Nationaler Luftfahrtgipfel Wie die Flugbranche klimaneutral werden soll

Eine Klimaaktivistin protestiert gegen das Fliegen am Flughafen München. Quelle: dpa

Auf dem Luftfahrtgipfel steht Klimaschutz im Fokus: Mit der Fliegerei nimmt auch der CO2-Ausstoß zu, die Branche kämpft um ihren Ruf. Die Vorschläge der Airlines genügen Umweltbundesamt und Greenpeace aber nicht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wenn sich am Mittwoch in Leipzig erstmals Politiker und Luftverkehrs-Branchenvertreter zum Nationalen Luftfahrtgipfel treffen, wird es vor allem um die Frage gehen, wie die Flugindustrie umweltfreundlicher werden kann. Während die schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg über den Atlantik segelt, weil sie kein CO2-emittierendes Flugzeug besteigen will, sieht die Luftfahrtbranche sich verstärkt Anfeindungen ausgesetzt: Die Fliegerei hat mittlerweile in gewissen Kreisen einen obszön schlechten Ruf, der Begriff „Flugscham“ macht Karriere. Fliegen gilt aufgrund des CO2-Ausstoßes als eine der größten Klimasünden überhaupt – wenngleich es auch noch dreckigere Branchen gibt. Luftverkehr hat nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur an der weltweiten CO2-Emission einen Anteil von derzeit 2,8 Prozent.

Und der Sektor wächst: Laut Umweltbundesamt nimmt der globale Luftverkehr jedes Jahr um vier bis fünf Prozent zu. Handlungsbedarf hat darum auch der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) erkannt und im Vorfeld des Leipziger Gipfels seine „Analyse der Instrumente zur CO2-Reduktion“ veröffentlicht. Der BDL, 2010 in Berlin gegründet, vertritt unter anderem die Interessen von Lufthansa, Condor, TUIfly, DHL, Deutsche Flugsicherung (DFS) und Fraport. Das hehre Ziel des Verbands: „Wir wollen erreichen, dass die luftverkehrsbedingten CO2-Emissionen auf null sinken.“

Für Martin Schmied, Leiter der Abteilung Verkehr, Lärm und räumliche Entwicklung beim Umweltbundesamt, ist dieser Vorstoß „zunächst einmal ein guter Einstieg. Ich finde es sehr positiv, dass der Verband das Thema Klimaschutz ernst nimmt und erkannt hat, dass die bisher getroffenen Maßnahmen nicht ausreichen.“ Aber, schränkt Schmied ein, auch die jetzt vom Verband aufgezeigten Maßnahmen und Forderungen „werden allein noch nicht helfen.“ Der Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan befindet: „Der Druck auf die Branche steigt, auch weil so viele Menschen auf die Straße gehen. Aber es bleibt bislang das Gefühl: Die Industrie zieht sich aus der Verantwortung.“ Diesen Druck spürt die Industrie auch seitens der Politik: Gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 muss die EU bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 insgesamt 40 Prozent CO2-Emissionen reduzieren.

Power-to-Liquid als effektivste Maßnahme

Die beiden effektivsten Maßnahmen für umweltverträglicheres Fliegen sind für BDL-Geschäftsführer Matthias von Randow modernere, also effizientere, spritsparende Flugzeuge sowie der Einsatz eines regenerativen Kraftstoffs. Bei Letzterem setzt der BDL vor allem auf sogenannte Power-to-Liquid-Kraftstoffe (PtL); bei diesem Verfahren lässt man bereits verbranntes Kohlendioxid mit neu (und mithilfe von Ökostrom) gewonnenem Wasserstoff zu einem Gemisch aus Kohlenwasserstoffen reagieren, aus dem man etwa Kerosin gewinnen kann. Damit gilt dieses Verfahren zwar nicht als CO2-frei, aber als CO2-neutral, weil man nur so viel CO2 ausstößt, wie man der Atmosphäre zuvor entnommen hat. Das Problem: Derzeit steht PtL-Kraftstoff noch nicht in industriell ausreichender Menge zur Verfügung. Zudem, erklärte Uta Maria Pfeiffer, im BDL-Vorstand zuständig für Nachhaltigkeit, koste ein Liter PtL-Kraftstoff derzeit mit 3,50 Euro rund achtmal so viel wie ein Liter Kerosin (rund 45 Cent).

