Pflanzenschutzmittel Glyphosat „Wahrscheinlich krebserregend“

Glyphosat ist nach Ansicht der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC „wahrscheinlich krebserregend“. Europa muss entscheiden, ob die Substanz erneut zugelassen werden soll. Die wichtigsten Fragen zum Fall.

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Umweltorganisationen wie der BUND dringen auf ein Verbot des Pflanzenschutzmittels Glyphosat in Europa. Quelle: dpa

Was ist der aktuelle Stand der Debatte?

Das Europaparlament empfiehlt, das umstrittene Herbizit Glyphosat neu zuzulassen – mit Einschränkungen. So soll die Zulassung auf sieben Jahre begrenzt bleiben. Zudem verlangten die Abgeordneten am Mittwoch in Straßburg mehr Auflagen für den Glyphosat-Einsatz. Sie wollen das Mittel beispielsweise für Hobbygärtner verbieten und den Einsatz in öffentlichen Parks, Grünanlagen oder auf Spielplätzen untersagen. Als „inakzeptabel“ verurteilten sie die Praxis, Pflanzen vor der Ernte mit Glyphosat abzutöten und die Reifung zu beschleunigen. Die Abgeordneten forderten zugleich mehr Informationen über mögliche gesundheitsschädliche Wirkungen von Glyphosat. Auch die Bundesregierung will einer Neuzulassung in der EU nur unter Auflagen zustimmen.

Wann fällt die Entscheidung über eine Zulassung?

Der Beschluss des EU-Parlaments ist rechtlich nicht verbindlich, weil die Entscheidung von nationalen Experten der EU-Staaten getroffen wird. Diese ist frühestens im Mai zu erwarten. Die aktuelle Zulassung läuft noch bis Ende Juni. Falls es in diesem Gremium keine absolute Mehrheit gibt, ist die Kommission am Zug.

Was ist Glyphosat?

Glyphosat ist eine Substanz aus der Gruppe der Organophosphor-Verbindungen. Sie wurde ursprünglich einmal von der Schweizer Firma Cilag als potenzielles Arzneimittel erforscht. Unabhängig davon entwickelte die US-Firma Monsanto den Wirkstoff später als Mittel zur Unkrautvernichtung. 1974 wurde Glyphosat erstmals zugelassen und seither von Monsanto unter dem Namen Roundup vertrieben. Nachdem im Jahr 2000 das Patent auf die Substanz auslief, werden glyphosat-haltige Produkte inzwischen auch von zahlreichen anderen Herstellern produziert.

Wie wirkt Glyphosat?

Glyphosat hemmt die Bildung bestimmter Aminosäuren und unterbindet dadurch das Pflanzenwachstum. Es wirkt gegen eine Vielzahl von Pflanzen und kann daher als so genanntes Breitband-Herbizid eingesetzt werden. Es wird dabei relativ gut von mineralischen Substanzen in der Erde absorbiert und von Mikroorganismen zersetzt. Glyphosat gilt daher als relativ wenig belastend für das Grundwasser.

Wie wird das Mittel in der Praxis angewendet?

Glyphosat wird in der Landwirtschaft vor allem vor oder kurz nach der Aussaat eingesetzt, um die Ackerflächen von Unkräutern zu befreien, so dass diese nicht mehr mit den Nutzpflanzen um Nährstoffe konkurrieren können. Teilweise wird Glyphosat aber auch vor der Ernte eingesetzt, um das Austrocknen (die Sikkation) etwa von Getreide zu beschleunigen und den Erntezeitpunkt besser zu steuern.

Welche Bedeutung hat Glyphosat für die Landwirtschaft?

Glyphosat ist das mit Abstand am meisten eingesetzte Pflanzenschutzmittel. Weltweit werden jährlich etwa 700.000 Tonnen Glyphosat produziert und verbraucht..In Deutschland setzen Landwirte nach Daten des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit jährlich etwa 5400 Tonnen ein. Das entspricht 30 Prozent der Gesamtmenge an Herbiziden und knapp 12 Prozent des gesamten Verbrauchs an Pflanzenschutzmitteln. Glyphosat wird auf knapp 40 Prozent der deutschen Ackerfläche eingesetzt.

Wer produziert Glyphosat?

Das Herbizid wird nach Daten der WHO weltweit von mehr als 90 Firmen produziert, darunter alleine gut 50 Firmen in China. Größter Produzent ist aber weiterhin die US-Firma Monsanto, die das Mittel entwickelt hat und zuletzt noch rund 4,7 Milliarden Dollar Umsatz mit Glyphosat und darauf basierenden Produkten erzielte.


Grundsatzstreit über die Zukunft der Landwirtschaft

Warum ist Glyphosat so beliebt bei den Landwirten?

