Nach dem Uber-Unfall Das autonome Fahren steckt in der Vertrauenskrise

Mehrere US-Staaten, Nvidia und Toyota stoppen ihre Tests mit selbstfahrenden Autos. Der erste tödliche Unfall gefährdet die Zukunft der Technologie.

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Tesla, Nvidia, Uber: Autonomes Fahren steckt in der Krise Quelle: Reuters

Düsseldorf Es sind schwere Zeiten für das autonome Fahren. Nach dem tödlichen Unfall in Arizona haben gleich mehrere US-Bundesstaaten in den vergangenen Tagen alle Testfahrten des Fahrdienstleisters Uber gestoppt. Auch der Chiphersteller Nvidia, dessen Produkte zentral für selbstfahrende Autos sind, setzt seine Probefahrten aus, ebenso wie Toyota und das Start-up NuTonomy.

Die Technologie, an der sowohl die großen Autobauer als auch die Tech-Riesen aus dem Silicon Valley rund um den Globus mit Hochdruck forschen, erlebt derzeit ihre wohl größte Krise.

Am Dienstagabend kündigte auch Kalifornien an, dass Uber seine Testfahrten mit autonomen Autos in dem Bundesstaat vorerst aufgeben muss. Eine am Samstag auslaufende Lizenz für Probefahrten werde nicht verlängert, teilte das kalifornische Amt für Kraftfahrzeuge mit. Uber erklärte später, man werde dort keine neuen Tests beantragen.

Nach dem Unfall im Ort Tempe bei Phoenix hatte bereits Arizona dem Fahrdienstvermittler weitere Tests mit seinen selbstfahrenden Autos bis auf Weiteres untersagt. Der Bundesstaat galt bisher als besonders liberal bei der Genehmigung von Versuchen mit autonomen Fahrzeugen. Gouverneur Doug Doucey forderte nun in einem Brief an Uber eine strikte Einhaltung der Sicherheitsstandards, wie mehrere US-Medien berichten. Aus einem Bericht des „Guardian“ geht jedoch hervor, dass Doucey Uber erlaubte, die Fahrzeuge ab August 2016 ohne öffentliche Ankündigung und ohne ausreichende Aufsicht von Experten auf den Straßen zu testen.

Uber selbst hatte sein Testprogramm in Kalifornien, Pennsylvania, Arizona und der kanadischen Provinz Ontario nach dem Unfall bereits freiwillig unterbrochen. Ein selbstfahrendes Auto des milliardenschweren Start-ups hatte am vergangenen Wochenende bei einer nächtlichen Testfahrt in Tempe eine Frau getötet, die die Straße überquerte. Es war der erste tödliche Unfall mit einem autonomen Fahrzeug.

Von der Polizei veröffentlichte Videoaufnahmen von Kameras des Fahrzeugs werfen die Frage auf, warum die Sensoren die Fußgängerin, die ein Fahrrad schob, nicht rechtzeitig bemerkt zu haben scheinen. Der Wagen bremste der Polizei zufolge nicht ab und versuchte auch nicht, auszuweichen. Zudem schien der Mensch am Steuer unmittelbar vor dem Aufprall nicht auf die Straße zu achten, sondern auf etwas unterhalb des Armaturenbretts zu schauen.

Erst am Freitag hatte die „New York Times“ berichtet, dass interne Dokumente von Uber etliche Probleme im Testprogramm thematisiert hätten. So gebe es Pannen beim Fahren durch Baustellen, überhaupt müsse der Mensch bei selbstfahrenden Uber-Autos weitaus stärker eingreifen, als es bei Konkurrenten der Fall sei.

Chiplieferant Nvidia setzt eigene Tests aus

Auch der Chiphersteller Nvidia setzt seine Tests mit autonom fahrenden Fahrzeugen weltweit aus. Grund sei der Uber-Unfall in Arizona, sagte eine Nvidia-Sprecherin. Auf öffentlichen Straßen werde es daher vorerst keine weiteren Tests geben. Unter anderem liefen diese in den USA, in Japan und Deutschland.

Nvidia-Chips und -Software kommen in großem Stil bei Anwendungen mit künstlicher Intelligenz zum Einsatz. Auf dieser Basis entwickelt der Konzern auch Technologie zum autonomen Fahren und kooperiert dabei unter anderem mit Volkswagen.

Tödlicher Tesla-Unfall wirft Fragen auf

Ein weiterer tödlicher Unfall mit einem Tesla-Fahrzeug in Kalifornien sorgt in diesem Zusammenhang ebenfalls für Aufsehen. Der Fall werde nun offiziell untersucht, teilte die Nationale Behörde für Transportsicherheit am Dienstag mit. Es sei unklar, ob das Elektroauto zum Zeitpunkt des Unfalls von seinem automatischen Kontrollsystem gesteuert worden sei.

Nach Polizeiangaben fuhr das Tesla Model X am vergangenen Freitag in eine Fahrbahnbegrenzung. Anschließend sei es von einem Mazda erfasst worden und dann mit einem Audi zusammengestoßen. Der Fahrer des Tesla sei bei dem Unfall ums Leben gekommen. Außerdem hätten die Lithium-Batterien Feuer gefangen.

Fest steht bereits: Nicht nur für Uber und Tesla, sondern für alle Tech- und Autokonzerne, die große Hoffnungen in das autonome Fahren setzen, kam der Unfall zur Unzeit. Denn über Einzelfälle hinaus geht es auch um die möglichen Folgen für die Zukunft der Technologie.

