Neuer Thyssenkrupp-Chef López Willkommen im Stahlgewitter!

Miguel Ángel López Borrego, der neue Chef des Salzgitter-Konkurrenten Thyssenkrupp. Quelle: imago images

Martina Merz ist Geschichte, jetzt beginnt bei Thyssenkrupp die Zeit von Miguel López. Wird das nur eine Episode? Oder eine Ära? An diesen fünf Punkten wird sich der neue Chef messen lassen müssen. Robert Habeck immerhin sendet eine ermutigende Botschaft.

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Am Mittwochabend hat Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck einen führenden deutschen Stahlkonzern besucht, gemeinsam mit EU-Kommissarin Kadri Simson. Die beiden kamen, um sich zeigen zu lassen, wie der Konzern künftig Rohstahl im klimaneutralen Direktreduktionsverfahren produzieren will – gesponsert von Land und Bund, mit Brüsseler Erlaubnis. Die beiden waren in – Salzgitter in Niedersachsen, bei der Salzgitter AG.

1. Show me the money

Allein dieser Besuch beschreibt das erste, akute Problem, mit dem sich Miguel Ángel López Borrego, der neue Chef des Salzgitter-Konkurrenten Thyssenkrupp, konfrontiert sieht: Heute fängt López in Essen an und hinkt gleich hinterher – bei der Zukunftsstory der so wichtigen Stahlsparte Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE). Anders als die Salzgitter AG hat Thyssenkrupp den Förderbescheid der Bundesregierung für die Direktreduktionsanlage, die für das Duisburger Stahlwerk geplant ist, noch nicht erhalten.

Die EU-Kommission hat die Fördersumme der Bundesregierung noch nicht abgesegnet – bis auf Weiteres steht deshalb fast alles auf Pause. Zwar hat das Land Nordrhein-Westfalen bereits beschlossen, rund 700 Millionen Euro zu dem Zwei-Milliarden-Euro-Projekt zuzuschießen. Mit Hilfen aus Berlin zwischen einer Milliarde und 1,3 Milliarden Euro wird fest gerechnet. Aber ohne das Okay der mächtigen Brüsseler geht nichts. 

Für die Thyssenkrupp AG ist das ein erhebliches Problem, denn mit einer Art Sondererlaubnis hat sie den Auftrag für den Bau der Anlage schon vergeben – an die deutsche SMS Group. Anfang März, am Geburtstag von López-Vorgängerin Martina Merz, haben sie die Auftragsvergabe in Anwesenheit von Hendrik Wüst, dem Ministerpräsidenten aus Düsseldorf, groß gefeiert.

Nun ist die Unruhe groß. Wie lange dauert das Brüsseler Okay noch? Wie hoch ist die Fördersumme am Ende? Und wie lange können wir noch warten? Vor wenigen Tagen haben die Arbeitnehmer bei Thyssenkrupp in einem offenen Brief an Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) Alarm geschlagen. Sie warnen, dass das ganze Projekt gekippt werden könnte, wenn die Förderung bis zu einer Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats Ende Juni nicht unter Dach und Fach sei.

Für den 14. Juni haben die Gewerkschafter Robert Habeck zu einem Aktionstag nach Duisburg eingeladen. Es soll der Tag der Wahrheit werden. So baut man Druck auf. Miguel López hat mit der Entscheidung für die Anlage und dem Antrag zunächst nichts zu tun – aber er muss sich schon in den ersten Amtstagen mit der Politik in Berlin und Brüssel kurzschließen, um das Geld für die Duisburger Anlage rechtzeitig bewilligt zu bekommen. Ein Kippen der DRI-Anlage wäre für ihn ein desaströser Start.

2. Wie halten Sie’s mit der Strategie?

López' zweite große Aufgabe ist es, sich eine Konzernstrategie öffentlich zu eigen zu machen. Martina Merz hatte die Strategie verfolgt, aus Thyssenkrupp eine „Group of Companies“ zu formen, eine Art Holding mit Kerngeschäften innerhalb des Unternehmens. Die Strategie sah auch vor, andere Geschäfte zu verselbstständigen, mit sogenannten „flexiblen Eigentümerstrukturen“. Übersetzt bedeutete das vor allem: Merz wollte die Stahlsparte loswerden, die Elektrolyseur-Sparte Nucera an die Börse bringen und die Schiffbausparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) ebenfalls verkaufen. Geklappt hat davon bislang nichts. 

Deshalb musste Merz nach Ostern gehen. Teile der Arbeitnehmervertreter haben darauf gedrungen, einen Strategiewechsel zu vollziehen und die Stahlsparte strategisch wieder in das Zentrum des Unternehmens zu rücken. López' Mission – das hat der Aufsichtsrat eindeutig formuliert – ist es, Merz' Strategie nun besser umzusetzen. Zu diesem Auftrag muss er sich zügig bekennen, um die Zweifler in den eigenen Reihen an Merz' Plänen zumindest vorerst zurückzuweisen.