Um die PtL-Forschung weiter voranzutreiben, schlägt der BDL vor, die jährlichen Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer (zuletzt rund 1,2 Milliarden Euro) „zugunsten von Forschung, Entwicklung und der Markteinführung regenerativer Kraftstoffe zu verwenden“. Die Luftverkehrssteuer wurde 2011 als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung eingeführt. Auch Umweltbundesamt-Mann Martin Schmied hegt „durchaus Sympathie für diese Idee. CO2-neutrales Fliegen ist möglich – da stimmen wir mit dem BDL überein. Und Power-to-Liquid kann hierbei einen wichtigen Beitrag leisten.“ Auf WirtschaftsWoche-Nachfrage teilt das Bundesfinanzministerium mit, die Luftverkehrssteuer sei „nicht zweckgebunden“. Man sammele aber alle Vorschläge zur Einhaltung der Klimaschutzziele und am 20. September werde der Klimaschutz-Kabinettsausschuss darüber beraten.

Dresdner Firma führend

Die Dresdner Firma Sunfire zählt zu den führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Power-to-Liquid-Forschung. Eine Power-to-Liquid-Anlage, die pro Jahr zehn Millionen Liter Treibstoff produziert, würde nach Sunfire-Schätzungen zwischen 70 und 80 Millionen Euro kosten. Derzeit führt Sunfire zusammen mit dem Leipziger Anlagenbauer EDL eine Machbarkeitsstudie auf dem Flughafen Rotterdam durch, an dessen Ende eine Demonstrationsanlage in Betrieb genommen werden soll, die 1000 Liter erneuerbares Kerosin pro Tag produzieren soll. Es wäre die weltweit erste Anlage dieser Art. Zur Einordnung: Ein Airbus A380 verbraucht auf dem Flug Frankfurt – New York rund 115.000 Liter Kerosin (abhängig von Wetterverhältnissen und Auslastung).

In der Flugindustrie gibt man den Verbrauch in Liter pro Passagier und 100 Kilometer an. Der BDL verweist darauf, dass dieser Wert seit 1990 von 6,3 Litern auf zuletzt rund 3,55 Liter gesunken ist. Gemäß dieser verbesserten Effizienz stieg der Kerosinbedarf nicht im selben Maßstab wie der Flugverkehr: Der weltweite Transport (Passagiere und Waren) habe nach BDL-Angaben seit 1990 um 261 Prozent zugenommen, der absolute Kerosinbedarf im selben Zeitraum um 117 Prozent. Das Umweltbundesamt weist in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass auch 117 Prozent Steigerung ein massives Problem darstellen, wenn man sich zum Ziel gesetzt hat, die CO2-Emissionen zu senken. Und bis zum Jahr 2035, so prognostiziert es Eurocontrol (Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt), wird allein der europäische Luftverkehr wiederum um rund 50 Prozent wachsen auf 14,4 Millionen Flüge.

Auf die Frage, wie viel Geld der BDL selbst zur Forschung erneuerbarer Kraftstoffe zur Verfügung stellen wird, antwortet der Verband ausweichend: „Wir sind im Gespräch mit Anlagenbauern, Energiewirtschaft, Mineralölwirtschaft, um die Kosten für eine Anlage zu berechnen, die den Kerosinbedarf für innerdeutsche Flüge decken würde. Die konkreten Ergebnisse liegen uns noch nicht vor – auch nicht, wo diese Anlage errichtet werden kann.“ Geld ist also noch nicht geflossen, eine räumliche Annäherung zu den Dresdner Pionieren aber findet statt: Auf der Nationalen Luftfahrtkonferenz wird Sunfire auf dem Gemeinschaftsstand des BDL ausstellen.


CO2-Emissionen sind nur ein Teil des Flug-Problems

Auf ein weiteres Problem weist Benjamin Stephan hin, Verkehrsexperte von Greenpeace in Hamburg: „Strombasierte Kraftstoffe sind nur dann sinnvoll, wenn sie mit erneuerbarem Strom hergestellt werden. Aber klimaneutraler Treibstoff alleine macht einen Flug nicht klimaneutral. Das Flugzeug produziert weiterhin Stickstoffdioxid und Kondensstreifen, deren Wirkung in großer Höhe klimaschädlicher sind, als die Verbrennung konventionellen Kerosins.“ Die Umweltbelastungen sind in Reiseflughöhe um das zwei- bis dreifache schädlicher als am Boden, bestätigt auch das Umweltbundesamt.

