Pannenserie beim Autobauer Feuerprobe für den neuen Nissan-Chef

Kaum hat Hiroto Saikawa bei Nissan übernommen, muss er den Autobauer durch eine hausgemachte Skandalserie steuern. Die Krise ist aber auch seine Chance, sich aus dem Schatten des mächtigen Carlos Ghosn zu befreien.

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Bei dem Autobauer weitet sich jetzt ein hausgemachter Skandal in seinem Heimatmarkt drastisch aus. Quelle: Reuters

Tokio Eigentlich hätte die Allianz der beiden Autobauer Renault und Nissan dieses Jahr allen Grund zum Jubeln. Der Dreierbund mit Mitsubishi Motors dürfte Toyota als größten Autohersteller der Welt entthronen. Der einstige Krisenfall Mitsubishi Motors hat diese Woche eine aggressive Investitions- und Verkaufsoffensive verkündet, mit der der kleine Hersteller den Absatz bis 2020 um 30 Prozent auf 1,3 Millionen Autos treiben will. Und beim vermeintlich sicheren Motor der Allianz, bei Nissan, hat Allianzchef Carlos Ghosn das Steuer an den Japaner Hiroto Saikawa übergeben. Doch ausgerechnet bei Nissan weitet sich jetzt ein hausgemachter Skandal in seinem Heimatmarkt drastisch aus.

Der Konzern musste diesen Monat zugeben, dass es bei der Endabnahme in japanischen Werken nicht nach dem eigenen Plan zuging. So wurde die finale Kontrolle der Fahrzeuge teilweise von Arbeitern durchgeführt, denen nach dem beim Ministerium eingereichten Plan noch die notwendigen Zusatzzertifikate als Inspektor fehlten. Der Aktienkurs gab daher kurzzeitig um mehr als zehn Prozent nach. Denn Nissan rief daher alle seit 2014 in Japan ausgelieferten 1,2 Millionen Autos zurück. Kostenpunkt: rund 200 Millionen Euro.

Am Freitag ging es am Morgen beim Börsenstart erneut um mehr als zwei Prozent mit der Aktie bergab. Denn am Donnerstagabend hatte Firmenchef Saikawa in der Nissan-Zentrale in Yokohama angekündigt, die Produktion für den japanischen Markt für mindestens zwei Wochen einzustellen. Ein solcher Produktionsausfall würde den Betriebsgewinn um weitere 75 Millionen Euro drücken, schätzt Auto-Analyst Masataka Kunigumoto von der japanischen Investmentbank Nomura. Für den Export wird allerdings weiterproduziert, da dort die japanischen Sonderregeln für die Inspektoren nicht greifen.

Auslöser für die Ausdehnung der unilateralen Bußaktion waren Berichte, dass in einigen Produktionslinien auch nach dem Auffliegen des Skandals weiterhin nicht zertifizierte Facharbeiter Autos abgenommen hätten. Außerdem kam heraus, dass untern den Inspektoren Kopien von Namensstempeln gemeldeter Inspektoren kursierten.

Saikawa kam daher auf der Pressekonferenz massiv unter Feuer der japanischen Medien. In teilweise rüdem Ton wurde offen ein Kollaps Nissans unterstellt. Auch nach der Verantwortung von Carlos Ghosn wurde gefragt. Schließlich hatte der Manager in seinen 17 Jahren als Nissan-Chef die Belegschaft und das Zulieferernetz ausgedünnt, um Nissan von einem Pleitekandidaten wieder zu einer Größe in der Autoproduktion zu machen.

Nissan-Chef Saikawa reagierte auf die Attacken, wie es sich in Japan gehört. Neben den üblichen Entschuldigungen und tiefen Verbeugungen antwortete er mit stoischer Miene und Tonfall geduldig auf noch so gehässige Fragen. Die Verantwortung des Managements sei nun, ein Wiederauftreten dieser Fälle zu verhindern, den Betrieb zu normalisieren und die Firma wieder auf den Wachstumspfad zu führen, so Saikawa.

Darüber hinaus gelobte er, hart aufzuräumen. „Wenn ich Fehler sehe, werde ich drastische Maßnahmen ergreifen“, sagte Saikawa. „Das ist meine Aufgabe, und ich bin der, der sie führt.“ Die Fabriken sollen nun solange nicht für den japanischen Markt produzieren, wie die Untersuchungen andauern. Und das kann mindestens zwei Wochen dauern, schätzte der Nissans Chef.


Die Aufräumarbeiten binden Personal, Zeit und Geld

Ungewollt gab er damit ein weiteres Beispiel dafür, wie hart japanische Firmen sich bei Fehlverhalten selbst bestrafen. Voriges Jahr mussten Suzuki und Mitsubishi zugeben, bei Verbrauchsmessungen bei steuerbegünstigten Kleinstautos mit Minimotoren von maximal 660 Kubikzentimetern Hubraum geschummelt zu haben. Bei Mitsubishi waren die Verstöße so groß, dass der Hersteller die Produktion für Wochen einstellen und der damalige Chef zurücktreten musste.

Als Resultat verlor das Unternehmen sogar seine Unabhängigkeit. Nissan nutzte die Krise, um mit rund 34 Prozent der Aktien bei Mitsubishi das Steuer zu übernehmen und den SUV-, Elektroauto- und Kleinwagenhersteller in die Allianz einzugemeinden.

Ganz so hart wird es Nissan nicht treffen. Dazu steht der Hersteller zu gut im Saft. Mit 5,6 Millionen verkauften Autos im Jahr 2016 machte Nissan mehr als die Hälfte des Allianzumsatzes. Die operative Gewinnmarge liegt um sechs Prozent. Damit verfügt Nissan über genug Geld, um in neue Technologien zu investieren. In Japans Autoindustrie gehört der Konzern zu den Trendsettern bei Elektroautos und autonomem Fahren. So entwickelt das Unternehmen gemeinsam mit dem Anbieter mobiler Videospiele Dena ein Robotertaxi.

Hiroto Saikawa steht daher besonders unter Druck, Nissan so schnell wie möglich aus dem Skandal herauszuführen. Denn die Aufräumarbeiten binden nun ausgerechnet in Japan, dem Entwicklungszentrum von Autos und Produktionsanlagen, Personal, Zeit und Geld, die besonders im hart umkämpften Heimatmarkt dringend gebraucht werden. Denn in Japan ist Nissan mit einem Marktanteil von zehn Prozent kein Riese und muss kämpfen, um Gewinne zu machen.

Aber wie die Entwicklung von Toyota-Konzernchef Akio Toyoda zeigt, ist die Bewährungsprobe zu Beginn der Amtszeit auch eine Chance. Toyoda reifte in Toyotas Rückrufdebakel in den Jahren 2009 und 2010, als der Konzern weltweit mehr als zehn Millionen Autos zurückrief, vom scheuen Novizen zum zupackenden Führer und Sprecher der japanischen Autoindustrie. Saikawa kann nun die Krise nutzen, um sich aus Ghosns Schatten zu befreien und Nissan seinen Stempel aufzudrücken.

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