Neues Prüfverfahren für Abgase Der WLTP-Zuschlag – warum die Kfz-Steuer für viele teurer wird

Ab Samstag werden die Messverfahren für Abgase und Verbrauch strenger. Das hat Konsequenzen für Autofahrer.

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Der WLTP-Zuschlag – warum die Kfz-Steuer für viele teurer wird Quelle: Daimler AG

Düsseldorf Der Finanzminister kann sich freuen – viele Autofahrer nicht. Denn für neu zugelassene Wagen steigt bei vielen Modellen vom 1. September an die Kfz-Steuer. Das liegt an dem neuen, realitätsnäheren Abgastest WLTP. Es ist eine Abkürzung, die viele Autofahrer nun kennenlernen dürften.

WLTP steht für „Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure“. Der neue europaweite Standard ist ein Messverfahren, das für realistischere Werte bei den Schadstoffemissionen sowie beim Verbrauch sorgen soll. Die Untersuchungen sind gründlicher als im bisherigen Verfahren NEFZ. Von diesem Samstag an dürfen nur noch Autos neu zugelassen werden, die den neuen Prüfstandard durchlaufen haben. Die wichtigsten Antworten zu den neuen Regeln:

Was ändert sich?

Die WLTP- und RDE-Tests sind in der EU ab 1. September vorgeschrieben für jedes Automodell und jeden Motortyp, den ein Hersteller ganz neu auf den Markt bringt.

  • WLTP steht für „Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure“ und meint einen neuen, international einheitlichen Standard für Abgas-Labortests.
  • RDE steht für „Real Driving Emissions“ und meint Abgastests auf der Straße.

Zunächst ist ab dem 1. September 2018 für sämtliche Neuzulassungen der neue Labortest, ab September 2019 dann auch der Straßentest vorgeschrieben.

Was heißt das für Autofahrer?

Für bereits zugelassene Fahrzeuge ändert sich gar nichts. Ab dem 1. September 2018 gelten die neuen Regeln nur für die Typzulassung – also wenn ein Autobauer ein neues Modell auf die Straße bringen will, benötigt er diese Genehmigung, die ihm bescheinigt, dass der Wagen die gültigen Regelungen einhält.

Für Kunden, die ab dem 1. September einen Neuwagen kaufen, wird es jedoch möglicherweise teurer: Für den gleichen Neuwagen wird unter Umständen eine höhere Kfz-Steuer fällig. Denn mit diesem Stichtag wird der Verbrauch und der Kohlendioxid-Ausstoß für alle neu zugelassenen Autos nach dem neuen Testzyklus gemessen, bei dem schneller und dynamischer gefahren wird. Und das bedeutet oft mehr Verbrauch, mehr Kohlendioxid (CO2), mehr Kfz-Steuer.

Nach ADAC-Rechnungen steigt die Kfz-Steuer für einzelne Modelle um mehr als 70 Prozent. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Center an der Uni Duisburg-Essen sagt, gängigen Prognosen zufolge sei beim WLTP-Test mit einem 20 Prozent höheren Treibstoffverbrauch und damit 20 Prozent höheren Werten beim Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxid (CO2) zu rechnen. Dudenhöffer erwartet im Durchschnitt 50 Euro mehr Kfz-Steuer. Der Fiskus darf sich freuen: Branchenexperte rechnet mit Steuermehreinnahmen von rund 170 Millionen Euro im Jahr.

Kommt es zu Lieferengpässen?

Die Mehreinnahmen für den Staat werden erst nach und nach wirksam werden. Denn bei Autobauern kommt es wegen der Umstellung auf WLTP derzeit zu Lieferengpässen, vor allem beim VW-Konzern. Die Hersteller müssen Modelle unter den schärferen Bedingungen neu zertifizieren lassen – alleine bei VW müssen mehr als 260 Getriebe-Motorkombinationen neu gemessen und zugelassen werden. VW musste wegen fehlender Zulassungen für Neuwagen riesige Parkplatzflächen mieten – zum Beispiel am künftigen, aber immer noch nicht fertigen Hauptstadtflughafen BER. Experten rechnen damit, dass der deutsche Automarkt durch WTLP im zweiten Halbjahr deutlich gebremst wird.

Was ist so schlecht am bisherigen NEFZ-Test?

