Ökologische Plastikflasche? Der Streit um die Einwegflasche ist entbrannt – und Günther Jauch mittendrin

Pressefoto der Lidl-Kampagne mit Günther Jauch. Quelle: Presse

Einwegplastikflaschen sind in ihrer Ökobilanz umstritten. Nun wollen Berlin und Brüssel die Flaschenflut eindämmen. Discounter Lidl startet eine Verteidigungskampagne mit Günther Jauch – der muss nun Kritik einstecken.

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In den Videos sieht Günther Jauch noch ganz glücklich aus mit der Einwegflasche in der Hand. „Auf dieser Seite zeigen wir, wieso ausgerechnet die Einwegflasche eine der ökologischsten Flaschen sein soll“, sagt er, gestikuliert dabei mit der grünlichen 1,5-Liter-Flasche. „Es lohnt sich, manchmal etwas genauer hinzusehen.“

Die Homepage, die Werbevideos und Anzeigen sind Teil einer groß angelegten Werbekampagne des Discounters Lidl. Der verkauft in der grünlichen Flasche etwa Wasser seiner Marke Saskia, Lidl selbst spricht von der „Kreislaufflasche“. Nun wird eben diese Flasche Gegenstand eines Streits, der sich weit über Handel und Getränkeindustrie hinaus erstreckt.

Die Einwegplastikflasche ist das vielleicht umstrittenste Plastikprodukt – gleich nach der Plastiktüte. In den vergangenen Jahren haben Regierungen weltweit beschlossen, Plastiktüten zu verbannen oder zumindest mit Gebühren zu belegen. Nun könnte die Einweggetränkeflasche das nächste Produkt werden, das in den Mittelpunkt der politischen Debatte rückt.

Die Einwegplastikflasche soll umweltfreundlicher, aber vor allem auch seltener werden. So müssen Getränkehersteller ab 2025 bereits 25 Prozent Recyclingmaterial in ihren Plastikflaschen einsetzen. Und: Politiker in Brüssel und Berlin wollen Mehrweg zur Pflicht machen.

Zwar gibt es in Deutschland bereits eine gesetzliche Zielquote, nachdem 70 Prozent der Getränke in Mehrwegverpackungen verkauft werden sollen. Doch Handel und Getränkeindustrie reißen die Quote regelmäßig – ohne dass das Konsequenzen hat. Nun diskutieren die Entscheider in Brüssel und Berlin über strengere Mehrwegquoten und sogar Strafzahlungen.

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Viele Unternehmen versuchen daher ihre Geschäfte – und die Plastikflasche – zu schützen. Ganz besonders gilt das für Lidl. Der Discounter gehört wie Kaufland zur Schwarz Gruppe. Schwarz hat in den vergangenen Jahren sein eigenes Entsorgungs- und Recyclingunternehmen aufgebaut, PreZero. Das Unternehmen sammelt nicht nur Abfälle und Pfandflaschen, sondern recycelt sie auch und verkauft dieses Material weiter. Schwarz hat so Milliarden von Euro investiert, um sich Zugriff auf die Einwegplastikflaschen und damit auch auf Recyclingmaterial zu sichern. Mehrwegpflicht und Flaschenstreit stellen diese Investitionen nun in Frage.

Die Schwarz Gruppe hat deshalb nicht nur Günther Jauch engagiert, sondern auch eine Studie in Auftrag gegeben. Die soll zeigen, dass Einwegflaschen nicht so umweltschädlich sind, wie bisher angenommen. Demnach verursacht eine 1,5-Liter-Flasche aus hundert Prozent Recyclingmaterial nur 33 Kilogramm CO2-Emissionen. Die 0,7-Liter-Glasmehrwegflasche komme auf 61 Kilogramm CO2. „Eine der ökologischsten Flaschen“, schlussfolgert Lidl.

Allerdings zeigt die Studie auch: Nur die großen Flaschen haben solche Vorteile. Die 0,5-Liter-Einwegflasche schneidet deutlich schlechter ab als die 1-Liter-Mehrwegflasche. Auch die Glas-Mehrwegflaschen mit 0,7 Litern ist in einigen Punkten besser.

Methodisch wirft die Untersuchung einige Fragen auf. Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert: Die Studie sei „Greenwashing“, „vergleiche Äpfel mit Birnen.“ Lidl habe für die Berechnungen für die Einwegflasche die eigenen, aktuellen Daten herangezogen. Auf andere Unternehmen lassen die sich nicht übertragen. Für die Bilanz der Mehrwegflaschen aber zogen die Wissenschaftler Daten aus dem gesamten Markt heran, „die teils vor mehr als zehn Jahren erhoben worden sind“, betont die Deutsche Umwelthilfe.

