Olaf Scholz in China „China hat verstanden, dass Merkel nicht mehr da ist“

Bundeskanzler Scholz reist als erster westlicher Regierungschef seit Beginn der Pandemie nach Peking. Quelle: REUTERS

Vor dem Besuch von Olaf Scholz in China spricht Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der deutschen Handelskammer (AHK) in Peking, über die Erwartungen der deutschen Wirtschaft. Es sei höchste Zeit, dass sich beide Seiten an einen Tisch setzen.

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WirtschaftsWoche: Bundeskanzler Scholz reist an diesem Freitag nach Peking. Er ist damit der erste westliche Regierungschef in China seit Beginn der Pandemie. Halten Sie seine Reise zu diesem Zeitpunkt für richtig?
Jens Hildebrandt: Es gibt viele Argumente dafür und dagegen, warum der Bundeskanzler die Reise antreten sollte. Ich halte es für gut, schließlich ist es besser, miteinander zu sprechen als übereinander.

Was bringt so eine Reise?
Es ist ein Besuch, der austarieren wird, wie unsere Beziehungen auch in Zukunft weiter funktionieren können. Wir haben 50 Jahre bilaterale Beziehungen mit China in diesem Jahr und die deutsche Bundesregierung schreibt an einer neuen China-Strategie. Ein Teil der Bundesregierung war noch nie hier. Da ist es gut, dieses erste Gespräch zu führen.

Wenn Angela Merkel nach China reiste, wurden am Rande riesige Wirtschaftsdeals unterzeichnet. Wird es das dieses Mal auch geben? Eine große Wirtschaftsdelegation ist ja auch bei Scholz dabei.
Ob dieser Besuch der richtige Rahmen für Deals ist, werden die Delegationsteilnehmer entscheiden. Ich glaube, die wird es dieses Mal nicht geben, weil man nach drei Jahren Pause erst wieder anfängt direkt miteinander zu reden. Die Wirtschaftsdelegation ist jedoch ein Zeichen, dass man bereit ist, im Wirtschaftsbereich weiter zu kooperieren.



Noch mehr Kooperation und Handel mit China. Nicht jedem in Deutschland gefällt diese Idee. Das zeigt auch die Debatte um den Hamburger Hafen, wo der chinesische Staatskonzern Cosco einsteigen will.
Tatsächlich hat China glaube ich verstanden, dass Deutschland an einer anderen China-Strategie arbeitet, dass sich das bilaterale Verhältnis ändern wird, dass Merkel nicht mehr da ist. Und insofern ist es auch wichtig, dass Kanzler Scholz jetzt hier herkommt, um die kritischen Punkte anzusprechen.

Halten Sie den Hafen-Deal für richtig?
Ich halte es für wichtig, diesen Fall aus mehreren Winkeln zu betrachten. Zum einen spielen wirtschaftliche Fragen eine Rolle. Es geht um betriebswirtschaftliche Fragen. Um Fragen des globalen Wettbewerbs. Was bedeutet der Einstieg der Chinesen für die Positionierung eines solchen Hafens? Aber natürlich müssen auch sicherheitspolitische Überlegungen einkalkuliert werden. Die Entscheidung zum Hafen reflektiert dies alles aus meiner Sicht.

Über welche Themen werden Scholz und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sprechen?
Ich denke, der Bundeskanzler hat vor allem eine Reihe politischer Themen im Gepäck. Den Krieg in der Ukraine. Geopolitische Themen wie den Klimawandel und Ernährungsfragen, die sich nur gemeinsam mit China lösen lassen.

Und aus Sicht deutscher Unternehmen? Was soll der Kanzler ansprechen?
Wir hoffen, dass er ganz klar anspricht, dass wir weiterhin die Öffnung Chinas und Reformen brauchen, dass die Marktzutrittshürden reduziert werden müssen. Und noch wichtiger: Regulatorische Hindernisse müssen abgebaut werden. Die deutsche Wirtschaft scheut keinen Wettbewerb. Er muss aber fair ausgetragen werden. Natürlich hoffen wir auch, dass die Corona-Reisebeschränkungen angesprochen werden.

