Die vergangenen sechs Wochen sind Olaf Berlien deutlich anzusehen: Unter den Augen des Osram-Chefs haben sich schmale dunkle Ringe gebildet, mitunter wirkt er ein wenig ungeduldig. „Es gab in den letzten Wochen kaum eine Nacht, in der wir mehr als vier Stunden geschlafen haben“, erzählt Berlien. Die teils zähen Verhandlungen mit den Investoren aus China haben ihre Spuren hinterlassen. Doch am Mittwoch kann der Osram-Chef endlich Vollzug melden.
Berlien steht im 20. Stock der Konzernzentrale im Norden Münchens und verkündet das „Resultat sehr harter Arbeit“: Das Geschäft mit konventionellen Glühbirnen, Halogenlampen, Energiesparlampen und Leuchtstoffröhren, aber auch LED-Lampen für den Hausgebrauch, geht an ein Konsortium aus China. Angeführt wird das Käufer-Trio von dem Unternehmen MLS, einem Hersteller von LED-Lampen und Komponenten aus Zhongshan im Süden Chinas. Mit im Boot sitzen die Finanzinvestoren IDG Capital Partners und Yiwu, beide ebenfalls aus Südchina. Rund 400 Millionen Euro werden die drei für das Osram-Lampengeschäft nach München überweisen.
Mit dem Verkauf der Sparte, die unter dem Namen Ledvance firmiert, kommt Berlien seinem Ziel einen großen Schritt näher, Osram zu einem Technologiekonzern zu machen. Der soll nun vor allem von der Spezial- und Automobilbeleuchtung, von komplexen Lichtlösungen und optischen Halbleitern leben. Damit soll Osram im Jahr 2020 einen Umsatz von fünf Milliarden Euro und einen Gewinn vor Steuern (Ebita) von 900 Millionen Euro erzielen.
Osram: Umsatz nach Geschäftsfeldern
Umsatz im Geschäftsjahr 2015: 2.000,5 Millionen Euro
Veränderung zum Vorjahr: -5,7%
Quelle: Geschäftsbericht.
Umsatz im Geschäftsjahr 2015: 1849,5 Millionen Euro
Veränderung zum Vorjahr: +5,1%
Umsatz im Geschäftsjahr 2015: 1292,6 Millionen Euro
Veränderung zum Vorjahr: +5,3 %
Umsatz im Geschäftsjahr 2015: 955,1 Millionen Euro
Veränderung zum Vorjahr: -2,7 %
Umsatz im Geschäftsjahr 2015: -523,6 Millionen Euro
Veränderung zum Vorjahr: +11,7 %
Umsatz im Geschäftsjahr 2015: 5574,2 Millionen Euro
Veränderung zum Vorjahr: -1,0%
„Um das Unternehmen zukunftsfest zu machen, ist der Verkauf des Lampengeschäfts der absolut richtige Schritt", sagt David Vos, Analyst bei Barclays in London. Experten der Deutschen Bank haben ausgerechnet, dass der Verkauf Osrams Ebita-Marge unmittelbar von etwa 10 auf 13 Prozent heben würde.
Unter den Beschäftigten des Lampengeschäfts macht sich unterdessen Nervosität breit. 8800 Menschen arbeiten weltweit in der Sparte, ein Großteil davon in den deutschen Werken, in Augsburg, Berlin und dem bayrischen Eichstätt. Sie sind Kummer gewöhnt. In mehreren Runden hat Osram in den vergangenen Jahren weltweit Tausende Stellen abgebaut. Und die letzte Streichrunde, noch unter Berliens Vorgänger Wolfgang Dehen eingeleitet, läuft noch bis Ende 2017. Heißt: Es fallen weitere Jobs weg.
Fragen für die Mitarbeiter bleiben
Wohl nirgendwo sonst ist der Wandel in der Lichtindustrie so greifbar wie in der Augsburger Fabrik von Osram. In den lang gezogenen, grauen Fabrikhallen an der Berliner Allee fertigen die Arbeiter jährlich 70 Millionen Leuchtstoffröhren. Vor ein paar Jahren waren es noch 150 Millionen. Zwei von vier Fertigungslinien stehen still. Die Zukunft gehört der langlebigen und energieeffizienten LED-Lampe.
In den oberen Etagen des Osram-Konzerns gibt es keine Zweifel daran, dass die Chinesen ein guter Eigentümer sein werden. Von Anfang an habe man einen Käufer gesucht, der „Erfahrung in der Lichtbranche hat und das Lampengeschäft verantwortungsvoll weiterentwickeln kann“, heißt es. Erfahrung hat MLS ohne Zweifel. Das Kürzel steht für „Mulinsen“, in der englischen Übersetzung „Forest Lighting“. Das 1997 gegründete Unternehmen ist mit einem Umsatz von rund 525 Millionen Euro und rund 12.500 Mitarbeitern Marktführer bei LED-Lampen in China. Trotz sich abkühlender Konjunktur, hoher Überkapazitäten und hartem Wettbewerb konnte MLS seinen Umsatz im Januar um neun Prozent steigern.