Und mit einer Förderung von Power-to-liquid-Anlagen allein, sagt Martin Schmied vom Umweltbundesamt, sei es auch nicht getan: „Eine europaweite Beimischquote für Flugverkehrsunternehmen von Power-to-Liquid-Kraftstoff wäre aus Sicht des Umweltbundesamtes sinnvoll und sehr wirkungsvoll.“ Auch wenn die Quote erst 2030 käme und nur bei fünf oder zehn Prozent läge, sagt Schmied, bräuchte man bereits eine sehr große Menge CO2-neutralen Kraftstoff. „Die Luftfahrtbranche braucht jedenfalls bereits heute klare Vorgaben, was sie 2030 zu erfüllen hat, damit wir den PtL-Einstieg auch wirklich schaffen.“ Eine internationale Roadmap zur PtL-Einführung bei der internationalen Zivilluftorganisation ICAO, wie sie der BDL vorschlägt, ist aus Sicht des Umweltbundesamtes viel zu kompliziert und langwierig: „Das würde Jahre oder Jahrzehnte dauern. Wir stehen beim Klimaschutz aber enorm unter Zeitdruck. Da können wir nicht noch jahrelang diskutieren.“ 

CO2-Emissionszertifikate werden deutlich teurer

In Deutschland wie auch in der EU sind seit 2012 alle Luftfahrzeugbetreiber dazu verpflichtet, am EU-Emissionshandel teilzunehmen. Die Fluggesellschaften müssen also einen Teil ihrer ausgestoßenen CO2-Emissionen kompensieren und hierfür entsprechende Zertifikate kaufen von Teilnehmern (auch anderer Industrien), die weniger verbraucht haben, als ihnen zustand. Dies gilt bislang allerdings nur für innereuropäische Flugverbindungen; Fluggesellschaften, die außerhalb Europas starten, müssen bislang keine Zertifikate kaufen. 

Im vergangenen Jahr mussten alle EU-Luftfahrzeugbetreiber Emissionszertifikate im Wert von rund 550 Millionen Euro kaufen, wie die Webseite Airliners.de berechnete. Deutsche Fluggesellschaften bezahlten im vergangenen Jahr rund 100 Millionen Euro für CO2-Zertifikate. Dies ist eine deutliche Steigerung gegenüber 2017 – und voraussichtlich wird dieser Betrag im laufenden Jahr noch einmal merklich übertroffen werden. Denn der Preis, um eine Tonne CO2 auszugleichen, wird an Börsen gehandelt und hat dort in den vergangenen drei Jahren um rund 350 Prozent zugelegt und liegt aktuell bei über 26 Euro.

Ab 2020 gilt das globale Klimaschutzinstrument Corsia, von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation beschlossen. Corsia (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) beinhaltet unter anderem die Selbstverpflichtung der Branche, ab dem kommenden Jahr klimaneutral zu wachsen. Diese Selbstverpflichtung hält Greenpeace-Experte Stephan für zu lasch. Denn dieses selbstgesteckte Ziel könnten die Fluggesellschaften einfach durch Kompensationszahlungen erreichen. „Die Verpflichtung der Luftfahrtindustrie, ab 2020 über Kompensationsprojekte vermeintlich klimaneutral zu wachsen, greift viel zu kurz und erzeugt keinen Innovationsdruck“, sagt Stephan. „Tatsächlich muss das rasante Wachstum im Flugverkehr gebremst werden und wir müssen schnell weg von fossilen Brennstoffen. Beides wird so nicht passieren.“

Umweltbundesamt-Mann Schmied schlägt stattdessen vor, den Handel mit Emissionszertifikaten zu einem geschlossenen System umzubauen, „so dass die Luftfahrtbranche immer weniger Zertifikate aus dem Energie- und Industriesektor zukaufen darf. Das würde schnell die Preise für CO2-Verschmutzungsrechte nach oben treiben.“ Das hätte dann zwar sehr wahrscheinlich auch Auswirkungen auf die Flugticketpreise, „aber diesen Rahmen braucht es, da wird man nicht drum herumkommen“, sagt Schmied. „Zudem würde dies auch helfen, dass sich PtL als CO2-neutraler Kraftstoff im Luftverkehr durchsetzen kann.“

