Neuer Angriff im Wurstmarkt Schweinezucht ohne Antibiotika: Wursthersteller befeuert die Revolution

Hans-Ewald Reinert, Wurstfabrikant aus Versmold, setzt sich für die antibiotikafreie Aufzucht von Schweinen ein. Quelle: imago images

Bisher holte Bärchenwurst-Hersteller Reinert für seine antibiotika-freie Wurst die Schweinehälften aus Dänemark. Nun hat er deutsche Schweinebauern von seinem Konzept überzeugen können und nutzt die allgemeine Stimmungslage. Seine Wurst sei aus antibiotikafreier Aufzucht, aus tierwohlgerechter Offenstallhaltung und von Höfen aus der Region.

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Es klang wie eine Revolution, was Danish Crown, einer der größten europäischen Schweineschlachter, Anfang 2015 verkündete: „Wir wollen Schweine produzieren, die von der Geburt bis zur Schlachtung ohne Antibiotika leben.“ „Opdrat Uden Antibiotika“ heißt das auf Dänisch, zu Deutsch: gezüchtet ohne Antibiotika, kurz goA. Nur erkrankte Tiere werden mit Antibiotika behandelt, so verlangt es das Tierschutzgesetz. Diesen Schweinen werden die Ohrmarken entfernt und sie enden als konventionelle Mastschweine im Schlachthof.

Seit Mitte 2018 kommt das dänische goA-Fleisch auch in Deutschland auf die Teller – als Markenwurst des Herstellers Reinert, der vor allem für seine „Bärchenwurst“ bekannt ist. Reinert-Inhaber Hans-Ewald Reinert verwurstet im westfälischen Versmold den dänischen Rohstoff und bringt ihn unter dem Label „Herzenssache“ mit dem Aufdruck „100 Prozent antibiotikafreie Aufzucht“ in die Kühlregale des Landes.

Damit war Reinert, der mittlerweile mit dem Wettbewerber Kemper zu The Family Butchers (TFB) fusioniert hat, Vorreiter in Deutschland. Doch so richtig in Fahrt kam die Marke nie. Vor wenigen Wochen zog Reinert in einem Gespräch mit der WirtschaftsWoche eine erste Bilanz. „Wir hatten für 2019 ein Umsatzziel von zehn Millionen Euro, erreicht haben wir nur vier Millionen“, sagt Reinert, der nun gemeinsam mit Kemper-Inhaber Wolfgang Kühnl das neue Gemeinschaftsunternehmen TFB führt. Die gute Nachricht: „Wir sind nach zwei Jahren noch im Regal.“ Das mache angesichts von Flopquoten von 90 Prozent im Lebensmittelhandel nach sechs bis zwölf Monaten „Mut für den nächsten Schritt“.

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Den geht Reinert jetzt und stellt das Projekt Herzenssache komplett neu auf. Von Beginn an setzte Reinert ausschließlich auf die Innovation „100 Prozent antibiotikafreie Aufzucht“ als zentrales Unterscheidungsmerkmal zu allen anderen Wettbewerbern. Nun erweitert er das Programm um regionale Aspekte und Tierwohlthemen unter Einbezug der gesamten Wertschöpfungskette. Die wichtigste Änderung dabei: Die goA-Schweine kommen nicht mehr aus Dänemark, sondern aus Deutschland. „Wir haben in Kooperation mit dem Schlachthof Brand in Lohne bei Oldenburg Landwirte aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachen überzeugen können, mit uns gemeinsam das Herzenssache-Konzept zu erweitern“, sagt Reinert. Dies sei, ein Zusammenschluss von Partnern, denen handwerklich hochwertige Qualität, Tierwohl und Nachhaltigkeit sowie faire Partnerschaft wichtig sind, sagt der Unternehmer. Einen Namen für die beteiligten Partner hat Marketing-Profi Reinert auch gleich parat: „Reinerts Genuss-Genossenschaft“.
Bei den Genuss-Genossen handelt es sich laut Reinert um sieben landwirtschaftliche Betriebe mit 200 bis maximal 4000 Mastplätzen. Im ersten Halbjahr habe Reinert rund 70 Tonnen dänisches goA-Fleisch verwurstet. Diese Menge soll nun durch Schweine aus den sieben deutschen Schweineställen ersetzt werden.

Um dies zu ermöglichen, habe TFB die Rahmenbedingungen geschaffen, welche die Landwirte bei der Umsetzung einer tierwohlgerechteren Offenstallhaltung absichern. Dazu haben Reinert und Kemper-Inhaber Kühnl ein Modell entwickelt, bei dem TFB, der Schlachthof Brand und die Landwirte für jedes produzierte Kilogramm einen Betrag in einen Topf zahlen. Falls die antibiotikafreie Aufzucht der Tiere nicht gelingt, bekommt der Landwirt einen Betrag als Ausgleich dafür, dass ein oder mehrere Tiere konventionell vermarktet werden müssen. „Dies sichert die Betriebe ab und verringert das persönliche Risiko der Landwirte“, erklärt Reinert. Geplant sei, die Zusammenarbeit kontinuierlich auszubauen und entsprechend der Nachfrage fortlaufend weitere Landwirte in das Herzenssache-Programm zu involvieren.


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„Um das neue Konzept „Herzenssache 2.0“ auch visuell aufzugreifen, bekommt die Verpackung ab Januar 2021 einen neuen Look“, sagt Reinert. Darauf seien die Vorteile für Verbraucher auf einen Blick sichtbar: 100 Prozent antibiotikafrei aufgezogen, tierwohlgerechtere Offenstallhaltung, von Höfen aus der Region. Ab Januar werde „Herzenssache 2.0“ im Handel erhältlich sein. „Die Gespräche laufen aktuell sehr erfolgreich an“, sagt Reinert. Das Sortiment umfasse zunächst Kochschinken natur, Backschinken, Salami, Mortadella, Schinkenwurst und Graved Lachsschinken. Zudem seien in der Saison Bratwurst-Varianten geplant.

Mehr zum Thema: Die Wursthersteller Reinert und Kemper fusionieren zum neuen Branchenriesen The Family Butchers - kann das gut gehen?

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