicklung des Diesels in die Hand nehmen sollen“, erklärte Müller. „Im Dialog mit der Politik müssen wir sehen, wie das alles weitergeht.“

Wie es weitergehen könnte haben nun die Unternehmensberater von Alix Partners in ihrer Studie „Global Automotive Outlook 2016: Automobilindustrie am Wendepunkt“ errechnet. Die Prognosen für den Diesel sehen demnach so düster aus, wie Müller es befürchtet. Heute macht der Selbstzünder bei kleinen Fahrzeugen noch 40 Prozent der Verkäufe aus, bei großen Fahrzeugen wie beispielsweise SUVs sind es sogar knapp über 70 Prozent. Dieser Marktanteil wird nach Ansicht der Berater in den kommenden 15 Jahren deutlich schrumpfen. Bei Kleinwagen werden demnach nur noch fünf Prozent Diesel gekauft, bei Großen nur noch 13 Prozent.

„Im Jahr 2030 wird der Kunde zwischen elektrischen und mit Kraftstoff betriebenen Autos wählen können, die in Reichweite, Preis und Leistung auf gleichem Niveau sind,“ sagt Auto-Experte Elmar Kades, Managing Partner bei Alix Partners. Dann seien Kundenpräferenzen und mögliche regionale Emissionsbeschränkungen entscheidend im Kampf der Antriebsstränge. Den enormen Imageschaden durch die Abgasaffäre für den Dieselantrieb belegt auch eine Studie des Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen.

Gerade die Politik hat rund um den Dieselskandal viel Vertrauen in die Technologie verloren. Schon heute, das zeigen unter anderem die jüngsten Tests des Kraftfahrtbundesamtes, stoßen selbst Euro-6-Dieselmotoren mehr als fünf Mal so viel Stickoxid aus wie es der Grenzwert vorschreibt. Nach den Messungen der internationalen Forschungsgemeinschaft ICCT liegen die Grenzüberschreitungen sogar noch höher. Um den Diesel sauberer zu machen, müssen die Hersteller teure Abgasreinigungssysteme verbauen. Insgesamt steigen die Materialkosten für einen Dieselmotor nach seinen Schätzungen um 35 bis 40 Prozent.

Während der Diesel immer teurer wird, sinken parallel die Batteriepreise, die heute noch einen Großteil des Preises für ein Elektroauto ausmachen. Der Preis pro Kilowattstunde werde bis 2025 auf 140 bis 160 Dollar fallen, sagen die Unternehmensberater von Alix Partners. Darüber hinaus steige die Leistungsfähigkeit. Damit sei der Elektroantrieb schon in wenigen Jahren wettbewerbsfähig – zumindest mit staatlicher Unterstützung.

Und der Gesetzgeber könnte den Umstieg weiter beschleunigen. Ab 2021 soll der neue Zyklus WLTP zum neuen Standard werden. Neben dem Stickoxid muss auch der Ausstoß von klimaschädlichem CO2 weiter reduziert werden. Bis 2030, so sagen es die Unternehmensberater voraus, dürften Kleinwagen nicht mehr als 50 Gramm pro Kilometer erzeugen, bei großen Fahrzeuge liege der Grenzwert dann bei 65 Gramm.


„Die Hersteller werden sich nicht in die Abhängigkeit begeben“

Um diese Grenzwerte zu erreichen, müsse der CO2-Ausstoß um sieben bis acht Prozent im Jahr sinken, rechnet Alix Partner vor. Die Industrie müsste damit ihr Tempo verdoppeln.. „Das schafft man nicht alleine mit der Verbesserung des Verbrennungsmotors“, sagt Kades. Auch wenn der Diesel in diesem Bereich besser abschneide als ein Benziner, seien die Hersteller gezwungen, ihre Flotte zu elektrifizieren.

Für kleine Motoren seien neue Systeme wie ein 48-Volt-Hybrid das Mittel der Wahl. Damit lasse sich der Verbrauch um bis zu 20 Prozent senken – ohne große Änderungen an der Motorentechnik. Bis 2030 – so schätzen es die Wissenschaftler machen Hybride in diesem Segment bereits 30 Prozent des Absatzes aus. Bei großen Fahrzeugen sei der Plug-in-Hybrid der wichtigste Antrieb. Sie kommen auf rund 40 Prozent des Absatzes. Wasserstoffautos werden im kommenden Jahrzehnt nach Ansicht der Unternehmensberater eine untergeordnete Rolle spielen.

Bei den reinen Elektrofahrzeugen erwarten die Unternehmensberater dagegen einen Boom. Jeder dritte Kleinwagen und jeder zehnte große Neuwagen soll nach ihren Schätzungen im Jahr 2030 rein elektrisch unterwegs sein.

Mit jedem Elektrofahrzeuge sinke dann allerdings auch die Auslastung der Motorenwerke und die Wertschöpfung der Hersteller, sagen die Unternehmensberater voraus. „Daher ist zu erwarten, dass viele Hersteller die Produktion von Batterien und Elektromotoren schrittweise integrieren“, sagt Kades. Das könnte auch die Produktion in Europa mächtig verändern. Die Zahl der Fabriken, in denen auch Elektroautos gebaut werden, soll von 26 auf 40 steigen. Dafür sollen sieben Werke verschwinden, in denen Diesel- oder Benzinfahrzeuge gebaut werden.

Das Risiko, das die Wertschöpfung am Ende komplett nach China verschwinden könnte, hält Kades für überschaubar. „Die Hersteller werden sich nicht in die vollständige Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern begeben“, sagt er. Der Transport von großen Batterien sei darüber hinaus zu teuer und zu aufwendig.

Die Unternehmensberater gehen sogar davon aus, dass der Anteil der Elektrofahrzeuge so schnell steigen wird, dass der Ausbau der Infrastruktur nicht hinterherkommt. In den kommenden 15 Jahren seien allein in den 488 globalen Millionenstädten Investitionen über 3,72 Billionen Euro nötig, um300 Millionen neue Ladestationen zu bauen. Die Finanzierung dieser immensen Summe ist dagegen noch weitgehend offen. “Mit dem gestiegenen Anteil elektrifizierter Fahrzeuge wird auch das Interesse privater Investoren am Infrastrukturausbau steigen”, ist sich Kades sicher.

Beim deutschen Autobauer VW und Konzernchef Matthias Müller steht der elektrische Umstieg nach dem Manipulationsskandal ganz oben auf der Agenda. In zehn Jahren soll jeder vierte VW elektrisch fahren, kündigte Müller mit seiner jüngsten Strategie an. Milliarden sollen in die Technologie fließen. Der Diesel – so scheint es – verliert mittlerweile auch seine besten Freunde.

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