Öl- und Gaskonzerne unter Druck Russlands Krise trifft den deutschen Mittelstand

Die Krise der russischen Öl- und Gaskonzerne durch den abgestürzten Ölpreis bremst deren Investitionen – und trifft so auch deutsche mittelständische Zulieferer.

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Welchen Staaten der niedrige Ölpreis besonders schadet
Erdölförderung Quelle: dpa
Ölförderung in Saudi-Arabien Quelle: REUTERS
Ölförderung in Russland Quelle: REUTERS
Oman Ölpreis Quelle: Richard Bartz - eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons
Öl-Leitung im Niger-Delta Quelle: dpa
Ölförderpumpe in Bahrain Quelle: AP
Venezuela Ölförderung Quelle: REUTERS

Wie eine Trotzreaktion wirkte es, als Russlands Präsident Wladimir Putin Anfang vergangener Woche ein Prestigeprojekt seines Landes beerdigte. Er mokierte sich über die Europäische Union, die der 24 Milliarden Euro teuren Pipeline „South Stream“ Steine in den Weg lege, und wetterte gegen die Bulgaren, deren Regierung sich einer von Brüssel forcierten Baublockade fügte.

Jetzt werde man das Projekt „überprüfen“, warnte der Premier auf Staatsbesuch in der Türkei beinahe harmlos. Bis Gazprom-Chef Alexej Miller am selben Abend glasklar erklärte: Das Projekt „South Stream“ sei beendet.

Preistief beim Schwarzen Gold

Neben dem politischen Gezänk gibt es für das Aus des gigantischen Pipelinebaus im Schwarzen Meer aber noch handfestere Gründe: Energieriese Gazprom droht sich finanziell zu übernehmen. Im Herbst startete der Staatskonzern den Bau des 50 Milliarden Euro teuren Leitungsnetzes „Kraft Sibiriens“. Die Röhren sollen von 2018 an Gas zum neuen Großkunden China leiten – zusätzlich zum Europageschäft.

Die Diversifizierung hat politische Priorität für Moskau. So sei Sibiriens Kraft zum Sargnagel für „South Stream“ geworden, sagt Fares Kilzie von der Beratung Creon Energy in Moskau. „Gazprom kann bei der momentanen Wirtschaftslage unmöglich zwei teure Pipeline-Projekte stemmen.“ Dazu trägt auch der auf 70 Dollar pro Fass abgestürzte Ölpreis bei: An diesen ist der Gaspreis in vielen Lieferverträgen gekoppelt.

Das Preistief beim Schwarzen Gold bereitet nicht nur Marktführer Gazprom Probleme, sondern der ganzen russischen Rohstoffwirtschaft, wo ein sinkender Rubel die ohnehin gewaltigen Schuldenberge wachsen lässt. Schon rufen die ersten Konzerne nach dem Staat, denn den Controllern dämmert es: Ohne Finanzhilfen werden viele diese Krise nicht überstehen.

Marktmacht ausgenutzt

Es kommt einfach zu viel zusammen: ein niedriger Ölpreis, der Rubel, der binnen Jahresfrist gegenüber dem Dollar fast die Hälfte an Wert verloren hat, das miserable Investitionsklima in Putins Russland, Sanktionen des Westens.

Das verhagelt die Bilanzen privater wie staatlicher Öl- und Gaskonzerne, deren Börsenkurse seit der Krim-Annexion im März ohnehin schon auf Talfahrt sind. Die Unternehmen tragen an den Lasten der Krise schwerer als der Staat: Ein sinkender Ölpreis lässt ihre Einnahmen in Dollar schrumpfen, die Steuern müssen sie dagegen in Rubel zahlen. Die Staatseinnahmen bleiben somit stabil.

In der Öl- und Gaswirtschaft ist derweil absehbar, dass Investitionen zum Erliegen kommen. Trotz Forderungen zunehmend nationalistischer Politiker, russische Unternehmen sollten auf heimische Technologien zurückgreifen: Sie sind auf Ölfeldern, bei der Gasförderung oder dessen Transport für längere Zeit ausländischen Technologien ausgeliefert. Denn es fehlt oft an russischen Lösungen und Equipment. Zubehör und Dienstleistungen müssen somit teuer in Dollar eingekauft werden.

Deutsche Mittelständler stehen vor schwierigen Zeiten

Folgerichtig streichen gerade Ölkonzerne, die in Russland viel höhere Steuerlasten tragen als die staatlich gepäppelten Gasförderer, ihre Investitionsprojekte zusammen.

Die Konsequenzen bekommt auch der deutsche Mittelstand zu spüren: „Viele hoch spezialisierte deutsche Zulieferer beliefern die russische Öl- und Gasindustrie mit Messtechnik oder Kompressoren“, sagt Bernd Hones von Germany Trade and Invest in Moskau, einer Gesellschaft für Außenwirtschaftsinformationen. „Sie stehen vor einer schwierigen Zeit, da viele russische Unternehmen für Investitionen kein Geld mehr haben.“

Insbesondere auf Rosneft sind die Zulieferer nicht besonders gut zu sprechen. „Die schicken uns Serienbriefe, in denen sie auf die guten Geschäfte verweisen, die wir mit Rosneft in der Vergangenheit gemacht haben“, erzählt ein Ölfeld-Ausrüster. „Danach bitten sie uns, bei der Abrechnung Abstriche von 15 Prozent aufwärts zu machen.“

So höflich es formuliert ist – für den deutschen Zulieferer ist das Erpressung: „Sie nutzen ihre Marktmacht aus und nehmen in Kauf, dass Lieferanten die Preise nicht mitgehen können und kaputt gehen.“

Panik unter den Unternehmen

Kein Wunder. Denn Panik greift um sich am Sofien-Ufer nahe der Kremlmauer, wo Rosneft in einem versteckten Altbau seinen Sitz hat. Russlands staatlicher Ölgigant, der pro Tag 4,2 Millionen Barrel fördert, das sind fünf Prozent der Weltproduktion, steckt in einer Existenzkrise.