Die Autokonzerne müssen für die Zulassung ihrer neuen Fahrzeuge nachweisen, dass sie alle Grenzwerte auf einem Prüfstand einhalten. Bei dem seit 1996 gesetzlich vorgeschriebenen NEFZ-Test („Neuer europäischer Fahrzyklus“) werden vier Kilometer Fahrt durch die Innenstadt mit „Stop-and-go“ simuliert, gefolgt von sieben Kilometern außerorts. Vom Motoröl bis zu den Reifen ist jedes Detail vorgegeben. Aber der vorgeschriebene Fahrstil ist realitätsfern: Sehr langsame Beschleunigung, Durchschnittstempo von 34 km/h, Höchstgeschwindigkeit 120 km/h für zehn Sekunden, ohne Radio, Klimaanlage oder Sitzheizung. Autofahrer wie Umweltschützer beklagten, dass Verbrauch und Emissionen auf der Straße viel höher sind. Laut Umweltbundesamt ist der Unterschied vor allem bei Dieselautos beim Stickoxid enorm.

Was ändert sich mit den beiden neuen Tests?

Der neue WLTP-Test auf dem Rollenstand simuliert eine doppelt so lange Fahrt, mit mehr Beschleunigungen, mehr Tempo – viel realitätsnäher. Auch Sonderausstattungen werden berücksichtigt. Und zum ersten Mal wird die Messung auf dem Prüfstand ergänzt durch eine Messung direkt auf der Straße. „Das ist einmalig. Das gibt es weder in Asien noch in den USA“, sagt Eckehart Rotter, Sprecher des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Bei diesem sogenannten RDE-Test muss kein fester Fahrzyklus eingehalten werden, der Tester kann jede Strecke fahren, Beschleunigung, Außentemperatur, Windverhältnisse und Verkehrslage sind beliebig. Zur Messung werden mobile Apparate am Auspuff montiert.

Müssen die Ergebnisse des Straßentests mit dem Prüfstandswert übereinstimmen?

Nein, vorerst nicht. Auf dem Rollenprüfstand darf ein Auto höchstens 80 Milligramm Stickoxid je Kilometer ausstoßen – dieser Wert gilt schon seit langem. Über den sogenannten Konformitätsfaktor wird festgelegt, wie viel der Messwert auf der Straße über dem des Prüfstands liegen darf. Zum ersten Mal existiert also ein Grenzwert für die Straße. Aktuell liegt dieser Faktor bei 2,1 – das Auto darf im RDE-Test höchstens 168 Milligramm Stickoxid ausstoßen. Ab 2020 sinkt der Faktor auf 1,5, sprich 120 Milligramm Stickoxid pro Kilometer. Diese Faktoren haben allerdings keine echte technologische Grundlage, sie sind vielmehr das Ergebnis politischer Verhandlungen – zwischen 1,0 (also gleiche Grenzwerte für Straße und Prüfstand) und 3,0 (also 240 Milligramm auf der Straße) sind auf EU-Ebene viele Varianten diskutiert worden.

Wer prüft, ob die Grenzwerte eingehalten werden?

Die deutschen Autohersteller lassen ihre Autos vom Tüv, der Dekra oder einem anderen vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) zugelassenen Institut testen. Mitunter sind KBA-Mitarbeiter bei den Tests dabei. Das KBA erteilt dann die europaweite Typzulassung.

Sind die Messwerte im Labor und auf der Straße jetzt identisch?

Nein. Fahrweise, Verkehrsfluss und Wetter beeinflussen Verbrauch und Emissionen stark, erklärt der ADAC. Die Fahrweise hat dabei den größten Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch und kann zu Aufschlägen von bis zu 20 Prozent führen. Die Bandbreite all dieser Faktoren kann aber auch im WLTP nicht umfassend berücksichtigt werden, weil nur ein standardisiertes Messverfahren Reproduzierbarkeit und damit Vergleichbarkeit sicherstellt. Aber die neuen Messwerte sind näher am Alltag. „Die ganze Debatte, die wir seit zwei Jahren führen, wird damit beendet“, sagt VDA-Mann Rotter.

Sind die neuen Tests die politische Reaktion auf den Abgasskandal?

Nein. WLTP und RDE wurden bereits vor dem Bekanntwerden der Abgasmanipulationen bei VW beschlossen und sind daher unabhängig vom Dieselskandal zu sehen. Einzig die Konformitätsfaktoren waren vor dem September 2015 noch nicht final ausgehandelt. Das sollte eigentlich in kleinen Runden auf EU-Arbeitsebene geschehen. Wegen des Skandals kam dem Gremium aber eine unerwartete öffentliche Aufmerksamkeit zu.

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