Scholz hat schwierige Gespräche in China vor sich. Doch zumindest die Anreise ist für ihn leicht. Er muss nicht in Quarantäne und ist damit eine große Ausnahme. Für deutsche Firmen ist Zero-Covid dagegen noch immer ein riesiges Problem, oder?
Ja, in der Tat. Wir sehen weiterhin Störungen von Lieferketten durch die immer wiederkehrenden Lockdowns. Die bestehenden Reisebeschränkungen führen dazu, dass deutsche Manager nicht zu ihren Tochterunternehmen reisen können. Das heißt, schon seit ungefähr drei Jahren liegen auch Investitionsentscheidungen auf Eis. Und dann natürlich das Thema Personal. Deutsche Unternehmen haben rund ein Viertel ihrer ausländischen Expats verloren. Es ist unheimlich schwer, diese zu ersetzen. Und was vor allem fehlt ist Planbarkeit. Planbarkeit für die Lieferketten, für die eigene Produktion, für Investitionen.

Für die Wirtschaft hat die Corona-Politik gravierende Folgen.
Ich glaube, eine richtige Erholung kann es nur geben, wenn tatsächlich eine neue Corona-Politik gefunden wird. Solange sich die nicht ändert, wird es keine Erholung der Wirtschaft geben.

Wie kann eine Rückkehr zur Normalität gelingen?
Man braucht eine groß angelegte Impfkampagne. Das ist der Schlüssel. Aber es braucht dann auch eine Kommunikationskampagne. Der Bevölkerung wurde drei Jahre lang gesagt, dass niemand sterben muss und jeder sicher ist. Nun müssen die Menschen kommunikativ darauf vorbereitet werden, dass das Virus bleiben wird und dass man eine Koexistenz auch unter menschlichem Leid herbeiführen muss.

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China hat noch immer nicht den MRNA-Impfstoff von BioNTech zugelassen. Das Unternehmen ist offenbar Teil der Wirtschaftsdelegation. Könnte Bewegung in die Sache kommen?
Vielleicht bringt die Reise was Neues. Ich bin da eher pessimistisch. Aber das wäre sicherlich ein Bereich, wo man relativ schnell unterstützen könnte. Ein wirksamer Impfstoff, an dem China auch selbst arbeitet, der muss dringend her. Nur so wird man auch einen Wandel in der Politik erreichen können.

Auf dem gerade zu Ende gegangenen Parteitag gab es jedenfalls keine Anzeichen, dass sich die Covid-Politik ändern wird. Was sollte die deutsche Wirtschaft sonst noch vom Parteitag mitnehmen?
Die neue Führungsriege wird ganz klar eine wirtschaftspolitische Richtung weiter verfolgen. Stärkung der eigenen Wirtschaft, Reduzierung von Abhängigkeiten und die Stärkung von Staatsunternehmen wird Priorität genießen. Was deutsche Unternehmen aber eigentlich brauchen, ist ein Zeichen für mehr Öffnung.

Olaf Scholz ist nur einen Tag im Land. Er muss auch nicht in Quarantäne. Er wird aber ja auch nicht einfach durch Peking spazieren können. Wie wird dieser Besuch aussehen?
Es ist vorgesehen, dass er die Treffen in einer abgeschotteten Blase macht. So eine Regel wird es jetzt für alle Staatsgäste geben, die nach Peking reisen. Dort wird Scholz alle seine Gesprächspartner treffen. Und alle, die von chinesischer Seite in diese Blase wollen, müssen danach zehn Tage in Quarantäne.

Wenn Merkel früher nach China gereist ist, war sie meistens nicht nur in Peking, sondern auch noch in einer anderen Stadt. Sie hat sich auch Unternehmen angeschaut oder Mitglieder der Zivilgesellschaft getroffen. Das alles wird es dann dieses Mal nicht geben?
Ja, ganz richtig, es ist alles massiv eingeschränkt. Es wird sicherlich einen Austausch geben, aber wie der genau aussehen kann, da bin ich überfragt.

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Sie werden keine Chance haben, dem Kanzler zu begegnen?
Ich werde wahrscheinlich beim Briefing der Wirtschaftsdelegation dabei sein. Und dann soll es noch einen Wirtschaftsroundtable mit den beiden Regierungschefs Scholz und Li Keqiang geben. Für mich bedeutet das also auch, dass ich in die Blase gehe. Danach folgen dann zehn Tage in Hotel-Quarantäne, bevor ich mich wieder frei in Peking bewegen kann.

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