Zum einen zeichnet sich das Herbizid durch seine besonders breite Wirkung aus. Zum anderen galt es bisher auch als relativ unbedenklich, unter anderem auch, weil es gut im Erdreich gebunden und abgebaut wird. Beflügelt wurde der internationale Absatz zudem durch die Entwicklung von genmodifizierten Nutzpflanzen, insbesondere Mais und Soja, die gegen Glyphosat resistent sind. Bei diesen Sorten können die Felder mit dem Herbizid auch dann noch behandelt werden, wenn die Nutzpflanzen bereits ein Stück weit herangewachsen sind. Das bringt den Landwirten zusätzliche Effizienzvorteile. Vor allem in Nord- und Südamerika werden solche genveränderten Pflanzen stark angebaut.

Woran entzündete sich der aktuelle Streit?

Auslöser für die aktuelle Debatte um Glyphosat war eine Studie der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC, einer Einrichtung der Weltgesundheits-Organisation (WHO). Sie stufte das Herbizid im vergangenen Frühjahr als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Der Zeitpunkt war insofern brisant, als in Europa die Verlängerung der Zulassung für Glyphosat anstand. Die bisherige Genehmigung läuft Mitte 2016 aus.

Wer sind die Gegner von Glyphosat?

Das Herbizid ist seit längerem bereits eine Art Symbol für den Grundsatzstreit über die künftige Ausrichtung der Landwirtschaft. Vor allem Umweltorganisationen wie etwa Greenpeace oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) machen sich seit langem bereits stark für ein Verbot von Glyphosat und anderen Pflanzenschutzmitteln. Ihr Vorwurf lautet, Glyphosat gefährde sowohl die Artenvielfalt als auch die menschliche Gesundheit. Durch die IARC-Studie sehen sie sich nachhaltig bestärkt. Aber auch zahlreiche Politiker und Wissenschaftler haben in Reaktion auf die Studie Position gegen das Pflanzenschutzmittel bezogen.

Wer unterstützt die Zulassungsverlängerung?

Die Position des IARC wird von anderen wissenschaftlichen Einrichtungen - darunter auch jene, die für die offizielle Bewertung zuständig sind – nicht geteilt. Das für die Neubewertung federführende Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) kam vielmehr zu dem Ergebnis, dass sich „nach dem derzeitigen Stand des Wissens bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen ableiten lässt.“ Dem hat sich auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA angeschlossen. Die Experten aus dem Mitgliedstaaten seien mit einer Ausnahme einig darin, dass weder die epidemiologischen Daten (d.h. solche in Bezug auf den Menschen) noch die Befunde aus Tierstudien einen Kausalzusammenhang zwischen der Glyphosat-Exposition und einer Krebsentstehung beim Menschen aufzeigten.

Wie erklären sich die konträren Positionen?

Ein Teil der Differenzen erklärt sich mit unterschiedlichen Ansätzen der Betrachtung. Die WHO-Experten heben auf die grundsätzliche Gefahr einer krebserregenden Wirkung ab. Institutionen wie BfR und EFSA dagegen bewerten das effektive Risiko unter realen Einsatzbedingungen. Hinzu kommt der Faktor, dass die offiziellen Institutionen auch Studien in ihr Urteil mit einbezogen haben, die den IARC-Wissenschaftlern nicht zugänglich waren. Gewisse Unterschiede ergeben sich ferner daraus, dass sich BfR und EFSA alleine auf die Wirksubstanz Glyphosat beziehen, während die IARC-Experten die Pflanzenschutzmittel einschließlich der darin enthaltenen Zusatzstoffe beurteilten.

Soll die Zulassung völlig uneingeschränkt weitergelten?

Nicht ganz: Die Expertengruppe der EFSA hat im Rahmen ihres Votums erstmals eine so genannte Akute Referenzdosis für Glyphosate in Höhe von 0,5 mg/kg Körpergewicht vorgeschlagen. Es handelt sich dabei um die Menge eines Wirkstoffs, die kurzfristig, etwa an einem Tag, aufgenommen werden kann, ohne dass ein Gesundheitsrisiko befürchtet werden muss. Erstmals wird damit ein Belastungsgrenzwert definiert, der beim Menschen nicht  überschritten werden sollte. Zudem empfiehlt die EFSA den zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten, die Toxizität jedes einzelnen Pflanzenschutzmittels – und insbesondere dessen genotoxisches Potenzial – künftig eingehender zu berücksichtigen.

Warum ist die Erneuerung der Glyphosat-Zulassung trotz des positiven EFSA-Votums im ersten Anlauf nicht durchgegangen?

Die EU-Kommission hat eine für Anfang März vorgesehene Entscheidung über die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung verschoben, nachdem sich abzeichnete, dass es im zuständigen Fachausschuss weder für noch gegen eine Zulassung eine qualifizierte Mehrheit geben würde. Bedenken gegen eine Verlängerung wurden Medienberichten zufolge unter anderem von Schweden, Frankreich und Italien geäußert. Die deutsche Regierung hatte eine neutrale Position eingenommen, weil sich die zuständigen Ministerien für Umwelt und Landwirtschaft zunächst nicht auf ein einheitliche Position verständigen konnten.

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