Eine andere Einnahmequelle wäre die schon häufiger von Politikern diskutierte Kerosinsteuer. Die Branche wehrt sich dagegen mit dem Argument, das würde Verkehr und Emissionen nicht verringern sondern nur ausländischen Wettbewerbern Vorteile verschaffen. Sowohl Umweltbundesamt als auch Greenpeace können der Idee aber viel abgewinnen, um damit etwa die Entwicklung erneuerbarer Kraftstoffe zu finanzieren. Greenpeace-Experte Stephan befindet: „Mit den Einnahmen der Luftverkehrssteuer klimaneutrale Treibstoffe zu fördern, halte ich für wenig sinnvoll. Besser wäre, Kerosin vernünftig zu besteuern und einen Teil dieser Einnahmen für die Entwicklung strombasierter Kraftstoffe zu verwenden.“

Verlagerung auf die Schiene

Der innerdeutsche Flugverkehr sorgt bei Klimaaktivisten, aber auch Politikern im besonderen Maße für Wut und Unverständnis. Die klimapolitische Sprecherin der Grünen brachte gar ein Verbot ins Spiel. Tatsächlich machten Flüge innerhalb Deutschlands laut BDL 0,3 Prozent aller nationalen CO2-Emissionen aus. Und in den vergangenen 15 Jahren sei die Zahl der innerdeutschen Flüge um 22 Prozent zurückgegangen. Laut Statistischem Bundesamt waren es im Jahr 2017 demnach 299.242 innerdeutsche Flüge. Die gefragteste Flugstrecke war Berlin-München mit 1,66 Millionen Fluggästen (2017). Für einige innerdeutsche Verbindungen empfiehlt BDL-Geschäftsführer Matthias von Randow auch ausdrücklich die Bahn: Sie sei dem Flug in bestimmten Fällen vorzuziehen. Mehr Verlagerung auf die Schiene? „Wir wollen das“, bekräftigte von Randow.

Das entscheidende Kriterium für die Reisenden bei der Wahl des Verkehrsmittels sei weniger der Preis, sondern vielmehr die Reisezeit; die Schwelle liege bei drei Stunden. 96 Prozent aller innerdeutschen Flugreisen sind nach Angaben des BDL über Distanzen von mehr als 400 Kilometern, welche die Bahn im Normalfall nicht in diesem Zeitfenster schaffe. Bei allen Verbindungen, die die Bahn innerhalb dieses Zeitfensters absolviere, zögen die Kunden die Bahn dem Flugzeug vor. So verweist der Verband auf die eingestellten Flugverbindungen zwischen Köln-Nürnberg, Köln-Frankfurt, Berlin-Hamburg oder Berlin-Nürnberg, weil die Bahn auf diesen Strecken entsprechend schnelle Verbindungen schaffte. Doch gibt es unrühmliche Ausnahmen: Mehrmals täglich bedient etwa die Lufthansa die Strecke Nürnberg-München (Flugzeit: 35 Minuten), wofür der ICE nur etwas mehr als eine Stunde benötigt.

Auch außerhalb Deutschlands entdecken Fluggesellschaften die Alternativen: Die niederländische KLM fragt in einer neuen Kampagne namens „Fly responsibly“ ihre Kunden: „Können Sie auch mit dem Zug fahren?“ oder: „Müssen Sie sich immer persönlich treffen?“

Für konkrete Verbesserungen sieht BDL-Geschäftsführer von Randow aber „den Gesetzgeber“ und die Deutsche Bahn in der Pflicht. Er fordert nicht nur schnellere Direktverbindungen (ohne Zwischenstopps in kleineren Städten), sondern auch eine ICE-Anbindung des zweitgrößten deutschen Flughafen München, sowie einen transportübergreifenden Gepäckservice: Der BDL schlägt vor, die Bahn solle die Koffer der Reisenden entsprechend der Sicherheitsanforderungen der Flugindustrie aufnehmen und am Flughafen an die Fluggesellschaften übergeben. Die Bahn lehnte den Vorschlag ab: „Es wäre unsinnig, Anlagen für die Gepäckkontrolle doppelt, das heißt im Bahnhof und im Flughafen, vorzuhalten.“

Die Konferenzteilnehmer in Leipzig dürfte angesichts der zahlreichen Differenzen eine konfliktreiche Diskussion erwarten. Schließlich soll auf der sogar im Koalitionsvertrag vereinbarten Konferenz auch eine „Leipziger Erklärung“ unterzeichnet werden. Doch ein nicht näher genannter Beteiligter der Konferenz, den die Nachrichtenagentur Reuters im Vorfeld zitierte, dürfte die Hoffnungen von Klimaaktivisten klein halten: „Der ganz große Wurf wird nicht verkündet.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%