Konzernchef Igor Setschin wollte schnell wachsen, hat sich aber mit teuren Zukäufen übernommen. Im naiven Vertrauen auf pure Größe kaufte der Putin-Buddy im Frühjahr 2013 den privaten russischen Ölkonzern TNK-BP – für 55 Milliarden Dollar, überwiegend auf Pump. Heute trägt der Konzern schwer an einem Schuldenberg von rund 60 Milliarden Dollar, der drei Vierteln des Jahresumsatzes von 2013 entspricht.

Mehr als die Hälfte der Verbindlichkeiten wird bis Ende 2015 fällig – und damit auch zu einem Problem für den britischen Konzern BP, der seit dem Verkauf seiner Beteiligung TNK-BP mit 18,5 Prozent an Rosneft beteiligt ist. Der schwache Rubel lässt deren Dividende von 700 Millionen Dollar im Jahr 2013 jetzt auf weniger als die Hälfte schrumpfen. Durch die Schuldentilgung könnte sie noch weiter sinken.

Dabei hatte Setschin noch hochfliegendere Pläne. Rosneft sollte mithilfe des US-Konzerns ExxonMobile in der Arktis offshore nach Öl bohren. Zudem gab es Pläne für Fracking-Versuche und eine Gasverflüssigungsanlage. Viel ist davon nicht übrig geblieben. Von zehn Projekten, die die Russen mit dem US-Partner geplant hatten, sind neun dem Sanktionsregime Washingtons zum Opfer gefallen.

Einzig auf der Insel Sachalin fördern die beiden Unternehmen weiter Gas, denn auf diese Branche hat der Westen die Sanktionen als Folge von Moskaus aggressiver Ukraine-Politik bislang nicht ausgedehnt. Doch selbst an einfacheren neuen Bohrprojekten auf dem Festland beißt sich der Ölriese mit staatlichem Mehrheitskapital die Zähne aus: „Setschin kriegt keine Kreditlinien mehr für neue Projekte“, sagt ein Geschäftspartner des Konzerns. Zu hoch ist der Schuldenberg, zu wackelig das expansive Geschäftsmodell.

Erlaubnis zum Bedienen am staatlichen Wohlfahrtsfonds

Rosneft ist angezählt – auch wenn das so niemand in Moskau aussprechen würde. Zu mächtig ist Chef Setschin, der den direkten Draht zu Putin hat und einst der Strippenzieher gewesen sein soll, als Rosneft die Filetstücke des zerschlagenen Yukos-Konzerns von Ex-Oligarch Michail Chodorkowski billig einsammeln konnte.

Überstehen wird der Konzern die Krise dennoch. Das Unternehmen hat bereits um Budgethilfen in Höhe von 42 Milliarden Dollar gebeten – und die Erlaubnis bekommen, sich bei Investitionen aus dem staatlichen Wohlfahrtsfonds bedienen zu dürfen. Der diente eigentlich der Diversifizierung der russischen Wirtschaft und sollte für den Aufkauf neuer Technologien im Ausland verwendet werden.

Nun werden die angesparten Milliarden zur Rettung des Dinosauriers der russischen Rohstoffwirtschaft zweckentfremdet. Zugleich hat die russische Regierung angekündigt, Anteile an Rosneft zu veräußern: Putin braucht offenbar liquide Mittel, um das Land durch die Krise zu steuern.

Gazprom ist weniger massiv vom makroökonomischen Desaster betroffen. Zwar folgt der Gaspreis für europäische Endkunden mit sechsmonatiger Verzögerung dem Ölpreis. Doch traditionell muss Russlands Gasmonopolist nur geringe Steuern an den russischen Fiskus entrichten.

Pipeline „Sila Sibiri“

Die Gazprom-Manager stehen allerdings unter dem Druck strategischer Entscheidungen. „Kraft Sibiriens“, die neue Pipeline von der Region Irkutsk bis ins fernöstliche Chabarowsk, muss laut Vertrag bis 2018 betriebsbereit sein.

„Es ist kaum möglich, den Zeitplan einzuhalten“, glaubt Berater Kilzie. Das 50 Milliarden Euro teure Projekt sei viel ambitionierter als „South Stream“. Denn China habe einen Vertrag über reines Methangas abgeschlossen – kein Naturgas wie jenes, das die europäischen Kunden beziehen und selbst verarbeiten. Ehe der Gazprom-Konzern das verarbeitete Gas nach China liefern kann, müsste er verfahrenstechnische Anlagen aufbauen. Und das könnten nur Deutsche und Franzosen, sagt Kilzie: „Technologisch ist Russland auf den Westen einfach angewiesen.“

Für Europa sollte es von Interesse sein, dass russische Chemieanlagen verarbeitetes Gas nach China liefern und kein billiges Naturgas, sagt Kilzie. „Das würde die Preise am Weltmarkt durcheinander bringen und den Druck etwa auf die deutsche Chemieindustrie erhöhen.“ Denn der Gaspreis in den China-Verträgen sei ohnehin billiger als jener für Europa. Falls Russlands dem neuen Partner gestatte, das Gas zu verarbeiten und dann billige chemische Produkte zu exportieren, würde BASF am Standort Ludwigshafen den Preisverfall spüren.

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