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3. Und? Wer soll den Stahl kaufen?

Damit das gelingt, muss López schnell Fortschritte bei der Verselbstständigung der Stahlsparte erzielen. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Am Umgang mit dem Stahl hängt die Zukunftsfähigkeit Thyssenkrupps, ob außerhalb oder innerhalb des Unternehmens. Selbst wenn der Bund die Direktreduktionsanlage wie geplant fördert, muss López einen Käufer finden, der auch die starke Arbeitnehmerseite überzeugt. Hier steht López vor exakt denselben Problemen wie Merz – und konjunkturell ist die Lage eher angespannter. Höhere Energiekosten und gleichzeitig gesunkene Stahlpreise haben im ersten Quartal des Jahres auf das Ergebnis gedrückt, auch wenn es Anzeichen der Besserung beim immer noch negativen Cashflow gab.



Intern heißt es, Lopez habe bei seiner inoffiziellen Stabübergabe mit Merz Mitte Mai in einem Videocall mit Führungskräften klare Ansagen gemacht. Die Zeit der Ausreden sei vorbei, sagte er sinngemäß. Nun komme es auf Performance an. Dabei trifft Lopez auf einen gehörigen Misstrauensvorschuss. Zwar gilt der Ex-Siemens-Manager als versierter Finanzmann. Sanierungsexpertise aber hat er in seinen zwei Jahrzehnten bei Siemens kaum bewiesen. Abgesehen von den vergangenen Monaten, in denen er den Autozulieferer Norma interimistisch führte, stand er auch noch nie an der Spitze eines Unternehmens, schon gar nicht eines so politisch brisanten Unternehmens wie Thyssenkrupp.

4. Wie geht Fortschritt in der Schlangengrube?

Das ist die vierte, die vielleicht größte Herausforderung des Spitzenmanagers: Sein Job ist hoch politisch. Thyssenkrupps Bedeutung mag in den vergangenen Jahren nachgelassen haben. Die Strahlkraft des Namens hat in den vergangenen Jahren ohnehin gelitten, das sündhaft teure Amerikaabenteuer hat den Ruf ramponiert. Dennoch steht Thyssenkrupp für das Wohl und Wehe einer ganzen Region, für Zehntausende Arbeitsplätze.

Nicht ohne Grund unternimmt NRW-Landeschef Wüst alles, um es sich auch bei den Thyssenkrupp-Beschäftigten nicht zu verscherzen. Mit Berliner Stimmungen, mit Brüsseler Skepsis, mit volatilen Märkten müssen derzeit fast alle Manager jonglieren. Aber bei Thyssenkrupp, das lange die deutsche Industrie ähnlich symbolisierte wie die Deutsche Bank das deutsche Finanzwesen, ist alles noch einmal komplizierter – und bedeutsamer. Genau genommen, ist Thyssenkrupp eine Schlangengrube. Wer sich dort hineinwagt, muss sich auf Stahlgewitter einstellen. Das haben die Arbeitnehmer allein durch ihren offenen Brief an Robert Habeck demonstriert. Der enthielt, en passant, auch eine Nachricht an den neuen Chef: Pass‘ auf, sonst wird hier gebissen.

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5. Können Sie liefern?

So könnte es López helfen, wenn es ihm gelänge, schnell greifbare Erfolge vorzuweisen. Der Börsengang des Elektrolyseur-Herstellers Nucera etwa stehe bevor, hieß es vor Kurzem, auch beim Verkauf der Schiffbausparte Thyssenkrupp Marine Systems mache man deutliche Fortschritte.
Merz, das ist López' Memento Mori, ist daran gescheitert, dass sie keinen Teil ihrer großen Strategie umsetzen konnte. López muss das im Turboverfahren ändern. Hat er Glück, besucht Robert Habeck bald auch ihn. In Salzgitter jedenfalls sagte Habeck mit Blick auf den Förderbescheid für Thyssenkrupp: "Es liegt nicht am Willen der Bundesregierung oder am Geld. Wir haben mit Thyssenkrupp sehr intensiv gearbeitet. Wir haben das Geld reserviert, alles steht bereit." Geklärt werden müsse die Notifizierung durch die Europäischen Union. Aber Habeck sagte auch: "Ich bin eigentlich ganz positiv, dass wir mit einem nachgeschärften Konzept bald die Freigabe der Europäischen Kommission bekommen. Ich kann nicht versprechen, dass die zu dem gewünschten Datum da ist. Aber wir arbeiten darauf hin. Wir wissen, dass dort Aufsichtsräte tagen." Er könne für die Bundesregierung und "für mich persönlich" sagen: Es liegt nicht am Unwillen, es liegt nicht am Geld. "Insofern hoffe ich, dass wir das alles jetzt ähnlich erfolgreich auf das Gleis setzen können, wie es hier bei Salzgitter funktioniert hat.Es sind Worte, über die sich auch López in Essen freuen dürfte.

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