Lidl streitet nicht ab, dass die Daten zu Mehrweg teils veraltet sind. „Die Unternehmen der Schwarz Gruppe fordern bereits seit vielen Jahren neue Ökobilanzen für Getränkeverpackungen“, heißt es in einem Faktencheck, den Lidl mittlerweile veröffentlicht hat. Lidl habe nun eine Ökobilanz vorgelegt, um die Behauptungen zur ökologischen Auswirkung der Verpackung überprüfbar zumachen „und fordert andere Marktbegleiter auf, dies ebenfalls zu tun.“

Trotzdem sorgt die Werbekampagne mit Jauch für Debatten. „Wir warnen Verbraucherinnen und Verbraucher davor, auf die Werbekampagne von Lidl hereinzufallen“, wird Barbara Metz, die Geschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe, deutlich. „Wir fordern Günther Jauch auf, sich von dieser Einwegplastik-Kampagne zu distanzieren.“

Doch der Moderator steht zu seinem Werbepartner. Den Vorwurf des Greenwashings weist Jauch zurück, die Plastikeinwegflasche sei eine „ökologische Getränkeverpackung, zu der es allerdings noch Aufklärungsbedarf gibt“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Was Jauch nicht thematisiert: Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Industrie so um die Einwegflaschen kämpft. Die Plastikflaschen aus dem Kunststoff PET sind außerdem ein begehrter Rohstoff für die Recyclingindustrie. 97 Prozent der Flaschen in Deutschland werden über die Pfandautomaten auch wieder eingesammelt, das Material ist damit wesentlich sortenreiner und sauberer als der Mischmasch an Plastikverpackungen aus dem gelben Sack. Weil die Kunststoffe aus dem gelben Sack außerdem mit Schadstoffen in Kontakt kommen könnten, dürfen sie auch nach dem Recycling nicht mit der Haut oder gar Nahrungsmitteln in Kontakt kommen – die PET-Flaschen sehr wohl. Die Flaschen sind transparent, lassen sich deshalb anders als etwa schwarze PET-Schalen wieder in jede beliebige Form und Farbe umwandeln. Selbst Polyestergarne für die Modeindustrie lassen sich aus den PET-Flaschen spinnen.

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Dass eine Flasche so wie in der Lidl-Werbung wieder zu einer Flasche wird, ist deshalb eher die Ausnahme als die Regel. Tatsächlich werden heute nur etwa 45 Prozent der Einwegflaschen wieder zu einer neuen Flasche, zeigt eine Studie im Auftrag von Coca-Cola. „Aktuell gehen in Deutschland 55 Prozent der Einwegpfandflaschen in einem Downcycling verloren. Das Material wird zu Textilien, zu Autoreifen, zur Putzmittelflasche oder Kosmetikverpackung“, sagt Tilman Rothhammer, Mitglied der Geschäftsführung des Coca-Cola-Abfüllers CCEP in Deutschland. Das PET in diesen Produkten lässt sich nicht mehr zu Getränkeflaschen recyceln. „Für den Kreislauf ist es dann verloren, der Großteil landet in der Verbrennung.“

Der Wettbewerb um den begehrten Recyclingrohstoff treibt auch die Preise. „Wir zahlen doppelt so viel für das recycelte PET wie für Neuplastik. Der Kampf um dieses Material wird immer heftiger“, sagte Rothhammer. „In unseren großen PET-Flaschen setzen wir aktuell noch kaum Rezyklat ein, weil wir gar nicht genug Material bekommen.“ Der Getränkeabfüller fordert deshalb: „Wenn eine Flasche wieder zur Flasche werden soll, dann müssen die Getränkehersteller das recycelte Flaschenmaterial auch bevorzugt kaufen dürfen.“

Eine solche Regelung träfe auch Lidl. Denn der Händler hat bisher die Macht über die Pfandflaschen, die an seinen Automaten zurückgegeben werden – und setzt sie zum Beispiel für die Saskia-Flasche ein, die Jauch bewirbt. Denn selbst wenn Lidl so viel Rezyklat wie möglich einsetzt, beim Recycling gibt es immer einen Materialverlust. Laut Deutscher Umwelthilfe liegt der bei bis zu fünf Prozent. Die Getränkehersteller brauchen deshalb mehr Flaschen, als sie daraus wieder herstellen können. Lidl bediene sich bei „anderen Marktakteuren und bezieht von ihnen alte Einweg-Plastikflaschen“, sagt Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft von der Deutschen Umwelthilfe. Der Konkurrenz bleibe daher nichts anderes übrig, als auf Neuplastik aus Erdöl oder Erdgas zurückzugreifen. „Der angebliche 100-Prozent-Recyclingkreislauf von Lidl wird so zur Farce.“

Laut Lidl bestehen die Kreislaufflaschen aus den bei „Lidl und Kaufland zurückgegebenen gebrauchten Einwegflaschen“. Dazu gehören „auch Flaschen anderer Hersteller.“ Von einer Farce will der Discounter jedoch nichts wissen. Schließlich müssen auch bei den Mehrwegsystemen alte Flaschen durch neue ersetzt werden, die Studie berücksichtige diese Materialzuflüsse.

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Trotzdem, Mehrweg habe eindeutige Vorteile, auch gegenüber der „Kreislaufflasche“, heißt es bei der Umwelthilfe. Zwar sind Mehrwegflaschen aus Glas und auch aus Plastik schwerer, die Ökobilanz hängt auch von der Transportdistanz ab, die die Flaschen zurücklegen müssen, bis sie gewaschen und wieder befüllt werden müssen. Bei regionalen Mehrwegsystemen falle das jedoch nicht so sehr ins Gewicht. Und in Zukunft könnte die Bilanz der Mehrweg-Flaschen noch besser werden, wenn etwa im Verkehr weniger Emissionen anfallen.

Für Lidl spielt das bisher keine Rolle. Als die Deutsche Umwelthilfe im vergangenen Jahr das Angebot der Lidl-Filialen ins Auge nahm, fand sie darin keine einzige Mehrwegflasche.

Lesen Sie auch: Mehrweg boomt. Doch viele Systeme scheitern schnell.

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