In den USA laufen die Verhandlungen über zeitgemäße Regeln für selbstfahrende Autos auf Hochtouren. Erst kürzlich hatte eine Lobby-Initiative um Uber und die Google-Schwester Waymo die Politik aufgefordert, die veralteten Gesetze rasch zu ändern und den Weg für die Technologie weiter freizumachen. Nun erhält die Offensive einen herben Dämpfer.

Glaube an die Technik schwindet

Bisher dominierte in der öffentlichen Meinung der Glaube an die Technik. Und es setzte sich klar die Idee durch, dass sie gut für die Gesellschaft sei: Über 90 Prozent der Unfälle würden von Menschen verursacht, ohne Robotertaxis drohe der Verkehrsinfarkt in Megacitys. Mit neuen Mobilitätskonzepten bekämen dagegen die Menschen die Straßen der Städte für sich zurück, schwärmte Ford-Chef James Hackett erst im Januar.

Auch die Technologie schien auf dem richtigen Weg: Passagiere selbstfahrender Testwagen beschreiben das Erlebnis meist als im positiven Sinne langweilig, weil die Fahrt so ereignislos und sanft verlaufe.


Google glaubt weiter an die Technologie

Die Stimmung löste einen regelrechten Goldrausch aus. Vor gut sieben Jahren hatte Google mit der Vorstellung seiner Roboterwagen-Flotte noch die Branche aufgeschreckt. Inzwischen arbeiten Dutzende Unternehmen an Technologie für autonomes Fahren: Autohersteller, Zulieferer, Start-ups, Tech-Unternehmen wie Apple, Samsung, Alibaba oder eben Uber. Die Google-Schwesterfirma Waymo gilt als sehr weit – viele Autobauer wollen aber keine Abhängigkeit von dem Internetriesen und setzen auf andere Lösungen.

Denn das Geschäftsmodell wird sich in der Zukunft drastisch verschieben – und es könnte sich auch für die Industrie als äußerst lukrativ erweisen. Derzeit bringe ein Wagen über seine Betriebszeit im Schnitt Einnahmen von rund 30.000 Dollar ein, rechnete jüngst der US-Autokonzern General Motors vor.

Menschen am Steuer gefährlicher als Computer?

Bei Robotertaxis würden es ziemlich schnell Hunderttausende Dollar pro Fahrzeug sein. Das heißt auch: Wer nur Autos ohne künstliche Intelligenz entwickelt, hat auf lange Sicht gegen die Konkurrenz verloren. Zugleich glauben einige in der Branche, dass Sicherheit zum entscheidenden Wettbewerbsargument wird: Wer die bessere Technologie hat, macht weniger Unfälle und wird deswegen bevorzugt.

Befürworter wie Tesla-Chef Elon Musk verweisen darauf, dass im US-Straßenverkehr pro Jahr rund 40.000 Menschen getötet werden, darunter 6.000 Fußgänger. Auch wenn Roboterwagen ebenfalls in Unfälle kommen würden, seien sie sicherer, argumentierte Musk. Wer Stimmung gegen selbstfahrende Autos mache, „töte Menschen“, sagte er zuletzt im vergangenen Jahr.

Ein Problem für die Konzerne ist, dass das autonome Fahren nicht ausschließlich im geschützten Raum perfektioniert werden kann. „Die Komplexität der Realität kann man nicht auf Testgeländen oder in Simulationen komplett nachbilden“, erklärte Klaus Dietmayer vom Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechnik an der Universität Ulm kürzlich dem Handelsblatt.

Das heiße aber nicht, dass man alles sofort auf der Straße erproben sollte. „Tests sollten erst im Rahmen von Simulationen im Labor geschehen, dann auf dem Testgelände und dann auf öffentlicher Straße.“

Anbieter Waymo strotzt vor Selbstvertrauen

Das Vertrauen der Menschen ist dabei der Schlüssel: Umfragen zeigen regelmäßig, dass sie daran zweifeln, ob sie dem Computer die Kontrolle überlassen sollen. Um die Bedenken der Bevölkerung zu zerstreuen, haben bereits mehrere Uber-Konkurrenten beteuert, dass ihre Fahrzeuge sicher sind. So erklärte Waymo-Chef John Krafcik, dass die Technologie seiner Firma mit der Unfallsituation in Arizona fertig geworden wäre.

Kein Wunder, denn Waymo gab am Dienstag ehrgeizige Pläne bekannt: Die Google-Schwesterfirma will in den kommenden Jahren 20.000 Elektroautos von Jaguar zu Robotaxis umbauen. Die ersten umgerüsteten Fahrzeuge des Modells I-Pace sollen in diesem Jahr testweise in die Flotte selbstfahrender Autos kommen. Aktuell besteht sie vor allem aus mehreren Hundert Chrysler-Minivans. Mit ihnen will Waymo demnächst einen fahrerlosen Taxidienst in Teilen der Stadt Phoenix in Arizona starten.

Waymo ist die Firma unter dem Dach des Alphabet-Konzerns, bei der die Entwicklung der einstigen Google-Roboterautos gebündelt wurde. Google und Waymo betonten stets, man wolle nicht selbst zum Autobauer werden, sondern mit etablierten Anbietern zusammenarbeiten.

Mit 20.000 Wagen könne man an einem typischen Tag rund eine Million Fahrten machen, teilte Waymo mit. Die Google-Schwester bleibt trotz aller Diskussion optimistisch: Der Dienst solle in den nächsten Jahren vielerorts in den USA starten.

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