Patente auf Pflanzen Wie ein bizarrer Streit um Braugerste die Branche lähmt

Dank einer Hintertür im Patentrecht forcieren Agrarkonzerne das Geschäft mit Exklusivrechten auf Nahrungsmittel. Darunter leiden Mittelstand und Verbraucher. Patente auf Braugerste für Bier lassen den Streit eskalieren.

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Heineken Quelle: dpa

Auf seinem Weg zur Halle mit der Bierabfüllanlage streift Gottfried Härle einen Raum, der viel Vergangenheit verkörpert, die plötzlich wieder aktuell wird. Während das Zischen und Klappern der Flaschenfüllmaschine sich schon mehr als nur erahnen lässt, sucht sich Härles Blick durch das Halbdunkel den Weg auf einige Stühle, ein paar Tische und sehr viel Leere. Der Chef der Allgäuer Brauerei Härle lädt manchmal noch Festgesellschaften her, ansonsten döst der Raum so vor sich hin.

Vor einigen Jahrzehnten dagegen pulsierte hier eine der Schlüsselstellen der Brauerei. Härles Großvater ließ hier aus Gerste Malz machen. Härles Vater lagerte die Mälzerei dann aus. Und doch muss sich Gottfried Härle heute wieder mit der Mälzerei beschäftigen beziehungsweise mit deren Vorprodukt: der Braugerste. „Das ist schon eine Sauerei, die da passiert“, sagt Härle. „Zwei Konzernbrauereien versuchen zusammen mit dem Europäischen Patentamt auf Kosten vieler Mittelständler eine Gesetzeslücke zu ihrem Nutzen auszuschlachten.“

Der Grund für Härles Zorn sind einige Zeilen Patentverordnung, die schon länger beim Europäischen Patentamt in München schlummerten und nun bestätigt werden sollen: In diesen Zeilen beschreiben die Großbrauereien Heineken und Carlsberg zwei Züchtungsverfahren für Braugerste, auf die sie ein Patent haben wollen.

Nun sind Patente auf Pflanzen keine Neuheit. Doch bislang betrafen sie gentechnisch veränderte Lebewesen. Diese gelten als Neuschöpfung, quasi als Ingenieurleistung, und können damit als Erfindung deklariert werden. Alles andere Leben, also auf natürlichem Wege entstandene Pflanzen und Tiere, soll grundsätzlich nicht patentiert werden. So haben es Bundesregierung und EU-Kommission mehrfach öffentlich festgelegt. Doch dieses an sich rigorose Verbot wankt, weil das Europäische Patentamt eine Hintertür geöffnet hat: natürliche Mutationen. Diese treten in der Natur auf, können jedoch auch technisch ausgelöst werden. Entsteht auf diesem Weg eine Veränderung der Pflanze, gilt das als patentierbar.

Und diese Hintertür nutzen internationale Konzerne wie die beiden Brauriesen, aber auch Saatgutgiganten wie Bayer, Monsanto oder Syngenta immer häufiger, um Eigentum an Pflanzen zu deklarieren. Rund 80 solcher Patente wurden in den vergangenen Jahren beim Europäischen Patentamt bewilligt, mehr als 800 Anträge eingereicht.

Die Akteure mit den meisten Pflanzenpatenten

Lange schlummerte das Thema eher in Expertenzirkeln. Doch beim Bier hört der Spaß offenbar auf. Seitdem bekannt wurde, dass der Deutschen liebster Alkohol betroffen sein könnte, formiert sich der Protest. Zwar hat die große Koalition das Thema in den vergangenen zwei Wochen gleich zwei Mal in letzter Minute von der Bundestags-Tagesordnung genommen. Doch weil das Europäische Patentamt in diesen Tagen das Ganze zementieren möchte, protestieren vor allem Nichtregierungsorganisationen und viele Mittelständler im Saatgut- und Lebensmittelgeschäft. Macht der Fall Heineken/Carlsberg einmal Schule, bekommen die Großkonzerne in dem Geschäft alle Vorteile auf ihre Seite, fürchten diese Kritiker.

Härle betreibt die Brauerei in vierter Generation. Er hat aus einer typischen Ortsbrauerei, wie es sie in und um Leutkirch im Allgäu viele gab, einen florierenden mittelständischen Betrieb mit 30 Mitarbeitern und 36 000 Hektoliter Bierabsatz im Jahr geformt. „Was wir hier machen“, sagt Härle in einem Besprechungsraum, vollgestopft mit Auszeichnungen für sein unternehmerisches, mittelständisches und nachhaltiges Wirken, „ist eine absolute Nische.“ Aber eben erfolgreich. Während Konzerne wie Warsteiner oder Krombacher ihre Bierkästen für 9,99 Euro verramschen, geht Härles Bier für 18,49 Euro über das Kassenband.

Dafür leistet er sich einen Aufwand, den andere längst aufgegeben haben: Die Gerste lässt er von Vertragslandwirten produzieren, gemälzt wird beim Nachbarn, der Rest der Produktion findet auf dem Gelände statt. So kann Härle so arbeiten, wie er möchte. Ein mittelständischer Traum. Und den sieht er durch die Patentversuche gefährdet.

„Natürlich schränken mich solche Patente, wie sie Carlsberg oder Heineken anstreben, nicht direkt ein. Aber wenn diese Hintertür für Patente auf Leben einmal geöffnet ist, wird mein Spielraum bei der Rohstoffauswahl Stück für Stück sinken“, sagt Härle. Etwa 40 gängige Braugerstesorten gibt es. Auf den ersten Blick kein Drama, wenn zwei davon künftig patentgeschützt sind. „Aber die Ausnahme ist so weitläufig formuliert“, glaubt Härle. „Das ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere patentiert werden.“ Zudem weckt sein Misstrauen, dass plötzlich Braukonzerne, die sich bisher nie für die Vorstufen ihrer Produktion interessierten, Rechte auf den ganzen Brauprozess vom Saatkorn bis zum Bier sichern wollen. Das hat in der Branche eine neue Qualität. Bisher kaufen Härles Landwirte ihr Saatgut bei verschiedenen Händlern, je nach Angebotslage.

Wenn künftig bestimmte Saaten geschützt sind, fürchtet er Abhängigkeiten. „Entweder bekommen meine Landwirte dann bestimmte Sorten gar nicht mehr. Oder ich muss am Ende Lizenzgebühren an den Patentinhaber zahlen.“

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