Naftogaz-Chef „Nord Stream 2 erhöht die Kriegsgefahr“

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„Die deutsche Erklärung ist eher ein Ausdruck eines Wunsches“

Es gibt ein bestehendes Transitabkommen zwischen Russland und der Ukraine, das Ende 2024 ausläuft. Die Position der deutschen Regierung ist, dass ein Teil des Gastransits durch die Ukraine nach 2024 erhalten bleiben muss, wenn Nord Stream 2 in Betrieb gehen soll. Ist diese Bedingung erfüllt?
Die Deutschen äußern nur ihren Wunsch. Sie sagen: Der Transit soll weitergehen, so wie ich auch sage, dass es Frieden auf der ganzen Welt geben sollte und wir den Klimawandel bekämpfen müssen und alle Menschen im Grunde glücklich und gesund sein sollten. Aber leider ist das Leben nicht so. Garantie bedeutet: Wenn es keinen Transit gibt, dann geschieht etwas. Aber so eine Bedingung gibt es nicht. Putin und Gazprom dagegen äußern ihre Bedingungen für die Fortsetzung des Transits ausdrücklich. Die sagen: Wir werden erst darüber diskutieren, wenn 2024 näher rückt. Und dann sagen sie, dass sie den Transit nur dann fortsetzen, wenn es für sie wirtschaftlich sinnvoll ist, nur wenn es langfristige Kaufverpflichtungen gibt, wenn sie den zusätzlichen Bedarf nicht durch Nord Stream 2 decken können. Dann könnten sie eine ukrainische Route in Betracht ziehen.

Sie sagen also: Der Kreml beherrscht das Spiel mit der Macht –  und die Deutschen nicht?
Das ist Ihre Interpretation. Ich sage: Die deutsche Erklärung ist eher ein Ausdruck eines Wunsches als eine Bedingung, weil nicht klar ist, wie diese Bedingung erfüllt wird und was passiert, wenn es nach 2024 keinen Transit gibt. Gleichzeitig stellt Putin Bedingungen für die Fortsetzung des Transits. Und es ist wirklich klar, dass die Fortsetzung des Transits von seinem Gutdünken abhängen wird.

Nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, Russland dürfe Erdgaslieferungen politisch nicht gegen die Ukraine wenden. Auch US-Präsident Joe Biden hat das gesagt. Ist diese rote Linie, die die beiden gezogen haben, also nichts wert?
Die beiden sind globale Führungsfiguren. Ich habe mich persönlich mit Bundeskanzlerin Merkel getroffen. Ich glaube nicht, dass das nur leere Worte sind. Sie drücken ihre Haltung aus, ihren politischen Willen. Für die Russen übersetzt sich das aber nicht automatisch in eine Bedingung, denn sie leben nach anderen Regeln. Und in den meisten Fällen werden sie weder auf Angela Merkel noch auf Joe Biden hören.

Olaf Scholz, der mutmaßlich nächste Bundeskanzler, hat gesagt, die Ukraine solle ein Transitland bleiben. Vertrauen Sie auf sein Versprechen?
Ich vertraue darauf, dass Herr Scholz die Ukraine als Transitland unterstützen wird. Aber das alleine ist nicht genug. Das ist meine Botschaft.

Die Sozialdemokraten haben sich für Nord Stream 2 stark gemacht. Haben sich die politischen Rahmenbedingungen durch ihren Wahlsieg für Sie verändert?
Das ist eine offene Frage. Einige SPD-Politiker haben ihre Unterstützung für Nord Stream 2 zum Ausdruck gebracht. Aber wir hören auch von anderen, die Nord Stream 2 skeptisch gegenüberstehen oder zumindest darauf bestehen, dass die europäischen Regeln eingehalten werden.

Was genau erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Ich erwarte, dass die deutsche Regierung die Energiesicherheit Deutschlands und der Europäischen Union im Allgemeinen ernst nimmt, dass sie den Wettbewerb auf dem europäischen Markt ernst nimmt. Das bedeutet, dass sie nicht zulassen darf, dass Nord Stream 2 in Betrieb genommen wird, weil es nicht den europäischen Regeln entspricht. Aber ich würde auch erwarten, dass die neue deutsche Regierung die Bedeutung der Integration der Ukraine in die Europäische Union versteht. Sie hat die Verantwortung, Europa zu führen. Und das bedeutet für mich im Grunde auch, die Ukraine in den europäischen Markt, in die Europäische Union, in das rechtsstaatliche System zu integrieren.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat im Zuge des Zertifizierungsprozesses befunden, dass die Zertifizierung der Nord Stream 2 AG die Gasversorgungssicherheit Deutschlands und der EU nicht gefährden würde. Warum stimmen Sie dem nicht zu?
Weil wir aus der Vergangenheit lernen können, dass die Russen, wenn sie verstehen, dass Sie von ihren Gaslieferungen abhängig sind, diese Abhängigkeit missbrauchen und dass das die Sicherheit gefährdet.

Bisher hat sich Nord Stream 2 jedoch an deutsches Recht gehalten. Nord Stream 2 hat sogar signalisiert, dass die Pipeline ohne eine Zertifizierung nicht in Betrieb gehen würde. Bisher hat das Unternehmen also keine deutschen oder europäischen Rechtsvorschriften verletzt.
Aber sie haben zuerst darauf bestanden, dass Nord Stream 2 auch ohne Zertifizierung ein Betreiber werden sollte, dann darauf, dass die europäischen Regeln für Nord Stream 2 nicht gelten sollten, das fechten sie vor Gericht aus. Aber ja, ich würde zustimmen, dass das kein Verstoß gegen das Gesetz war, solange sie nicht in Betrieb gehen.

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Ein wichtiger Spieler sind die USA. Auf dem Capitol Hill plädieren die Republikaner weiterhin für Sanktionen gegen Nord Stream 2. Die Ukraine setzt sich dort stark für diese Sanktionen ein. Welche Rolle spielen die USA derzeit bei der Nord-Stream-2-Zertifizierung und bei der Bearbeitung von Nord Stream?
Zunächst einmal ist es nicht nur die republikanische Seite des Kongresses, sondern auch die demokratische Seite. Wir genießen parteiübergreifende Unterstützung für diese Sanktionen im US-Kongress. Es gibt also ein Gesetz. Das Problem ist, dass die Regierung diese Regelung ausgesetzt hat. Sie wendet die vom Kongress vorgeschriebenen Sanktionen nicht an. Aber um Ihre Frage nach der Rolle der USA zu beantworten. Die USA sind der Hüter der freien Welt. Deutschland führt die EU, aber wir alle verstehen, dass Deutschland Russland nicht militärisch begegnen kann. Wir verstehen, dass Deutschland die Ukraine nicht militärisch schützen kann. Und da die russische Aggression auch diese sehr klare militärische Dimension hat, ist es die Rolle der USA, die Sicherheit der freien Welt zu garantieren. Deshalb sind Sanktionen in Bezug auf Nord Stream 2 nur logisch.

Mehr zum Thema: Im Streit um die Zertifizierung der Pipeline Nord Stream 2 greift der ukrainische Gaskonzern Naftogaz die Analyse des Wirtschaftsministeriums zur Versorgungssicherheit an.

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