Ausgewählte Beteiligungen chinesischer Unternehmen in Deutschland 2015
Zielunternehmen: MBVG (Vertriebstochter Ostdeutschland der Daimler AG)
Investoren: Lei Shing Hong Ltd
Zielunternehmen: Waldaschaff Automotive GmbH
Investoren: Lingyun Industrial Corp Ltd
Quelle: EY "Chinesische Unternehmenskäufe in Europa", Februar 2016
Zielunternehmen: apt Hiller GmbH
Investoren: SEDANT Foundation Holding Co Ltd
Zielunternehmen: Berkenhoff GmbH
Investoren: Powerway Group Co Ltd
Zielunternehmen: H Stoll AG & Co KG
Investoren: SGSB Group Co Ltd
Zielunternehmen: krauth technology GmbH
Investoren: Dutech Holdings Limited
Zielunternehmen: KUKA AG
Investoren: Midea Group Co Ltd
Zielunternehmen: OHE Mining Technology GmbH
Investoren: Beijing Huahai Mach Co Ltd
Zielunternehmen: BENDALIS GmbH
Investoren: Hainan Shuangcheng Pharm Co
Zielunternehmen: IMD Natural Solutions GmbH
Investoren: Zhejiang Hisun Pharm Co Ltd
Zielunternehmen: Lyomark Pharma GmbH
Investoren: Hainan Shuangcheng Pharm Co
Zielunternehmen: Medisana AG
Investoren: Xiamen Comfort Science & Tech
Zielunternehmen: Dirk Bikkembergs
Investoren: Guangzhou CANUDILO Fashion
Zielunternehmen: HG Sales GmbH
Investoren: Royal Spirit Ltd
Zielunternehmen: KTG Agrar SE
Investoren: Fosun Interntional Hldgs Ltd
Zielunternehmen: METZ Werke-Cons Elec Bus
Investoren: Skyworth Digital Holdings Ltd
Zielunternehmen: Triumph International (Dorina)
Investoren: Hop Lun International Fashion
Zielunternehmen: Compo Expert GmbH
Investoren: XIO Partner (HK) Ltd
Zielunternehmen: Hauck & Aufhaeuser Privatbank
Investoren: Fosun Interntional Hldgs Ltd
Und MLS ist auf Expansionskurs. Im Juli kündigte das börsennotierte Unternehmen die Übernahme einer chinesischen LED-Firma für umgerechnet 200 Millionen Euro an. Kurz zuvor hatte der Konzern ein Unternehmen aus Hongkong gekauft. Der Zuschlag aus München soll MLS den Zugang zum europäischen und amerikanischen Markt erleichtern. Den Namen Osram dürfte der Konzern weiter nutzen. Die Übernahme würde ihn zum weltweit drittgrößten Hersteller von LED-Lampen machen.
Die Arbeitnehmervertreter versuchen, die Verunsicherung in der Ledvance-Belegschaft zu zerstreuen. „Die Transaktion ist eine gute Nachricht für Ledvance“, sagt Michale Knuth, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Osram und Sprecher der IG Metall in Bayern. „Das Konsortium wird die Vereinbarungen mit dem Betriebsrat und der IG Metall einhalten. Der weltweite Hauptsitz von Ledvance ist weiterhin Garching.“ Damit unterliege das Unternehmen weiter der deutschen Mitbestimmung.
Die neuen Eigentümer aus China haben mit den Münchnern vereinbart, dass sie den Osram-Markennamen weiter nutzen dürfen. Dafür zahlen sie über die kommenden zehn Jahre einen höheren zweistelligen Millionenbetrag. Außerdem hat MLS mit Osram eine Liefervereinbarung geschlossen: Sobald die Fertigung in der neuen Osram-Halbleiterfabrik im malaysischen Kulim angelaufen ist, werden die Chinesen dort LED-Chips kaufen.
Willi Sattler, Betriebsrat bei Osram in Augsburg, hat bereits klare Forderungen an den Käufer aus China. Dieser solle „vor allem in die Fertigung von LED-Lampen investieren“, wünscht sich der Arbeitnehmervertreter. Deren Anteil am Ledvance-Geschäft liegt aktuell bei 30 Prozent und ist 2015 um 30 Prozent gewachsen. Ein wenig kann Sattler in Augsburg in die Zukunft blicken: Auf den Leuchtstoff-Fertigungslinien an der Berliner Allee testet das Unternehmen gerade die Produktion von LED-Lampen.